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Injoest erforschte die dunkle Vergangenheit des Landesklinikums Mauer-Öhling

Thomas Lettner, 14.01.2019 07:59

MAUER. Im Festsaal des Landesklinikums Mauer präsentierte Philipp Mettauer vom Institut für jüdische Geschichte Österreichs (Injoest) vergangene Woche die aktuellen Forschungsergebnisse über „Die Heil- und Pflegeanstalt Mauer–Öhling in der NS-Zeit“.

Ansichtskarte von Mauer-Öhling, Niederdonau, 1942 (im Vordergrund das Pflegerdorf) Foto: Injoest
  1 / 6   Ansichtskarte von Mauer-Öhling, Niederdonau, 1942 (im Vordergrund das Pflegerdorf) Foto: Injoest

In den letzten Monaten hatten schon zwei Vorträge im Rathaussaal Amstetten stattgefunden. Der Besucherandrang war so groß, dass auch noch ein dritter Termin veranstaltet wurde. Im abermals zahlreich erschienenen Publikum saßen unter anderem Amstettens Bürgermeisterin Ursula Puchebner (SPÖ), Landtagsabgeordnete Michaela Hinterholzer (ÖVP) und Bernhard Wagner, der Ortsvorsteher von Mauer-Greinsfurth.

„Zum Besten der Narren“

Die Landesheil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke wurde 1902 von Kaiser Franz Joseph eröffnet. Als man ihm die schöne, vom Wald umgebene Anstalt zeigte, soll er angeblich den Satz „Alles zum Besten der Narren. Es muß ein Hochgenuß sein, dort eingesperrt zu sein“ ausgesprochen haben. Zur Zeit der Eröffnung war die Anstalt eine der modernsten in Österreich. Geplant war sie ursprünglich für 1.500 Patienten. Schon bald war sie mit 2.000 Patienten überbelegt.

Zwangssterilisierungen an Patienten

Nach dem Anschluss im Jahr 1938 wurde die Landesheil- und Pflegeanstalt Mauer-Öhling den erb- und rassebiologischen Vorstellungen der NS-Politik angepasst. Im Zuge des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurden Zwangssterilisierungen an Patienten mit „angeborenem Schwachsinn“ (heute geistige Behinderung), Schizophrenie, „zirkulärem (manisch-depressives) Irresein“ (heute Bipolare Störung), „erblicher Fallsucht“ (heute Epilepsie), „erblicher Veitstanz“ (heute als Chorea Huntington bezeichnet), erblicher Blindheit, erblicher Taubheit, „schweren erblichen körperlichen Missbildungen“ oder Patienten, die an schwerem Alkoholismus litten, durchgeführt. 346 Patienten wurden von 1941 bis 1943 sterilisiert. Die männlichen Patienten wurden dafür ins Krankenhaus Amstetten eingeliefert, die weiblichen ins Krankenhaus Waidhofen/Ybbs.

Heim für Volksdeutsche

Bis August 1941 war die Landesheil- und Pflegeanstalt Mauer-Öhling zur Hälfte geräumt worden, um Platz für „Volksdeutsche“ aus Bessarabien, der Slowakei und Südtirol zu schaffen. Da sich die weitere Umsiedlung in die eroberten Ostgebiete aber aufgrund der militärischen Lage schwierig gestaltete, verblieben viele in den Barackenlagern der Großbaustellen des Reiches, beispielsweise für das Kraftwerk in Ybbs/Persenbeug oder den Hermann-Göring Werken in Linz. Ab März 1942 wurde in Mauer-Öhling stattdessen ein Reservelazarett für die Wehrmacht eingerichtet.

Einlieferung von Kriegsgefangenen

Im Juni 1944 wurde in der Anstalt eine Sammelstelle für geisteskranke Ostarbeiter eingerichtet. Arbeiter, bei denen die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und Rückführung in ein Arbeitslager nicht gegeben war, wurden ermordet. 46 sowjetische Staatsbürger fanden in Mauer-Öhling den Tod. Auch aus Kriegsgefangenenlagern, beispielsweise aus Krems-Gneixendorf, in dem russische Soldaten das größte Kontingent stellten, wurden Patienten eingeliefert.

