Erinnern im Alltag - „Stolpersteine“ für Steyr
„Stolpersteine“ aus Messing vor Wohnhäusern und Geschäften sollen die Steyrer:innen ab dem kommenden Jahr darauf aufmerksam machen, dass in ihrer Nachbarschaft Juden und Jüdinnen wohnten und lebten, die in der NS-Zeit verfolgt, vertrieben und ermordet wurden.
In Steyr hat sich seit Ende der 1980er-Jahre eine Erinnerungskultur etabliert, die ihr Augenmerk im Besonderen auf die Aufarbeitung der NS-Zeit gerichtet hat. Der „Stollen der Erinnerung“ - als begehbarer Ort der Mahnung - ist neben vielen anderen Gedenkfeiern und Veranstaltungen insbesondere des Mauthausen Komitees Steyr zu nennen.
Das Mahnmal für die jüdischen Opfer der Shoah am Judenplatz von Rachel Whiteread oder die Gedenkmauer mit über 64.000 Namen von ermordeten jüdischen Frauen, Männern und Kindern im Ostarrichpark in Wien sind wie der „Stollen der Erinnerung“ in Steyr, Orte, die aus dem Alltag insofern herausfallen, als sie bewusst aufgesucht werden müssen. Als sogenannte „Gegendenkmäler“ stehen sie im Kontrast zu traditionellen Erinnerungsorten wie den meist heroisch und pompös gestalteten Kriegerdenkmälern, die Verfolgung, Deportation und Völkermord ausklammern. So unverzichtbar diese „Gegendenkmäler“ sind und bleiben werden, so müssen sie bewusst aufgesucht werden.
Mit dem Projekt der „Stolpersteine“ des deutschen Künstlers Gunter Demnig wird den traditionellen „großen“ Erinnerungsorten ein neuer Gedanke hinzugefügt. Die 96x96 mm kleinen in den Boden vor den Wohn- und Arbeitsorten von ehemaligen Juden und Jüdinnen eingelassenen „Stolpersteine“ machen aufgrund ihres Aussehens darauf aufmerksam, dass hier einst Menschen lebten, die vertrieben oder ermordet wurden. Dieses metaphorische Stolpern ist ja in Wirklichkeit kein „Stolpern“, sondern wird zu einem Erinnern, das im Alltag verortet werden soll. Auf dem Weg ins nächste Geschäft, beim beiläufigen Schlendern durch die Stadt oder beim Gang zum Arzt, also überall dort, wo Jüdinnen und Juden wohnten und arbeiteten, sollen die „Stolpersteine“ immer wieder an eine Geschichte erinnern, die lange verdrängt und die erst spät ins Bewusstsein der Österreicher:innen drang.
Es ist wichtig, dass auch die Jugendgeneration in dieses Projekt eingebunden wird, weil die Erinnerung an die menschenverachtende NS-Zeit immer blasser wird. Gerade heute wird unsere Gesellschaft wieder von demokratiegefährdenden Strömungen wie Antisemitismus, Rassismus und geschichtsfälschenden Darstellungen gefährdet. Daher werden Schülerinnen und Schüler aus zwei Schulen im kommenden Schuljahr in das Projekt „Stolpersteine“ für Steyr eingebunden und im Rahmen des Unterrichts das Projekt mitgestalten.
Vielleicht kann Steyr mit der Verlegung dieser Erinnerungszeichen zu alledem, was hier an jene unheilvolle Zeit bereits erinnert, ein Beispiel für andere Städte vergleichbarer Größe sein und Vorbild werden.
©Waltraud Neuhauser-Pfeiffer
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