Vom Finanzdirektor zum Künstler: Laptop gegen Leinwand getauscht
BAD ISCHL. Ein studierter Betriebswirt, der hauptberuflich malt, hämmert, schleift, schweißt und in der Erde wühlt. Warum Stephan Unterberger seinen gut bezahlten Job an den rostigen Nagel gehängt und sich selbständig gemacht hat.
Fast 20 Jahre lang arbeitete der studierte Betriebswirt als Controller in einem international tätigen Abfallwirtschaftsunternehmen in der Nähe von Wien. Zuletzt hatte er in der Position des Finanzdirektors mehr als 100 Mitarbeiter aus neun Ländern in seinem Team. Oberflächlich betrachtet war Unterberger auf dem Höhepunkt seines Berufslebens. Doch nach der Übernahme durch einen spanischen Konzern gingen Kreativität, Freiheit und die Möglichkeit zur Selbstbestimmung immer mehr verloren. „Ich bin nur im Flugzeug gesessen – von einem sinnlosen Meeting zum nächsten geflogen. Es galt nur mehr, ein halbwegs gutes Arbeitsklima zu erhalten, aber ich war Motivator ohne Motivation“, schildert Unterberger.
Wohlfühlen statt Reichtum
Der 12-Stunden-Job ließ ihm wochentags kaum Zeit für Hobbys, Familie und soziale Kontakte. Nicht einmal das ansehnliche Gehalt reichte aus, um diese Leere zu füllen. Schließlich entschloss er sich, seine große Leidenschaft, die Kunst, zu seinem Lebensinhalt zu machen und in die Heimat zurückzukehren. „Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken“, bringt es Unterberger mit einem Goethe-Zitat auf den Punkt. Jetzt hat er den Stress und das regelmäßige Einkommen gegen eine Werkstatt mit angeschlossenem Atelier und Schauraum neben seinem Ischler „Heimhaus“ eingetauscht. Dort verwirklicht er als „Etienne“ seine künstlerischen Ideen.
Gratulationen zum Mut
Wie seine Ex-Kollegen und Bekannten auf seine Entscheidung reagiert haben? „Alle haben mir gratuliert. Kein Einziger hat gesagt: „Du bist wahnsinnig!“ Im Gegenteil. Die Meisten meinten, dass sie es auch tun würden, wenn sie die Möglichkeit und den Mut dazu hätten.“ Unterberger malt seit seinem 16. Lebensjahr. Während der Schulzeit im Bad Ischler Gymnasium illustrierte er Gedichtbände eines Freundes. Aus dieser Zeit stammt auch sein Künstlername, den er seiner damaligen Französisch-Lehrerin verdankt. Die frühen Werke waren hauptsächlich mit Bleistift und schwarzer Ölkreide gemalt. Heute malt er Bilder in kräftigen Farben, neuerdings auch verstärkt in Naturfarben und experimentiert mit verschiedenen Materialien, die er in seine Bilder einbindet. So verwendet er rostiges Metall, Stein, Glas und Treibholz und arbeitet selbst an ganz neuen Materialformen. „Dafür habe ich sogar Schweißer- und Trockensteinmaurer-Kurse absolviert“, sagt er.
Bei Radtouren und Wanderungen durch ausgetrocknete Flussbetten legt sich ihm ein besonderer Stein oder ein wunderbar vom Wasser geformtes Stück Schwemmholz in den Weg. Diese bearbeitet er dann nur minimal zu Skulpturen, fertigt Stehlampen daraus oder kombiniert sie mit rostigem Metall. So entstehen Bilder, Skulpturen und Objekte von Schwemmholzlampen, Pflanzstangen und Insektenhotels bis zu speziellen Dekokugeln für“s Staudenbeet. Die Ausgangsstoffe für seine Objekte stammen auch von Flohmärkten und Wertstoffsammelzentren. Insofern ist er seiner früheren Branche treu geblieben.
Wissen um Privileg
„Ich weiß, dass ich in einer privilegierten Situation bin. Ich darf jetzt tun, was mir Spaß macht. Und ich kümmere mich nicht mehr um Konventionen, künstlerische Debatten oder Bevormundungen. Das habe ich hinter mir“, so der Ischler. Kooperationsprojekte mit anderen Künstlern kann er sich aber durchaus vorstellen: „Ich bin für alles offen. Austausch ist immer gut und jeder trägt zur künstlerischen Vielfalt bei.“
Die offizielle Eröffnungsfeier seines Ateliers (Am Buchenhof 6 im Ortsteil Kreutern) findet am Samstag, 15. Oktober, ab 10 Uhr statt. Mehr Infos: www.etienne.at<
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