Hitlers Ermächtigungsgesetz

Am 1. September 1939 erließ Adolf Hitler eine Ermächtigung, welches besagte, dass „die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern“ seien, „dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann“. Die Ermordung von als lebensunwert erachteten Patienten trat damit zwar nicht offiziell in Kraft, befand sich allerdings in einem gesetzlichen Graubereich, der es Ärzten ermöglichte, frei über Leben und Tod ihrer Patienten zu entscheiden. Dem als „Aktion T4„ (wurde in einer Villa in der Tiergartenstraße 4 in Berlin verwaltet) bekannt gewordenen Mordprogramm stand somit nichts mehr im Wege.

Gutachter entscheiden über Leben und Tod

Alle Patienten der Landesheil- und Pflegeanstalt wurden in Meldebögen erfasst. In Mauer-Öhling wurden die drittmeisten Meldebögen des gesamten Deutschen Reichs verfasst. Die ersten beiden Plätze nehmen die Anstalten Am Steinhof in Wien und Graz/Feldhof ein. Die Meldebögen wurden in die Zentrale nach Berlin geschickt und von dort reichsweit an Gutachter verteilt. Diese Ärzte - unter ihnen auch einige Österreicher - entschieden dort in der Folge durch Vergabe eines + oder – über Leben und Tod.

Busse in die Tötungsanstalt

Von 13. Juni 1940 bis 7. August 1941 wurden 1.269 Patienten der Landesheil- und Pflegeanstalt Mauer-Öhling in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim in Alkoven überstellt. Für die Transporte war die „Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft m.b.H.“ (Gekrat) zuständig. Die Busse wurden von der Deutschen Reichspost angemietet und fuhren bei der Anstaltskapelle ab. Die dem Tode geweihten Patienten wurden beim Einwohnermeldeamt abgemeldet. 1943 wurden 323 Patienten aus Mauer-Öhling in die psychiatrische Anstalt Gugging bei Klosterneuburg transportiert. 90 Prozent von ihnen überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht.

Anstaltsarzt floh nach Syrien

Als besonders grausam zeichnete sich der Gugginger Anstaltsarzt Emil Gelny aus, der ab November 1944 als Sonderbeauftragter des Gauärzteführers in Mauer-Öhling anwesend war. Gelny erfand sogar ein eigenes Tötungsinstrument, indem er einen Elektroschockapparat umbaute. Um dem Volksgerichtsprozess zu entgehen, floh er nach dem Krieg zuerst nach Tirol und dann nach Syrien. Der Direktor der Anstalt Michael Scharpf setzte sich nach dem Krieg nach Linz ab, arbeitete dort im AKH als Chirurg und starb später in der Untersuchungshaft. Josef Utz, der Leiter der Frauenabteilung, ließ sich, um einer Verhaftung zu entgehen, selbst als Patient in Steinhof einweisen. Angeklagt wurden nach dem Krieg auch zehn Pfleger der Anstalt Mauer-Öhling.

Mahnmal für die Opfer

Die Leichen der in Mauer gestorbenen Patienten wurden auf dem noch heute existierenden Anstaltsfriedhof beigesetzt. Der Friedhof beherbergte neben einem jüdischen auch einen protestantischen Teil. Aufgrund der hohen Sterblichkeit in der Anstalt wurde im Juni 1944 im Außenbereich des Friedhofs ein neues Areal angelegt. Dieses war 2.000 Quadratmeter groß und bot Platz für 300 Gräber. Das Landesklinikum beabsichtigt, auf dem Anstaltsfriedhof ein Mahnmal für die in der NS-Zeit ermordeten Opfer zu errichten.


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