Großartige Bockerer-Premiere in Zwettl: „Aufpassn müss’ ma, wir alle…!“
ZWETTL. Schon am Eingang des Stadtsaals stehen grimmig dreinschauende Uniformierte mit Hakenkreuzbinde, die herumschreien und wahlweise Leute abführen. Ja – heute, am 13. April, ist Premiere für den „Bockerer“ in Zwettl. Und was für eine.
Wer kennt sie nicht, die Geschichte über Selchermeister Karl Bockerer und seine Binerl, über Hatzinger und Rosenblatt? Sie ist nicht zuletzt dank der Verfilmung mit Karl Merkatz in der Hauptrolle nahezu jedem ein Begriff.
80 Jahre nach dem Anschluss an das Deutsche Reich bringt die Theatergruppe Zwettl das gleichnamige Stück auf die Zwettler Bühne. Der Wiener Vorstadt-Fleischhauer Karl Bockerer versteht mit dem Anschluss 1938 die Welt nicht mehr: während sein Sohn Karriere bei Hitlers SA macht und Ehefrau Binerl den Führer gleichermaßen verehrt, muss sein geschätzter Tarock-Partner und jüdischer Freund Dr. Rosenblatt vor dem NS-Regime fliehen. Die Rolle des Bockerers ist getragen von bissigem Humor, scharfem Verstand, aufrechtem Charakter, zeugt bis zum Schluss vor allem von Menschlichkeit und setzt damit ein Gegengewicht zu den Schrecken des Nationalsozialismus.
Phänomenale Premiere
„Ihr habt es wieder einmal geschafft, mich zu verblüffen. Mich fasziniert eure Leistung, es war phänomenal, danke an jeden von euch“, gratuliert Kultur-Stadträtin Andrea Wiesmüller (VP) der Theatergruppe Zwettl zur gelungenen Premiere. „Ich werde morgen jedem erzählen – da müssen Sie hergehen!“, zeigt sich Wiesmüller nahezu zu Tränen gerührt.
Ja die schauspielerische Leistung war durch die Bank grandios, die verschiedenen Rollen wurden lebendig und authentisch inszeniert, von einem brillanten Gerald Gundacker in der Hauptrolle, einer überzeugenden Evi Leutgeb als Ehefrau „Binerl“ oder einem jungen Max Wagner, der „Sohn Hans“ spielte. Nicht zu vergessen auf den abschließenden Auftritt Hitlers alias Michael Welz, der in beeindruckender Manier Mimik, Gestik und sogar die flüssige Aussprache des Diktators nachahmte.
Leichenberg trifft Wienerlied
In den Umbauphasen wurde das schreckliche Geschehen anhand von Filmausschnitten nochmals in den Theaterraum geholt, es wurde lebendig und ergab - untermalt mit Wienerliedern - ein Kontrastprogramm, das berührte. Szenen wie jene vom jüdischen Bürger, der unter Gelächter die Straßen aufwaschen muss, erschrecken beinahe.
„Es ist in der heutigen Zeit nicht so einfach, ein Stück wie dieses auf die Bühne zu bringen, wir haben es nach einem langen Probenakt geschafft“, bedankt sich Gerald Gundacker alias Karl Bockerer hinterher bei allen Beteiligten. Und ein glücklicher Regisseur Stefan Leisser ergänzt: „Ich bin unfassbar dankbar, dass ihr es so großartig gemacht habt. Ich bin sehr überrascht, wie viel Potential in jedem steckt“, denn jede Rolle habe sich enorm entwickelt.
Vortrag einer Holocaust-Überlebenden
Mit dem Erlös der Premierenveranstaltung wird ein Vortrag der Holocaust-Überlebenden Lucia Heilman am 29. April, um 15 Uhr, im Zwettler Stadtsaal veranstaltet. Die 89-Jährige ließ sich die Premiere nicht entgehen und zeigte sich dankbar: „Es ist ein wichtiges Stück, das zeigt, welche schreckliche Zeit das war für alle Menschen... Bomben, Militär und viele Tote, die durch Verblendung entstanden.“ Die sieben Jahre Hitler hätten sie geprägt. Und von dieser Zeit wird sie neben dem Vortrag im Zwettler Stadtsaal am 29. April auch an drei Zwettler Schulen erzählen.
„Es hat ja nicht mit Ausschwitz begonnen...“
Mit dem Stück wollte Regisseur Leisser ein „Lehrbeispiel für Toleranz und Menschlichkeit in einer aufgeheizten und polarisierenden Welt“ im Gedenkjahr 2018 auf die Bühne bringen. Seiner Meinung nach bräuchte es heute wieder mehr Bockerers in unserer Mitte. Im Vorwort der Theaterbroschüre zitiert er André Heller: „Es hat ja nicht mit Ausschwitz begonnen, sondern mit der Ausgrenzung.“
Und wie der Bockerer - der nicht aufgrund von Nationalität, Religion oder Hautfarbe verurteilt, sondern vor allem den Menschen sieht - im Stück mahnend in Richtung Publikum meinte: „Aufpassn müss“ ma, wir alle, wia ma da san, wia a Lux!“
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