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Der Hausarzt als „Türsteher“: Wie die Niederlande Spitäler entlasten

Tips Logo Karin Seyringer, 06.10.2025 18:15

OÖ/DEN HAAG. Demografischer Wandel, alternde Gesellschaft mit komplexeren Krankheitsbildern, Fachkräftemangel: Die Probleme sind dieselben, das System aber ein anderes. Eine Delegation aus Gesundheitsexperten rund um LH-Stellvertreterin Christine Haberlander (ÖVP) informierte sich in den Niederlanden unter anderem darüber, wie Patienten durch das Gesundheitssystem gelotst werden. Dort ist die Allgemeinmedizin „Gatekeeper“, der Weg in die Spitalsambulanz führt verpflichtend über den Hausarzt.

  1 / 8   Allgemeinmedizinerin Barbara de Doelder, Peter McDonald (ÖGK), LH-Stellvertreterin Christine Haberlander, Vizerektorin Elgin Drda (JKU Medizinische Fakultät), OÖ. Rot-Kreuz-Präsident Gottfried Hirz und Johanna Holzhaider (Ärztekammer für OÖ) beim Besuch im HMC Westeinde. (Foto: Land OÖ/Margot Haag)

In den Niederlanden kann der Patient – außer bei Notfällen mit der Rettung – ohne Weiterleitung durch den Hausarzt nicht in die Spitalsambulanz. Diese Patientenlenkung ist hier verbindlich vorgegeben. Ein Wahlarztsystem wie in Österreich gibt es nicht. Das Versicherungssystem ist anders als in Oberösterreich privatisiert, etwa zehn große Anbieter, die im Wettbewerb stehen, gibt es. Ein Versicherungsunternehmen ist verpflichtet, jeden Interessierten bei Wunsch aufzunehmen. Versicherungsnehmer können einmal jährlich wechseln.

Allgemeinmedizin als „Gatekeeper“

Die General Practitioners (GP) in den Niederlanden sind verpflichtet, eine 24/7 Akutversorgung zu gewährleisten, vergleichbar mit dem Hausärztlichen Notdienst (HÄND) in Oberösterreich. Sie müssen sich, anders als in OÖ, dafür selbst organisieren. Gemacht wird das außerhalb der eigentlichen Ordinationszeiten neben telemedizinischer Unterstützung auch vorgelagert im Spital – wie im HMC Westeinde, erzählt Allgemeinmedizinerin Barbara de Doelder. Unterstützt wird dabei tatkräftig von Pflegekräften.

Auch in OÖ wurden solche im Spital vorgelagerten Anlaufstellen schon diskutiert, hier hat man sich aber für das HÄND-System entschieden. Durchaus erfolgreich, verweist Haberlander auf aktuelle Zahlen: In den vergangenen zwei Quartalen hätten zwei Drittel der Anrufe beim HÄND telemedizinisch endversorgt werden können.

Forderung nach „Hausarztgarantie“

Es ist aber auch eine Frage der Mentalität bzw. Kultur: In der niederländischen Bevölkerung werde es akzeptiert, vom Hausarzt - meist telefonisch - auf die Einnahme von zum Beispiel Paracetamol zur Schmerz- und Fiebersenkung verwiesen zu werden, mit dem Rat, sich erst wieder zu melden „wenn es nach drei Tagen nicht besser ist“, erzählen mehrere niederländische Gesundheitsexperten. Und auch zum Hausarzt selbst könne man erst, wenn vorher telefonisch die Notwendigkeit eines Besuchs bestätigt wird.

Eine in Österreich vorhandene Kultur zur sofortigen Krankenstandsbestätigung würde zudem medizinische Ressourcen binden, so Haberlander und auch Jakob Hochgerner, Direktor der Direktion Gesundheit und Soziales beim Land OÖ.

Eine Forderung, die Haberlander aber mit nach Hause nimmt: „Ein Rechtsanspruch auf hausärztliche Versorgung, eine Hausarztgarantie. Nur dann kann man Patienten entsprechend durch das System lotsen.“ Für eine Verbindlichkeit, auch vom Patienten einzuhalten, müsse aber erst die Basis mit ausreichender hausärztlicher Versorgung in allen Regionen funktionieren, wenn nötig mit einem Beitrag zur Versorgungspflicht auch von Wahlärzten.

Pflege hat mehr Kompetenzen

Ebenfalls zur Entlastung trägt in den Niederlanden bei, dass die Pflege deutlich mehr Kompetenzen hat. Etwas, das in Österreich auch nötig wäre, ist Haberlander überzeugt.

