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Todesmärsche: Gedenkinitiative sucht Zeitzeugen

Angelika Hollnbuchner, 07.01.2015 08:00

REGION STEYR. Das Retten von Erinnerung an den Todesmarsch ungarischer Juden 1945 soll 2015 großes Thema sein. Ein Buch und zahlreiche Aktivitäten blicken auf ein weitgehend verdrängtes Kapitel regionaler Geschichte zurück.

Bilder, die den Weg der getriebenen Juden im Ennstal nachvollziehen, sind heute rar. Die Fotografie von Johann Rieder aus dem Jahr 1925 zeigt die Stiedelsbachmündung im Losensteiner Ortsteil „Höll“. Die Führung der alten Eisenstraße, entlang welcher 20 Jahre später Todesmärsche stattfanden, ist gut erkennbar.** Foto: Gemeinde Losenstein
Weil er vor Hunger und Erschöpfung nicht mehr weiter kann, bleibt ein Neunjähriger vor einer Fleischerei am Wieserfeldplatz stehen und lechzt durchs Gitter nach einem Happen Nahrung. Als er erwischt wird, fährt ein Sturmgewehr über seinen Rücken. Ob er damals sterben musste, ist nicht überliefert. Im April 2015 jährt sich zum siebzigsten Mal, was als Todesmärsche 1945 in die Geschichte einging. Entrechtete Menschen, ungarische Juden und KZ-Häftlinge, wurden damals von Außenlagern auch durch die Region Steyr und Kirchdorf getrieben. Viele Routen führten vom Sammelpunkt Graz ins Konzentrationslager Mauthausen und zu Nebenlagern wie Steyr-Münichholz. Die oft schon vor Ankunft tödlich endende Reise ging so für viele über Kleinreifling, Weyer, Großraming, Reichraming, Losenstein, Ternberg und Garsten. Die Pfarrchronik Kleinreifling nannte „dieses Judentreiben die größte Kulturschande, die das Ennstal je gesehen hat“, wie das Mauthausen Komitee Steyr zu berichten weiß. Weiße Flecken Neben einer Station im Steyrer „Stollen der Erinnerung“ beschäftigt sich in der jüngeren Vergangenheit das Buch „Vergessene Spuren“ (1989) von Waltraud Neuhauser und Karl Ramsmaier mit den schrecklichen Geschehnissen. Aus der Verdrängung holen will das Geschichtskapitel nun auch eine Initiative von Vertretern von Schulen, Kirchen, kommunaler Politik sowie Historiker und Privatpersonen. Sie versuchen im Rahmen des EU-geförderten Projekts „Halt ein!“ eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse in den Bezirken Kirchdorf und Steyr. Zeitzeugen sollen ermutigt werden, zu erzählen. Etwa davon, wie die qualvoll Getriebenen sich in ihrer Verzweiflung von Schnecken, Würmern und Gras ernährten. Wer die oft kaum noch Lebendigen vorbeiziehen sah, konnte die Bilder nur mühevoll vergessen. Wachmannschaften verhinderten damals jedwedes Zuhilfekommen. Wer dennoch zu Essen geben wollte, riskierte selbst ins KZ gehen zu müssen. Wenige Gedenkstätten Versuche einer breitenwirksamen Aufarbeitung scheiterten nicht zuletzt aufgrund der Verdrängung weitgehend. Wenig bekannt, verschleiert, sind die Todesmärsche bis heute; Gedenkstätten wie die Tafel am Sierninger Friedhof und das Grab am Jüdischen Friedhof Steyr sind rar. Im Gedenkjahr 2015 soll sich das ändern, auch die Stadt Steyr beteiligt sich an der Erinnerungs-Initiative. Etwa mit einer Themenführung, die an überlieferten Schauplätzen der Märsche entlang führen soll. Das BRG Michaelerplatz wird seine Schulpartnerschaft mit einem Gymnasium aus Szeged auffrischen, im Mai sind die Schüler aus Ungarn für Workshops zu Besuch. Aus Stadt und Bezirk Szeged wurden Juden 1944 zur Zwangsarbeit nach Österreich deportiert, auch sie mussten die Todesmärsche mitmachen. Angedacht ist weiters etwa in Kooperation mit den „Freunden von Yad Vashem“ ein Besuch von Überlebenden bzw. ihrer Nachkommen Anfang Mai in Steyr. Und auch die katholische Jugend Ternberg will die Ennstal-Todesmärsche heuer zu ihrem Thema machen. Erinnerung retten Parallel zur Planung verschiedenster Aktionen mit Partnern findet schon seit einiger Zeit die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte für Oberösterreich statt. „In der Steiermark, Niederösterreich und dem Burgenland ist dieses Kapitel Zeitgeschichte in vielen Publikationen aufgearbeitet, nicht aber in Oberösterreich, wohin alle Transporte gingen“, erklärt Ines Bernt-Koppensteiner. Die Zeithistorikerin aus St. Ulrich arbeitet deshalb zusammen mit weiteren Autoren an einem entsprechenden Sammelband (Titel: „nirgendwohin“) – mit sämtlichen bislang verstreuten, lokalen Vorarbeiten sowie neuen Forschungsergebnissen. Es soll bis Mai 2015 erscheinen. „Ein besonders leerer Abschnitt ist der Bereich Steyr Stadt, wo fast alle Transporte durchgetrieben wurden.“ Bernt-Koppensteiner hofft dennoch auf Zeitzeugen, überlieferte Schilderungen, vielleicht sogar Aufzeichnungen. „Die Angaben werden streng vertraulich behandelt“, hofft sie auf alle Arten von Hinweisen unter Tel. 07252/46518 oder 0650/3607078, E-Mail: zeitzeugen1945@gmx.at

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