Nachhaltige Stoffwindeln: „Mich nervte der Müllberg, den wir mit Wegwerfwindeln produzierten“
MOSTVIERTEL. Tatjana Kirchweger aus Böhlerwerk ist im Bezirk als Trage- und Stoffwindelberaterin unterwegs. Mit Tips sprach sie über ihren Beruf, den die 26-jährige Mutter dreier Kinder eher als Berufung sieht.
Tips: Frau Kirchweger, wie sind Sie zum Thema „Stoffwindeln“ gekommen?
Tatjana Kirchweger: Bereits bei meiner ersten Tochter habe ich überlegt, mit Stoffwindeln zu wickeln. Ich habe mich aber in diesem Dschungel an Systemen und unterschiedlichen Meinungen nicht zurecht gefunden und hatte leider auch keine Beraterin bei der Hand. Bei unserer zweiten Tochter war es genauso – bis ich dann Mullwindeln und ein paar Überhosen besorgt habe und einfach drauf los gewickelt habe. Mich nervte der Müllberg, den wir produzierten und auch, dass ich ständig Windeln besorgen musste. Als unsere zweite Tochter dann ein Jahr alt war, beschloss ich, selbst die Ausbildung zur Stoffwindel-Beraterin zu machen. Es war die beste Entscheidung. Unser drittes Kind wird von Beginn an mit Stoffwindeln gewickelt. Ich probiere ständig neue Sachen aus, da ich die Chance mit Wickelbaby nutzen möchte, mein Wissen für meine Beratungen laufend zu erweitern.
Tips: Was ist für Sie der Vorteil von Stoffwindeln?
Kirchweger: Ganz klar die Müllvermeidung – ein Wickelbaby, das mit herkömmlichen Wegwerfwindeln gewickelt wird, produziert im Schnitt eine Tonne Nassmüll! Dieser muss aufwendig verbrannt werden, da die Windeln etwa 400 Jahre zum verrotten brauchen würden. Dann bieten Stoffwindeln auch ein gesundes Hautgefühl – das Windelklima in einer Stoffwindel ist um zwei bis drei Grad kühler als in einer Wegwerfwindel. Dies wirkt sich sowohl positiv auf die (Nicht-) Bildung von Windeldermatitis, Ausschlag und Windelpilz aus, als auch auf die Entwicklung der Hoden bei den Buben. Außerdem ermöglichen Stoffwindeln das breite Wickeln, das die korrekte Hüftreifung begünstigt. Und zu guter Letzt: sie schonen das Haushaltsbudget um einen beachtlichen Betrag! Vor allem auch dann, wenn jüngere Geschwisterkinder wieder mit diesen Stoffwindeln gewickelt werden. Außerdem können Stoffwindeln super am Gebrauchtmarkt weiterverkauft werden.
Tips: Zum Haushaltsbudget: wie hoch ist die tatsächliche Kostenersparnis?
Kirchweger: Gehen wir davon aus, dass man ein OneSize-Windelpaket um etwa 300 Euro bekommt. Mit diesem Windelpaket kann ich die gesamte Wickelzeit wickeln – in unserem Beispiel zweieinhalb Jahre. Für Waschmittel, Strom, die Abnutzung der Waschmaschine und Wasser rechnen wir für diesen Zeitraum 220 Euro. Ergeben Gesamtkosten von 520 Euro. Wegwerfwindeln kosten im Schnitt für zweieinhalb Jahre 1900 Euro bei Windeln mittlerer Preisklasse. Also beträgt die Gesamtkosten-Ersparnis 1380 Euro! Übrigens: Mit dem Windelgutschein kann man beim Stoffwindel-Kauf nochmal etwa 100 Euro sparen. Diesen erhalten Eltern bei der Wohnsitz-Gemeinde oder beim Magistrat.
Tips: Trotz geringerer Kosten reagieren viele Eltern jedoch mit Skepsis auf Stoffwindeln.
Kirchweger: Ja. Das wohl häufigste Vorurteil gegen Stoffwindeln lautet wohl: „Die stinken, sind eklig und was ist überhaupt mit dem Kaka?“. Zum ersten: Stoffwindeln stinken nicht – und wenn sie stinken, liegt es oft an der Waschroutine. Diese kann bekanntlich schnell und einfach geändert durch einen Knopfdruck an der Waschmaschine geändert werden. Was passiert mit dem Kaka? Dafür gibts das Windelvlies – es wird in die Windel gelegt. Sollte das Baby groß gemacht haben, kann das Vlies ganz einfach über den Restmüll entsorgt werden – so wie herkömmliche Wegwerfwindeln auch. Diese Skepsis nehme ich Eltern mit genau diesen Erklärungen. Viele stellen sich es so vor, wie es vor 50 Jahren war: Großmutter kocht die Windeln im Kochtopf auf dem Herd aus – eine schweißtreibende Arbeit. So ist es aber nicht. Stoffwindeln machen, würde ich sagen, gleich viel Arbeit. Der Muttermilchstuhl läuft bei Wegwerfwindeln so gut wie immer aus. Das heißt, ich muss mein Baby danach immer umziehen. Mit Stoffwindeln passiert das aber nicht – heißt also, die Wäsche, die ich mir auf der einen Seite spare, wasche ich auf der anderen Seite.
Tips: Was sind konkret die Vorteile der Stoffwindel für Babys?
Kirchweger: Wie bereits erwähnt, ganz klar das kühlere Windelklima, weniger Hautirritationen, keine Erdöle, Farbstoffe, Rückfetter chemischer Herkunft, Paraffine und synthetischer Kautschuk, Parfüme, Plastik – alles Dinge, die an Babys Po nichts zu suchen haben. Außerdem behalten die Kinder ein Gefühl dafür, was da unten passiert, wenn „man mal muss“. Bei den herkömmlichen Wegwerfwindeln ist es ja so, dass durch den Superabsorber Urin sofort aufgesaugt wird und Babys im Trockenen liegen. Mit Stoffwindeln behalten Babys ihr natürliches Körpergefühl – dies führt auch dazu, dass Stoffwindel-Babys häufig früher keine Windel mehr benötigen.
Allgemein muss ich sagen, dass ich meinen Beruf als Berufung sehe, (werdende) Eltern ein Stück weit zu begleiten. Durch meine Erfahrung und meine Ausbildungen kann ich mich wirklich gut in jede Situation hineinspüren und so Familien bestmöglich unterstützen.
Tips: Sie machen ja auch Trageberatung. Worum geht es dabei?
Kirchweger: Bei der Trageberatung gebe ich den Eltern alle wichtigen Infos zum Thema Tragen mit – warum überhaupt Tragen? Verwöhne ich mein Baby nicht, wenn ich es dauernd herumtrage? Was ist mit der Wirbelsäule, dem Rücken und der Hüfte – ist Tragen nicht total schädlich? Auf was muss ich bei einer Tragehilfe achten und wie binde ich ein Tragetuch, damit mein Baby gut gestützt ist und ich keine Schmerzen habe?Außerdem gibt es bei den Tragehilfen und Tüchern Unterschiede in der Verarbeitung – auch hier kann man nämlich darauf schauen, nachhaltig einzukaufen und regionale Unternehmen zu unterstützen. Seit kurzem habe ich auch die Ausbildung zur Babymassagekursleitung – mit den Kursen werde ich starten, sobald es die momentane Situation wieder zulässt. Gerne können auch Einzelstunden gebucht werden.
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