Über Menschen mit Bedürfnissen und den Umgang in der Gesellschaft
VÖCKLABRUCK. Seit Jahren ist Birgit Brunsteiner ehrenamtlich bei der Lebenshilfe Oberösterreich tätig, nicht zuletzt wegen ihres Sohnes, der mit dem Down-Syndrom lebt. Nun wurde sie als Vizepräsidentin ins Präsidium gewählt.
Lange ist es her, dass Birgit Brunsteiner angesprochen und eingeladen wurde, bei Arbeitsgruppensitzungen teilzunehmen und bei Interesse in eben diesen Arbeitsgruppen auch mitzuwirken. Die Lebenshilfe war ihr aber schon lange vor der Geburt ihres Sohnes ein Begriff. Brunsteiner: „Ich kenne die Lebenshilfe schon seit über 20 Jahren, seit ich in Vöcklabruck bin, da sie im Stadtbild auch einfach präsent ist. Das Engagement hat sich dann durch die Arbeit in der Arbeitsgruppe langsam ergeben.“
Der Weg ins Präsidium
Die Wahl zur Vizepräsidentin war wohl weniger überraschend. „Das ist ein Prozess, über den schon lange im Vorhinein gesprochen wird. Dass es einen neuen Vorstand braucht und wer da in Frage kommen würde.“ Wirklich gerechnet hat Brunsteiner zwar damit nicht, jedoch wurde sie nicht zum ersten Mal gefragt. Vor einigen Jahren bot sich ihr schon einmal die Gelegenheit, das Amt zu übernehmen, doch sie lehnte ab, auch aufgrund des Alters ihres heute 13-jährigen Sohnes. „Für mich ist das Amt ein wirkliches Anliegen und auch eine Ehre. Das Engagement nehme ich mit Sicherheit sehr ernst.“
Inklusion als Grundpfeiler
Immer noch benötigt es Maßnahmen, Menschen mit Beeinträchtigung in die Mitte der Gesellschaft zu holen und aktiv ins alltägliche Leben einzugliedern. „Inklusion bedeutet, dass der Mensch mit Beeinträchtigung von ganz klein an dort dabei ist, wo auch alle anderen sind – inkludiert in die Gesellschaft.“ Gemeint werden hierbei nicht nur Kindergärten, Schulen oder Wohneinrichtungen, sondern explizit auch Freizeitangebote wie beispielsweise bei Vereinen.
Ein Blick in die Zukunft
So ist ein Ziel, welches das neue Präsidium anstrebt, dass vor allem Wohnmöglichkeiten für alle spätestens ab dem 40. Lebensjahr ermöglicht werden. Dies ist auch von besonderer Relevanz in Hinblick auf Angehörige, für welche es mit zunehmendem Alter schwieriger wird, sich um beeinträchtigte Familienmitglieder zu kümmern. Des Weiteren sollen die verschiedenen Arbeitsgruppen wieder aktiviert und auch unterstützt werden. Besonders in der Arbeitsgruppe Vöcklabruck ist Not am Mann. Hier werden unter anderem im Bereich Fundraising, Lobbying und Unterstützung in Bezug auf Freizeitangebote mehr Menschen benötigt, die sich ehrenamtlich engagieren und die Bewusstseinsbildung vorantreiben. Die LT1-Moderatorin erklärt: „Eine Gesellschaft muss man daran messen, wie sie mit den Schwächsten in ihrer Mitte umgeht. Erst wenn wir es schaffen, dass wir Menschen mit Beeinträchtigung in diese Mitte holen, sind wir eine funktionierende Gesellschaft.“ Brunsteiner erzählt, dass Menschen mit Beeinträchtigung keine wahlgewinnende Gruppe seien und gerade aus diesem Grund keine Lobby besitzen und daher oft nicht gesehen oder übersehen werden.
Gesellschaftliche Stigmata
Es soll normal werden, Menschen mit Beeinträchtigung im Alltag zu begegnen, sie zu erleben und aktiv wahrzunehmen. „In dem Moment, in dem du nicht der Norm entsprichst und funktionierst wie erwartet, wird es schwierig im Leben. Leider machen viele die Erfahrung, dass es auch nicht immer einfach ist, Unterstützung zu bekommen, sondern man um diese stark kämpfen muss.“ Über ihren Sohn erzählt die Mutter, dass er sie gelehrt habe, geduldiger zu sein und die Welt intensiver wahrzunehmen, dass das Leben nicht immer zu hundert Prozent perfekt ist, das aber auch nicht sein muss.
Wunsch an die Mitmenschen
Von der Gesellschaft fordert Brunsteiner mehr Akzeptanz und Toleranz sowie Verständnis und Geduld und mehr Bewusstsein dafür, dass Menschen mit Beeinträchtigung genauso zum Leben gehören würden wie alle anderen. So sagt sie: „Menschen mit Beeinträchtigung haben genauso Talente und möchten am Leben teilnehmen.“ Kinder wie ihr Sohn würden die Realität, welche Jugendliche durch die Lockdowns und die daraus resultierenden fehlenden sozialen Kontakte erfahren, jeden Tag leben – kaum Einladungen, kaum gemeinsame Aktivitäten mit Gleichaltrigen, kaum Inklusion außerhalb der Bildungseinrichtungen.
Der Beginn einer Reise
Menschen, die sich mit der Thematik zum ersten Mal auseinandersetzen möchten und nicht wissen, wo sie beginnen sollen, rät Brunsteiner, sich bei den Arbeitsgruppen der Lebenshilfe zu melden. Auf die Frage hin, ob sie Tipps für Personen habe, die vor kurzem Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom geworden sind, oder deren Angehörige, sagt sie Folgendes: „Das, was man von einem Kind mit Down-Sydrom an Liebe und Emotionen zurückbekommt, ist unbeschreiblich und kann man sich nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Die Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom ist der Beginn einer wunderschönen Reise und sicher nicht das Ende eines freien Lebens.“
Kommentare sind nur für eingeloggte User verfügbar.
Jetzt anmelden