Long Covid und ME/CFS: Wenn die Energie für den normalen Alltag nicht mehr ausreicht
ROHRBACH-BERG/ALTENFELDEN. Die Covid 19-Pandemie hat eine Krankheit ans Licht gebracht, die zwar schon 1969 erstmals diagnostiziert wurde, die aber ob der Seltenheit nicht wirklich wahrgenommen wurde. Seit Corona häufen sich die Fälle von Long Covid oder ME/CFS. Betroffen sind vor allem junge Leute, für die ein normaler Schul- oder Berufsalltag undenkbar wird. Hilfe finden sie im Kinder- und Jugendrehazentrum kokon.
280 junge Patienten hat die Kinder- und Jugendärztin Beate Biesenbach seit März 2021 im kokon in Rohrbach-Berg behandelt und betreut. Etwa jene 16-Jährige, die mit Dingen kämpft, die eigentlich ganz selbstverständlich sind, wie zu atmen oder länger zu stehen. „Sie kommen zu uns, wenn sie den Alltag nicht mehr bewältigen können“, sagt die Fachärztin. Ein normaler Schulbesuch an fünf Tagen in der Woche ist nicht möglich, und an Freizeitgestaltung oder zusätzliche Beschäftigung ist natürlich überhaupt nicht zu denken. „Die Motivation ist sicher nicht das Problem“, betont die Ärztin. Denn die Krankheit raubt den jungen Körpern die Energie.
Multisystemerkrankung
ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) ist eine neuroimmunologische Erkrankung, die vermutlich durch eine Fehlregulation des Immunsystems und des autonomen Nervensystems meist nach einer viralen Infektion auftritt – nach Influenza, Streptokokken, Pfeiffersches Drüsenfieber oder eben Covid 19 – und vor allem Jugendliche und junge Erwachsene trifft. Patienten leiden neben einer schweren körperlichen Schwäche und verminderten Belastbarkeit häufig an Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Verdauungsproblemen. Konzentrations-, Merk- und Wortfindungsstörungen, Infektanfälligkeit.
Mehr Training macht es schlechter
„Charakteristisch ist die Post-Exertionelle Malaise (PEM): Nach körperlicher oder geistiger Anstrengung, sei sie noch so gering, verstärken sich die Symptome. Mehr Training macht es also nicht besser“, beschreibt Beate Biesenbach. „Die jungen Patienten müssen ihre Belastungsgrenzen finden.“ Das ist in diesen Fällen auch das Ziel des Reha-Aufenthalts: „Es geht um Stabilisierung und um den Aufbau von individuellen Helfersystemen.“ Denn eine ursächliche Therapie gibt es nicht – Symptome können aber sehr wohl gelindert werden. „Wir können was tun, um den Kreislauf, den Schlaf oder die Stimmung zu verbessern, die Verdauung zu fördern oder Schmerzen zu nehmen. Wenn man überall ein bisschen was besser machen kann, hilft das enorm“, gibt die Medizinerin den jungen Betroffenen Zuversicht. Auch die Forschung schreitet voran: „Wir sind jetzt auf einem ganz anderen Wissensstand als 2021 und haben viel Erfahrung gesammelt. Wichtig ist, dass sich Anlaufstellen verbessern und Konzepte entwickelt werden, damit frühzeitig reagiert werden kann.“
Pro Monat werden mindestens sechs Patienten im kokon für jeweils vier Wochen betreut. Die Nachfrage nach Plätzen wäre viel höher. Die Reha-Einrichtung für junge Leute in Rohrbach-Berg ist eine von nur drei in ganz Österreich, die einen Schwerpunkt auf Long Covid und ME/CFS legen. Oberstes Ziel ist stets, die Jugendlichen zurück in den Alltag, zurück in die Schule, zu bringen. „100 Prozent geht selten, aber zumindest Teil-Präsenz wäre immer das Ziel“, sagt Biesenbach.
Die eigene Baseline finden
Die Erkrankung hat Auswirkung auf die ganze Familie, Patienten werden wieder abhängig. Ergotherapeutin Helene Bauer, die in ihrer Praxis in Altenfelden Patienten mit Long Covid betreut und auch Hausbesuche und Teletherapie anbietet, weiß, dass es nicht ohne Angehörige oder Hilfsdienste geht. Sie hilft Betroffenen, die eigene Baseline zu finden: „Wichtigstes Tool ist das Pacing, also das Energiemanagement. Die Patienten müssen mit ihrer Energie immer im Plus bleiben – sonst kommt es zum Crash und dann geht tagelang nichts mehr.“ Sie müssen lernen, auf ihren Körper zu hören, Warnsignale wahrzunehmen und Strategien zu entwickeln, um ein Stück Selbstbestimmung im Alltag zurückzugewinnen.
Außer Pacing gibt es keinen Gamechanger bei Long Covid, „jedem hilft was anderes“ sagt Bauer. „Für normal gesunde Menschen ist diese Krankheit nur schwer vorstellbar. Die Auswirkungen sind oft nicht erkennbar und werden daher unterschätzt, dabei sind sie extrem einschränkend. Meine Sorge ist, dass die Leute nicht ernst genommen werden.“ Im Arbeitskreis der Ergotherapeuten Österreich tauscht sie sich regelmäßig mit Kollegen, auch aus der Schweiz, aus. Wir probieren viele verschiedene Ansätze, um unsere Patienten bestmöglich zu begleiten, denn noch gibt es wenig Evidenz.
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