So zeigte der Besuch in der Notfallambulanz im HMC Westeinde in Den Haag, dass ausgebildete Pflegefachkräfte etwa über Maßnahmen wie ein bildgebendes Verfahren direkt entscheiden können.

Best point of service

„Wo ist der Best point of service für den Patienten?“, ist für Haberlander die wichtigste Frage. „Hier gibt es sicher viel, das man aus dem Krankenhaus bringen kann.“

Unterstützt auch durch Telemedizin. Was bei uns noch zu Stirnrunzeln führen mag, ist im Regionalkrankenhaus Spaarne Gusthuis Alltag: Bauchfelldialysen etwa werden nach einer Einschulung von den Patienten zu 100 Prozent zu Hause und nicht im Krankenhaus durchgeführt, ebenso zu Hause verlaufe die Chemotherapie, erläutert Onkologe Aart Beeker Vorteile, wie den Wegfall von Wegen, Wartezeiten und Selbstbestimmtheit für den Patienten.

Patienten ermächtigen

Ein solch striktes Vorgehen ist für Haberlander in Oberösterreich aktuell nicht vorstellbar.

Aber auch hierzulande gibt es gute Beispiele für den funktionierenden Einsatz von Telemedizin. So läuft ein Pilotprojekt am Kepler Uniklinikum bei dem Herzpatienten zur kardiologischen Nachsorge telemedizinisch überwacht werden. Die Patienten ersparen sich durch die tägliche Datenübermittlung viele der anfallenden Kontrolltermine. In Oberösterreich ist auch die Dialyse zu Hause bereits möglich, die Patienten stünden dem aber noch skeptisch gegenüber.

Die Frage für Haberlander: „Wie ermächtige ich den Patienten, schaffe Vertrauen, dass er manches auch selber machen kann. Und wenn es nicht ganz selbst möglich ist, von einer Pflegekraft zu Hause unterstützt. So kann das Spital in manchen Fällen nach Hause gebracht werden.“

Innovationspotenzial ausschöpfen: Innovation Lab „Imagine“

Großes Potenzial für Oberösterreich sieht sie beim Thema Forschung und Entwicklung in Zusammenarbeit mit der JKU und Unternehmen in Oberösterreich. „Hier braucht es noch mehr Energie und ein Dranbleiben.“

Dass Dinge zwar Zeit brauchen, aber mit Erfindergeist funktionieren, beweist ein Besuch im Universitätskrankenhaus UMC Utrecht. Direkt im Spital angesiedelt ist das Open Innovation Lab „Imagine“, das gemeinsam mit Unternehmen Lösungen entwickelt, um Krebsbehandlungen effektiver und minimalinvasiv zu ermöglichen.

Aushängeschild ist das MR-Linac, eine Kombination aus MRT-Scanning und Strahlentherapie, das mithilfe von KI und fortgeschrittener Bildgebung wesentliche Vorteile bringt. 18 Jahre wurde am MR-Linac getüftelt. Anfangs wurde die Idee einer solchen Kombination belächelt, erzählt Jan Kok. Mittlerweile ist das Gerät erfolgreich im Einsatz. Ein Tumor, der sich etwa durch Atmung oder natürliche Darmbewegungen nie gänzlich an derselben Stelle befindet, kann so viel gezielter bestrahlt werden. Gesundes Gewebe wird weniger geschädigt, statt 25 Strahlenbehandlungen sind am Beispiel Prostatakrebs nur mehr zwei nötig.

„Mehr Mut nötig“

Ein Learning, das Haberlander auch aus dem Besuch in den Niederlanden mitnimmt: „Ich glaube, dass wir etwas mutiger sein müssen und Dinge vielleicht einfach auch mal ausprobieren sollten, ohne dass sie bis ins Detail durchfinanziert sind. Sondern auch mal sagen: Ich habe eine Idee und fange an, sie umzusetzen.“

Nicht alles nachahmenswert

Die mitgereisten Gesundheitsexperten bewerten nicht alles in den Niederlanden als nachahmenswert: So ist in der Basisversicherung die grundsätzliche zahnärztliche Versorgung nicht enthalten, hier muss man sich on top versichern, was meist nur jene machen würden, die ohnehin größere Probleme mit den Zähnen haben. Die Niederlande würde hier die Folgekosten unterschätzen, glaubt Haberlander. Eine „wilde Geschichte“ sei auch die sehr hohe Zahl an Hausgeburten in den Niederlanden. Im Kranken- und Rettungstransport gibt es kein Freiwilligensystem wie beim Roten Kreuz und Samariterbund in Oberösterreich.


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