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Expertin Saïda Keller-Messahli: "Wir haben in Europa ein Problem mit dem organisierten Islam"

Thomas Lettner, 23.05.2017 10:56

ST. PÖLTEN. Der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) veranstaltete gestern gemeinsam mit dem Land Niederösterreich, der Stadt St. Pölten und Wr. Neustadt eine Podiumsdiskussion zum Thema „Neue Freiheiten, alte Zwänge? Herausforderungen bei der Integration von geflüchteten Frauen in Österreich“. Tips sprach vorab mit der Schweizer Islamexpertin Saïda Keller-Messahli.

(v.l.) Wrangha Poya (Dolmetscherin im Team Werte- und Orientierung), Martina Eigelsreiter (Leiterin des Büros für Diversität der Stadt St. Pölten), Moderatorin Nalan Gündüz, Islam-Expertin Saïda Keller-Messahli und Psychotherapeutin Elisabeth Cinatl Foto: Thomas Lettner

Tips: Frau Keller-Messahli, können Sie sich bitte kurz vorstellen?

Keller-Messahli: Ich bin Präsidentin und Gründerin des Forums für einen fortschrittlichen Islam in der Schweiz. Von Beruf bin ich Gymnasiallehrerin, aber ich bin daneben auch politisch tätig. Ich mache viele Referate und gebe viele Kurse - auch in Österreich - zum Thema Radikalisierung und Dschihadismus. Ich unterrichte auch das Strafvollzugspersonal in der Schweiz zu diesem Phänomen der Radikalisierung. In Österreich bin ich oft für verschiedene Berufsgruppen unterwegs wie Lehrer, Sozialarbeiter oder Flüchtlingsbetreuer.

Haben Sie selber auch Migrationshintergrund?

Ja, ich bin in Tunesien geboren und teilweise auch dort aufgewachsen. Mit sieben Jahren bin ich in die Schweiz gekommen zu einer Pflegefamilie in Grindelwald. Mit 13 wurde ich zurückgeschickt zu meinen Eltern und habe in Tunis ein französisches Gymnasium absolviert. Dann habe ich zwei Jahre in Saudi Arabien gearbeitet. Seit 40 Jahren wohne ich ununterbrochen in der Schweiz.

Sind Sie auch Muslimin?

Ja.

Was verstehen Sie unter dem fortschrittlichen Islam?

Wir verstehen darunter, dass wir eine Art des Islam entwickeln müssen, die sich an den Menschenrechten, an demokratischen Prinzipien und am internationalen Recht misst. Wir versuchen, die Dinge so zu lesen und zu leben, dass sie mit unserem Leben im 21. Jahrhundert kompatibel sind, und dass Prinzipien wie die Gleichberechtigung der Geschlechter, wie individuelle Rechte und wie demokratische Prinzipien umgesetzt werden.

In welchen Bereichen hat die arabische Welt Ihrer Meinung nach die größten Defizite?

Die meisten arabischen Gesellschaften haben sehr viele Defizite. Das Hauptmanko sehe ich in der Akzeptanz der Alterität, also der Akzeptanz der Verschiedenheit und Andersartigkeit im Sinne von Geschlecht, Religion, Weltanschauung und Lebensgestaltung. In einer mehrheitlich islamischen Gesellschaft ist das Hauptproblem, dass es nicht akzeptiert wird, wenn jemand aus der Reihe tanzt, das heißt, wenn sich jemand nicht in dieses allgemeingültige Verhalten fügt oder in diese allgemeine Sichtweise.

Sprechen Sie jetzt von Homosexualität oder von religiösen Minderheiten?

Egal, ob es sich um geschlechtliche Minderheiten, religiöse oder ethnische Minderheiten handelt, jede Form von Minderheit in der – ich sage es ganz bewusst – mehrheitlich islamischen Gesellschaft, hat es sehr schwer. Gerade heutzutage mit dem Aufkommen des politischen Islam, also des Islamismus, sind Menschen, die nicht so ticken wie die Mehrheit, besonders bedroht. Der Anschlag auf die Kopten in Ägypten war auch kein Zufall, weil die Minderheit in einem gesellschaftlichen System besonders gefährlich lebt, das alle Menschen unter einer Haube haben möchte. Der totalitäre Charakter des politischen Islam toleriert nicht, dass jemand anders glaubt oder anders fühlt im Leben.

Bei der Podiumsdiskussion geht es aber um die Integration von geflüchteten Frauen?

Ja. Es geht um die Situation von geflüchteten Frauen hier in Österreich und darum, wie man die Schwierigkeiten für Frauen in der Integration vermindern kann. Ich denke, dass besonders Österreich eine hervorragende Politik betreibt in Sachen Flüchtlinge, weil sie eine unglaubliche Infrastruktur und auch Mittel und Ressourcen zur Verfügung stellt, um diese Probleme auch wirklich zu benennen und etwas aktiv dagegen zu tun. Man überlässt die Menschen nicht einfach sich selbst, sondern man hat ein unglaubliches Programm, das Wissen über die österreichische Gesellschaft vermittelt. Man hilft den Menschen die Sprache zu erwerben und hilft ihnen auch sonst Fuß zu fassen. Das ist nicht in allen Ländern so. Das möchte ich mit meiner Anwesenheit unterstützen, denn ich sehe, dass in Österreich die Weichen richtig gestellt wurden und dass man über die Probleme spricht. Das ist schon einmal sehr viel. Ich sehe auch, dass mit dem neuen Integrationsgesetz auch ein politischer Wille da ist, die Probleme zu benennen und klar Position gegenüber diesen Problemen zu beziehen wie beispielsweise das Verbot der Lies-Stände der Salafisten, an denen sie  Gratis-Korane verteilen. Wir haben dieses Problem auch in der Schweiz.

