Ganzheitliches Fasten: „Man genießt das kleine Karotterl bis zum Geht-nicht-mehr“
RAPPOTTENSTEIN. Jedes Auto gibt man zum Service, und der Körper möchte auch einfach mal an die Reihe kommen, ist Suan Rojas Kopeinig überzeugt. Die 75-jährige leitet das Fastenzentrum Sonnenhof in Rappottenstein. Im Tips-Gespräch erklärt sie, warum im „Nichts“ die ganze Kraft drinnen ist, und warum wir ruhig mal öfters in das Narrenkastl schauen sollten.
„Nein, bei uns gibt es mal nichts zu essen. Tee, frisch gepresste Obst- und Gemüsesäfte und zweimal abends einen Ananassaft, der ist toll für den Darm“, klärt Suan Rojas Kopeinig gleich zu Beginn des Gespräches auf. Zudem lege man natürlich Wert darauf, appetitanregendes Gemüse wie Zeller zu vermeiden. Jeden Tag wird das Augenmerk auf ein anderes Organ gelegt, dazu passend wählt man auch das Hauptkräutlein für den Tee aus. Rund zehn Fastenwochen leitet Suan im Jahr, mit ihren 75 Lenzen wirkt sie noch fit und leichtfüßig.
Ganzheitliches Fasten
Der Fastenbegleiterin ist es wichtig, neben der körperlichen Ebene auch die geistige und seelische miteinzubeziehen, ganzheitlich zu arbeiten. Wenn die Teilnehmer morgens gegen acht Uhr mit Musik geweckt werden, wartet ein Glas Wasser mit Bittersalz und einem Schuss Orangensaft auf sie. „Das ist dazu da, dass alles durchflutscht und ausgeputzt wird“, schmunzelt Suan. Wichtig sei es nachher – und überhaupt während des Fastens – viel zu trinken, so zum Beispiel einen blutreinigenden Morgentee. Mit Yoga und verschiedensten Übungen startet man in den Tag. Gegen halb elf wird der Tisch schön und mit viel Liebe gedeckt: „Wir zelebrieren das Gesellschaftliche, das wir am Essen so lieben. Man löffelt den Saft, sitzt zusammen und redet – wie bei einem reich gedeckten Tisch.“ Hinterher besteht die Möglichkeit, eine Masseurin oder Kinesiologin in Anspruch zu nehmen, Meditationen folgen. Dann ist Zeit für einen gepressten Gemüsesaft, Tee und eine Fastensuppe. Ohne Salz, basisch und wärmend, besteht sie zu einem guten Teil aus Wurzelgemüse. Ingwer, Kräuter quer durch den Garten und frischer Schnittlauch verleihen dieser einen natürlichen Pepp. Dann ist Zeit für Freiraum, für einen Spaziergang, für Ruhe oder ein Gespräch, um später wieder Saft und Tee zu genießen. Das Abendprogramm wie Sauna oder ein Vortrag komplettiert den Fastentag.
Fastenkrise
„Die erste Zeit vergeht langsam, der Körper muss sich erst an das Programm gewöhnen und zeigt oft die Schwächen die er hat, was man auch Fastenkrise nennt“, erläutert Suan, die sich bereits seit gut 30 Jahren mit dem Thema beschäftigt. Kopfweh, Kreislaufprobleme oder schwere Beine sind keine Seltenheit. Tja und auch die Gefühle können Achterbahn fahren, so auch bei Leuten, die auf den ersten Blick gar nicht so emotional wirken.
„Die Gefühle gleichen oft einer Hochschaubahn. Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt: so wie der Körper die Schlacken abbaut, werden auch psychische Schlacken abgebaut. Oft kommen alte Dinge aus der Kindheit zum Vorschein, hier wird also auch durchgeputzt, vorausgesetzt man lässt es zu. Es ist umso wirkungsvoller, je mehr man sich öffnet.“ Für Suan wäre Vorfreude bereits die beste Einstellung, um dem Fasten zu begegnen. Gespräche oder Tagebuch schreiben können zur besseren Aufarbeitung beitragen. In Ruhe bringen, reinigen, „in meine Mitte kommen, weil nur dort habe ich die Kraft“, stehen im Fokus.
Fasten ist nicht gleich Diät
Die Teilnehmer haben oft die Motivation perfekt zu sein, von oben bis unten „rein“. „Meiner Meinung nach ist es viel wichtiger, durchlässig zu werden, so dass Energien und Säfte frei fließen können.“ Bedingt durch psychische und physische Schlacken bilden sich Staus im Körper, „je durchlässiger man ist, desto glücklicher und zufriedener ist man mit sich selbst“, ist die Fastenbegleiterin überzeugt. Das Gewicht sei lediglich sekundär. Fasten dürfe auf keinen Fall mit einer Diät gleichgesetzt werden, das greife viel zu kurz.
Kunterbuntes Fastenklientel
Von Unternehmern bis zur Hausfrau – die Klientel ist buntgemischt. Grundsätzlich seien die Frauen ein wenig fastenfreudiger als Männer. Aber eines ist vielen gemein: Sie sind dem Stress im Alltag ausgeliefert, suchen Methoden, um abschalten zu können. Es kann auch eine Burnout-Prophylaxe sein, meint die 75-jährige. Wichtig ist es stets bei sich selbst anzusetzen, „es ist einfacher mich zu verändern, als die Umgebung.“ Sich wertvolle Ruhezeiten zu gönnen - sei es auch nur eine Viertelstunde - oder ins Narrenkastl schauen, das Nichts tun ist kraftvoll. „Und der Körper ist ja schon so dankbar, wenn man ihm wenigstens ein bisschen Ruhe zukommen lässt.“
Hungerphasen gehören dazu
Suan Rojas Kopeinig ist überzeugt davon, dass viele Krankheiten durch das Fasten positiv beeinflusst werden. Zudem würden Hungerphasen, evolutionär bedingt, immer schon zum Menschen dazugehören. Egal ob Indianer oder Buddhisten, vor großen Entscheidungen oder wenn sie Klarheit gebraucht haben, wurde gefastet, oft bis zu 40 Tagen.
Am ersten Abend der Woche bekommen die Teilnehmer übrigens ein gedämpftes Gemüse, ohne Salz. Nicht unbedingt zur Freude der Meisten. Beim „Abfasten“ gegen Ende steht dieses wieder am Programm. „Da sind Welten dazwischen, man genießt das kleine Karotterl bis zum Geht-nicht-mehr“. Die Geschmacksknospen sind wieder hergestellt, die Wertschätzung gegenüber dem Lebensmittel groß.
„Ich bin sowieso der Meinung, dass wir mit zehn Prozent der Menge, die ein Durchschnittsmensch isst, auskommen würden. Aber wir neigen dazu, alles zu übertreiben – das ist unsere Gesellschaft.“
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