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Michael Angerschmid: „Da denkst du dir schon einmal: Was passiert da gerade?“

Walter Horn, 29.06.2024 17:05

EITZING. Von Eitzing via Europacup-Sieg in die Premier League – diesen bemerkenswerten Karriereweg hat Michael Angerschmid (50) geschafft. Der ehemalige Verteidiger der SV Ried ist jetzt Co-Trainer von Oliver Glasner beim Süd-Londoner Traditionsverein Crystal Palace, den „Eagles“. Kurz vor dem Ende seines Heimaturlaubes besuchte er die Tips-Redaktion zu einem Gespräch.

Michael Angerschmid wechselte nach knapp einem Jahr Pause mit Oliver Glasner zu Crystal Palace nach London. (Foto: Tips / Horn)

Tips: Hatten Sie schon immer eine Trainerlaufbahn geplant?

Angerschmid: Nicht wirklich. Als ich 2007 wegen meiner Achillessehne zu spielen aufhörte, hat mir Stefan Reiter das Angebot gemacht, die Rieder Amateure zu trainieren, die damals in einer Spielgemeinschaft mit Neuhofen waren. Das habe ich als spannende Aufgabe gesehen und ich habe dann auch schnell die Trainerkurse, A-Lizenz und Pro-Lizenz, gemacht. In Neuhofen war ich viereinhalb Jahre, dann eineinhalb Jahre Cheftrainer bei der SVR. Danach war ich kurzzeitig daheim und dann sind wir, Oliver Glasner und ich, zum LASK gegangen.

Tips: Haben Sie damals schon im Entferntesten an die deutsche Bundesliga, Premier League und Europacup gedacht?

Angerschmid: Nein, gar nicht. Das war zu diesem Zeitpunkt viel zu weit weg. Der LASK war damals in der zweiten Liga, wir sind erst im zweiten Jahr aufgestiegen. Als wir uns für den Europacup qualifizierten, hat es irgendwie seinen Lauf genommen. Es gab Anfragen aus der deutschen Bundesliga da denkst du dir schon einmal „Was passiert da gerade?“. Als die Sache mit Wolfsburg fix war, war aber auch relativ schnell klar, dass sich für uns bei der Arbeit nicht so viel ändern wird. Du hast mehr Möglichkeiten, der Staff ist größer, die Trainingszentren sind top, aber bei der täglichen Arbeit am Platz unterscheidet sich Deutschland nicht so viel von Österreich und England nicht so viel von Deutschland. Das ist relativ ident.

Tips: Wie funktioniert so ein Wechsel mit Oliver Glasner? Ruft er da an und sagt „Ich hab da ein Angebot von Crystal Palace, kommst du mit?“

Angerschmid: Ja, mehr oder weniger. Als wir im vorigen Jahr daheim waren, waren wir permanent im Austausch und haben einmal in der Woche miteinander telefoniert. Als von Crystal Palace die Anfrage kam, hat Oliver Ronnie Brunmayr und mich informiert und gefragt, wie wir dazu stehen. Dann wägst du das Ganze ab, aber es ist ja eine spannende Aufgabe und es gibt nicht so viel zu überlegen.

Tips: In England haben ja die Trainer einen anderen Status als hier und haben auch mehr Manageraufgaben. Was sind die größten Unterschiede?

Angerschmid: Du hast mehr Mitspracherecht, was Kaderplanung angeht. Als Trainer oder Manager bist du für die letzte Entscheidung zuständig. Es gibt bei uns auch einen CEO (Steve Parish) und einen Sportdirektor (Dougie Freedman), der uns Spieler vorschlägt, die am Markt sind und die wir haben könnten. Wir bekommen dann Videos, diskutieren untereinander. In England ist es schon so, wenn der Manager sagt „den will ich nicht“, wird der auch nicht geholt. Und wenn wir sagen „diesen Spieler brauchen wir auf einer bestimmten Position, weil er uns weiterhilft“, dann wird versucht, ihn zu verpflichten.

Tips: Wie ist die Arbeitsaufteilung?

Angerschmid: Neben Oliver und mir sind noch Ronnie Brunmayr, Emanuel Pogatetz und Co-Trainer Paddy McCarthy, der schon vorher da war, dabei. Oliver plant das Training, dann sprechen wir uns ab, wer welchen Part macht und welche Übungen leitet. Oft arbeiten ja mehrere Gruppen parallel; einer von uns übernimmt die defensiven Spieler, einer die offensiven und einer macht die Standards. Oliver ist meistens dazwischen und schaut überall drüber. Die taktischen Dinge macht er meistens selbst. Die Aufgaben sind mittlerweile so komplex, dass man es alleine nicht mehr bewältigen kann. Wir variieren aber auch, damit nicht beispielsweise einer immer den Torabschluss macht. Für die Spieler ist das gut, weil jeder von uns eine andere Ansprache hat und auf andere Details achtet.

Tips: Was ist das Besondere an Crystal Palace?

Angerschmid: Es ist ein kleiner Verein, aber ein Traditionsverein. Das merkt man auch am Stadion, das mitten in einem Wohngebiet liegt. Den Verein zeichnet aus, dass alles relativ familiär ist. Der Umgang untereinander, ob mit Spielern oder Portier, passiert auf Augenhöhe. Wir haben ein Großraumbüro, da sitzen wir Co-Trainer, aber auch die Sekretärinnen. Das Trainingszentrum ist nicht allzu groß, du hast kurze Wege. Weil das Stadion relativ klein ist, gibt es immer gute Stimmung und es ist für englische Verhältnisse relativ laut. Bei den Fans gilt: „Einmal Crystal Palace-Fan, immer Crystal Palace-Fan“.

