BEZIRK ROHRBACH. „Ich bin am Leben. Oma ist am Leben.“ Jeden Morgen ist eine junge Weißrussin, die seit neun Jahren im Mühlviertel lebt, dankbar für diese Botschaft. Ihre Mutter lebt bei der Großmutter in der Ukraine, die restliche Familie ist zerstreut in der Ukraine und Weißrussland. Sie weiß also, dass der seit einem Jahr andauernde Krieg Leid zu den Menschen in allen Ländern bringt.
Die gebürtige Weißrussin, die jeden Sommer bei ihrer Oma in der Ukraine verbracht hat und somit die Kulturen beider Länder kennt, möchte anonym bleiben. Denn wer gegen den Krieg oder die aktuelle Regierung ist, gilt als Staatsfeind. Selbst ein „Gefällt mir“ in den sozialen Medien oder das Teilen von regimekritischen Inhalten können schlimme Folgen haben. „Wer protestiert, wird verfolgt, ins Gefängnis gesteckt oder mit Arbeitsentzug sanktioniert. Dann ist es sehr schwierig, eine neue Arbeitsstelle zu finden, weil es fast nur verstaatlichte Unternehmen gibt“, schildert die junge Frau die Situation in ihrem Heimatland. Die Gefängnisse sind überfüllt, „aber nur mit intelligenten Leuten, die nichts verbrochen haben. In Weißrussland ist das noch schlimmer als in Russland, weil es wie ein Dorf ist und somit leichter zu kontrollieren.“
Weißrussen sind der Feind
Weil Belarus sein Territorium für russische Truppen und Raketenwerfer zur Verfügung gestellt hat, gilt es als „Mit-Aggressorland“. Die Ukrainer haben die Grenze zu Weißrussland gesperrt, reagieren feindselig auf ihre Nachbarn. Ihre Mutter, die schon seit 2018 wieder bei der Oma in der Ukraine lebt, um sie zu unterstützen, habe das hautnah erlebt: „Als zu Kriegsbeginn die Geschäfte zu hatten, wurden Milch- und Brottransporte zu den Dörfern organisiert. Einer der Fahrer meinte zu ihr, für Feinde habe er kein Brot.“
Schwieriger Alltag
Generell ist der Alltag für die 66 und fast 93 Jahre alten Frauen in der Ukraine sehr schwer. „Strom gibt es nur ein paar Stunden am Tag, wenn Oma nachts Medikamente braucht oder der Blutdruck gemessen werden muss, machen sie das bei Kerzenschein. Die Preise für Lebensmittel und Medikamente sind extrem gestiegen und Mama kann auf ihr Konto in Weißrussland nicht zugreifen. Sie leben von der kleinen Pension meiner Oma. Am Anfang des Krieges haben mehrmals am Tag und in der Nacht die Sirenen geheult, dann haben sie sich im Bad versteckt. Das war sehr mühsam, denn Oma kann fast nicht mehr gehen. Mittlerweile gibt es über Telegram detaillierte Infos zu den Angriffen und es ist nicht mehr ganz so chaotisch. Aber die Ärzte dürfen bei Sirenen-Alarm nicht zu den Patienten und es gibt nur telefonische Hilfe oder man muss sich einfach selbst helfen“, berichtet die Wahl-Mühlviertlerin.
Mittels Nachrichtendienst bleiben die Geschwister und Eltern in Kontakt, sie schreiben sich jeden Tag. Über Politik wird aber nicht geredet: „Wir sind nicht nur physisch getrennt, sondern haben auch ideologisch und politisch verschiedene Ansichten. Ich kenne viele, die durch den Krieg den Kontakt zueinander verloren haben, Freundschaften sind zerbrochen und die Stimmung ist oft sehr gereizt und aggressiv. Man ist vorsichtiger geworden und vertraut den anderen nicht mehr so leicht.“
Bruder gegen Bruder
Größte Angst in beiden Ländern ist, dass Russland Weißrussland in den Krieg hineinzieht. Die Daten aller Männer seien bereits aufgenommen, gegen eine Mobilisierung könne sich keiner wehren. Dann müsste Bruder gegen Bruder oder Cousin kämpfen. „Für Weißrussen ist es auch ganz schwierig, das Land zu verlassen. Und wenn sie die Flucht schaffen, haben sie in der EU nicht dieselben Rechte wie Ukrainer und bekommen keine Unterstützung. Ukrainer und Weißrussen werden ganz unterschiedlich behandelt.“
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