Was versteht man unter den Lies-Ständen?

Das sind Salafisten, die vor allem in Deutschland unterwegs sind. Es gibt auch Gruppen in Österreich, die sich vorgenommen haben, 25 Millionen Gratis-Korane zu verteilen. Sie sind Teil einer weltweit agierenden Organisation, die den Islam unter die Leute bringen möchte. Da stellt sich natürlich die Frage, der Finanzierung dieser 25 Millionen Exemplare. Diese Salafisten sind auch in Österreich unterwegs, werden aber jetzt verboten. Es gibt auch noch eine andere Gruppe in Österreich, die heißt Iman, was auf Arabisch Glaube heißt. Die machen genau dasselbe, sie geben auch Workshops, sie kommen auch in die Schweiz zu unseren Salafisten, um Workshops zu machen und den jungen Salafisten beizubringen, wie sie am besten missionieren können im öffentlichen Raum. Ich nehme an, dass auch das unter das neue Integrationsgesetz fällt und verboten wird. Österreich hat auch eine klare Position zum Nikab, also zur Totalverschleierung der muslimischen Frauen. Österreich sagt ganz klar Nein dazu. In der Schweiz sind wir noch am Diskutieren, ob das verboten werden soll. Meiner Meinung nach ist das die richtige Antwort auf diesen Versuch der Salafisten, uns etwas schmackhaft machen zu wollen, das wir nicht akzeptieren. Der Nikab ist etwas Unwürdiges, es ist eine Markierung ihrer körperlichen Anwesenheit im öffentlichen Raum, die sehr diskriminierend ist, und die sie uns akzeptabel machen wollen. Ich sehe, dass Österreich viel an neuralgischen Punkten unternimmt, um die Diversität der Probleme im Zusammenhang mit einem radikal verstandenen Islam zu erfassen und zu behandeln.

Wie groß sehen Sie den Einfluss der Islamisten in Österreich?

Ich sehe, dass wir in Europa ein Problem mit dem organisierten Islam haben. Die Moscheen-Verbände und –vereine wollen von Integration nichts wissen. Ich war kürzlich in Salzburg, und da habe ich gemerkt, wie stark es in gewissen Quartieren bereits eine Parallelgesellschaft gibt um die Moscheen herum. Für mich ist ganz klar, - weil ich zu diesem Thema forsche und dazu auch ein Buch schreibe, das im August erscheinen wird – dass der organisierte Islam in Form von Vereinen und Verbänden die soziale Integration nicht will und gegen die soziale Integration arbeitet. Das Problem ist, dass gerade diese Vereine und Verbände oft Ansprechpartner der Behörden sind. Das ist ein großes Problem, dem nur beizukommen ist, wenn man die Mehrheit der Muslime miteinbezieht, also die säkularen (weltlichen) Kräfte. Das ist die ganz große Mehrheit der Muslime, auch in Österreich. Die Moscheen-Vereine repräsentieren höchstens 15 Prozent der Muslime, die hier leben. Es gibt aber auch Menschen, die nicht in diesen Moschee-Vereinen sind und ganz klar eine säkulare Haltung haben, also das Politische vom Religiösen ganz klar getrennt haben möchten. In Wien haben wir gerade ein Projekt, das heißt wienermoschee.at. Darin sind einige Leute, die säkular denken und eine neue Moschee gründen wollen, die vieles neu haben möchte. Dazu gehört zum Beispiel das demokratische Prinzip, dass Männer und Frauen im selben Raum beten und dass die Frauen nicht abgetrennt werden in einem Hinterraum oder im Untergeschoss. Frauen sollen dort auch ohne Kopftuch, das vorislamisch ist, beten können. Der Islam hat ja das Kopftuch übernommen, es ist aber nicht islamisch. Es ist im Koran auch nicht die Rede vom Kopftuch, sondern es ist reine Interpretationssache. Ein ähnliches Moscheen-Projekt wird in vier Wochen in Berlin. Wir werden dort am 16. Juni auch so eine Moschee gründen, um ein Gegengewicht zu den Moschee-Vereinen zu schaffen, weil wir sehen, dass sie alle den politischen Islam repräsentieren. Bis vielleicht auf ganz wenige alevitische Gemeinden ist leider der Einfluss von Saudi Arabien zu stark geworden, ob jetzt in albanischen Moscheen oder in bosnischen Moscheen. Was die Türkei macht, gehört auch zum politischen Islam. Deswegen haben wir beschlossen, ein Gegengewicht herzustellen, um Alternativen aufzuzeigen, wie es sein könnte, und wer Ansprechpartner der Behörden sein könnte. Das Problem ist oft, dass die Behörden oft keine Alternative haben, sie sich deshalb auf den organisierten Islam stürzen und die 90 Prozent der säkularen Muslime außen gelassen werden.

Das heißt, Sie wollen eine strikte Trennung von Politik und Religion?

Ja.


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