Tips: Wer sind eigentlich die traditionellen Rivalen von Crystal Palace?

Angerschmid: Für Crystal Palace gibt es in London kein echtes Derby. Die anderen großen Vereine sind alle im Norden von London. Das größte Derby ist gegen Brighton, das etwa 80 Kilometer südlich liegt.

Tips: Was ist das Saisonziel?

Angerschmid: Auf jeden Fall ein einstelliger Tabellenplatz. Und dann muss man schauen, wie weit es die Möglichkeit gibt, um die internationalen Plätze zu spielen. Die Serie, die wir am Saisonende hingelegt haben, war ja schon ganz gut. Wenn wir das in die neue Saison mitnehmen können, sollte das für den einstelligen Tabellenplatz reichen. Aber man muss auch schauen, wie die Mannschaft aussieht. In der Liga stehen die ersten sechs oder sieben von der Qualität und den Möglichkeiten etwas über den anderen. Aber von Platz acht bis 18 ist der Unterschied nicht so groß. Da kannst du jedes Spiel gewinnen, aber auch jedes Spiel verlieren.

Tips: Wie ist die Planung für die Saisonvorbereitung?

Angerschmid: Am Sonntag geht's wieder nach London. Am Montag trifft sich der Staff und bespricht die Vorbereitung und die Kadersituation, am Dienstag haben wir Testungen, und am Mittwoch starten wir offiziell mit dem Training. Ende Juli, Anfang August fliegen wir für eine Woche nach Amerika und spielen dort gegen Wolverhampton und West Ham.

Beim Kader ist noch einiges offen – zum Beispiel ist Bayern an Michael Olise interessiert. Wir sind aber auf alles vorbereitet und haben auch Spieler im Kopf, die wir holen könnten.

Tips: Wie lebt es sich in London?

Angerschmid: Gut. Coole Stadt. Ein bißchen anders als Eitzing. Aber auch anders als Frankfurt. Dort leben zehn Millionen Einwohner, es ist immer etwas los. Du hast alle Möglichkeiten: Fußball, Theater, Konzerte, die ganzen Sehenswürdigkeiten, und, und, und... Das Wetter ist auch nicht so schlecht, wie man bei uns glaubt. Du hast alle Möglichkeiten, wenn du essen gehen willst. Die Engländer sind manchmal ein wenig crazy, in der Stadt sieht man auch seltsame Gestalten, aber das ist völlig egal und man hat das Gefühl, dass jeder akzeptiert wird. Man ist auf der Straße nie alleine, es sind immer Leute unterwegs. Aber sie sind hilfsbereit und freundlich.

Tips: Haben Sie überhaupt Zeit für diese Möglichkeiten?

Angerschmid: Ich bin kein Theatergeher, aber am Abend gibt es schon die Möglichkeit, dass ich mir zum Beispiel mal Abba oder etwas anderes anschaue. Es ist nicht so, dass wir von sieben Uhr früh bis zehn Uhr nachts mit Arbeit eingedeckt sind. Wir können es uns schon ein wenig richten. Wenn's passt, packst du halt mal um vier oder halb fünf zusammen und gehst, was die Engländer gerne machen, „after work“ in ein Pub, trinkst dort etwas und gehst nach zwei Cider heim. Aber diesen Ausgleich zum Fußball brauchst du auch.

Tips: Und die Familie bleibt hier?

Angerschmid: Die bleibt hier, wobei meine Frau die Stunden auf der Gemeinde in Aurolzmünster reduziert hat und jetzt pendeln wird ein paar Wochen in London, ein paar Wochen hier. London ist kein Problem, es gehen jeden Tag von Salzburg Flüge. Mein Sohn studiert in Wien, der steigt in Wien in den Flieger. Das lässt sich alles ganz gut handeln, auch weil wir es in den letzten vier Jahren in Wolfsburg und Frankfurt auch so hatten. Das ist für Außenstehende eher ein Problem, als wenn man selbst damit konfrontiert ist.

Tips: Sie leben in London im 50. Stock ...

Angerschmid: Ja, in Canary Wharf. Von meinem Balkon schaue ich direkt auf die O2 Arena und über halb London. Beim Besichtigungstermin hat es sofort gepasst. In Eitzing wohne ich eh ebenerdig. Es liegt ein wenig außerhalb vom Zentrum und ist etwas ruhiger, ohne die Touristenströme wie bei der London Bridge oder Tower Bridge. Von Haustür zu Haustür fahre ich mit den Öffis in 40 Minuten zum Trainingsgelände. Das ist in London kurz.

Tips: Wie ist das Verhältnis zu den Medien in London?

Angerschmid: Das bekomme ich als Co-Trainer nicht wirklich mit. Es ist aber anders als in Österreich oder in Deutschland. Wir trainieren die ganze Woche unter Ausschluss der Öffentlichkeit, auch ohne Journalisten. Es gibt einmal in der Woche eine Pressekonferenz, meistens am Donnerstag, wenn wir am Samstag spielen. Aber während der Woche hast du eigentlich keinen Kontakt zu Journalisten – ich als Co-Trainer sowieso nicht, aber Oliver auch relativ wenig. Die Medienlandschaft in England ist riesengroß, aber wir waren auch noch nicht in der Situation, dass wir schlechte Presse bekommen. Wir haben schon mitbekommen, wie zum Beispiel Harry Maguire angegriffen wurde oder dass jetzt Nationaltrainer Gareth Southgate in der Schusslinie steht. Für uns ist in den drei Monaten bisher alles positiv.


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