Plassnik bei Academia Superior: „Was fehlt, sind Respekt und Ernsthaftigkeit“
LINZ/OÖ. Zum 20. Dialog der Academia Superior - Gesellschaft für Zukunftsforschung - begrüßte Obfrau LH-Stellvertreterin Christine Haberlander Ursula Plassnik in Linz. Im Gespräch mit Professor Markus Hengstschläger sprach die Juristin, ehemaligen Außenministerin und Diplomatin über weltpolitische Umbrüche, Herausforderungen und Zukunftsthemen.
„Wir erleben Umbrüche in vielen Bereichen“, führte Christine Haberlander eingangs in das Kernthema des Abends ein, „und wir haben den Anspruch, diese Zeitenwende eingehend zu diskutieren, um die Geschehnisse um uns und in der Welt besser zu verstehen“.
„Wir wissen, was wir daran haben, dass wir Europäer sein dürfen“
Die ehemalige Vorsitzende des EU-Rats der Außenminister Ursula Plassnik sieht den europäischen Gedanken speziell in einem wirtschaftsstarken Land wie Oberösterreich fest verankert. Das komplexe Konstrukt der Europäischen Union sei einerseits ein stetiger Lernprozess, andererseits würden etwa die rasch verhängten Sanktionen gegen Russland zeigen, wie stark der Gedanke der Gemeinschaft entwickelt sei. Hier könne auch ein kleines Land wie Österreich Großes beitragen, ist sie sicher: „Die EU ist ein permanenter Wettkampf um die besten Lösungen. Wir sollten uns zutrauen, dabei auch an der Spitze zu sein“.
„Neutralität nicht als Zaubertrank verstehen“
Was die österreichische Sicherheitspolitik angeht, nimmt Plassnik die Medien in die Verantwortung, wo die Diskussion gerne auf „die zwei N“ reduziert werde: NATO oder Neutralität. Dabei gebe es auch dazwischen ein großes Spektrum. „Ein vernünftiger faktenbasierter sicherheitspolitischer Diskurs ist den Österreichern zumutbar“, ist Plassnik überzeugt, denn „wir können nicht erwarten, dass uns die anderen zum Null-Tarif schützen. Wir müssen uns fragen, was unser relevanter Beitrag sein kann“.
Große Herausforderungen
Dass die EU vor großen Herausforderungen stehe, sei in Anbetracht der aktuellen Polykrise allen bewusst. Umso wichtiger sei es, dass Europäer auf eigenen Füßen stehen. Die Pandemie und der Angriff Russlands auf die Ukraine hätten Europa zahlreiche Abhängigkeiten schmerzhaft aufgezeigt. Plassnik ist überzeugt, dass Europa gut daran täte, im Hinblick auf Lieferketten und militärische Abhängigkeiten strategische Autonomie und mehr Selbständigkeit sicherzustellen. Jahrzehntelange Bemühungen um eine gemeinsame Sicherheitspolitik mit Russland sieht Ursula Plassnik zerstört: „Sicherheitspolitik in Europa wird jetzt gegen Russland und nicht mit Russland funktionieren“.
Was die weltpolitische Ordnung angeht, so hängt die Zukunft entscheidend davon ab, in welches Narrativ sich der globale Süden einordnen wird: „Unser europäisches Lebensmodell steht gerade stark im Standortwettbewerb. Es basiert auf wirtschaftlichem Erfolg, sozialer Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, Freiheit, Wahlfreiheit“.
„Diplomatie kommt bei Gewalt an ihre Grenzen“
Der Krieg in der Ukraine ist Ursula Plassniks größtes Überraschungsmoment im negativen Sinne, „weil er allem widerspricht, wofür ich in 42 Berufsjahren gearbeitet habe“. Der Überfall auf die Ukraine zeige deutlich die Grenzen der Diplomatie auf: „Man kann den Gewalttäter nicht durch Beschwichtigungen von seinen Handlungen abbringen“. Plassnik vergleicht: „Wenn Sie jetzt jemand überfällt und nach Ihrem Leben trachtet, und ich als dritte Person dazukomme, würde ich auch nicht sagen: nimm einen Fuß oder ein Bein und dann lass gut sein“. Plassnik warnt vor einem naiven Wunschdenken: „Der Krieg wird so lange gehen, wie Putin ihn führen will. Man braucht Verhandlungswillen auf beiden Seiten“.
„Was fehlt, sind Respekt und Ernsthaftigkeit“
Plassnik beobachtet einen raueren Ton in Österreich: Die Menschen könnten mit anderen Meinungen immer weniger umgehen und würden schnell ausfällig, brutal und persönlich. Es brauche Respekt und Ernsthaftigkeit. „Wir müssen zurückfinden zu einem Ton der Ernsthaftigkeit und des Respekts im Umgang miteinander, sonst werden wir das Gemeinsame kaputtmachen und unseren Sinn für Gemeinwohl verlieren“, sieht Plassnik alle in der Verantwortung.
Auch in Sachen Frauenförderung findet Plassnik klare Worte: „Es ist unfassbar, wie Frauen in manchen Teilen der Welt behandelt werden. Und es ist dumm.“ Denn auf die Hälfte der Ideen und Talente zu verzichten, soll und kann sich niemand leisten.
„Man muss sich als Region in die großen Themen der Zukunft hineinkatapultieren“, greift Christine Haberlander zum Abschluss ein Statement von Ursula Plassnik auf und unterstreicht damit die Aufgabe und Zielsetzung der Academia Superior.
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