So kommen Familien gut durch die Corona-Zeit
GRIESKIRCHEN/EFERDING. Sich an eine völlig unbekannte Situation anzupassen und die dadurch ausgelösten Gefühle auszuhalten und zu verdauen braucht viel Energie. Es ist ok, nicht „super-produktiv“ zu sein. Wie das Familienleben in Zeiten von Corona dennoch gelingt: Die Klinische – und Gesundheitspsychologin Katharina Strasser gibt Tipps.
Eine grundlegende Frage ist im Moment: Wie kommen wir als Familie gut durch diese Zeit? Die aktuelle Ausnahmesituation dauert nun schon mehrere Wochen lang an. Zu den allgemeinen Herausforderungen, die diese Krisenzeit für alle mit sich bringt, kommen für jeden Menschen kleine und große individuelle Herausforderungen die es gilt auszuhalten und zu bewältigen. Im Zusammenleben stellt das Ernstnehmen der eigenen und der Bedürfnisse der anderen Familienmitglieder ein grundlegendes Dauerthema dar. In dieser Ausnahmesituation ist dies eine besondere Herausforderung. Kinder und Jugendliche nehmen die allgemeine Verunsicherung und die Atmosphäre der Ausnahmesituation wahr und reagieren ganz unterschiedlich darauf. Verstärkte Suche nach Aufmerksamkeit und Körperkontakt, Konzentrationsprobleme, Gereiztheit, Probleme beim Einschlafen oder beim Alleinesein sind nur Beispiele für Reaktionen, welche sich zeigen können. Eltern sollten auch hier nachsichtig sein – mit sich und mit den Kindern. Es ist gerade nicht die Zeit für neue Erziehungsmaßnahmen oder der Förderung neuer Entwicklungsschritte.
„Nichts Neues“
Frei nach dem Motto „Nichts Neues jetzt“ sollte jetzt gehandelt werden. Katharina Strasser skizziert ein Beispiel: „Hat Ihr Kind zu Beginn der „Coronazeit“ gerade begonnen, im eigenen Bett zu schlafen und tut sich nun schwer damit, forcieren Sie dies nicht weiter. Die Sicherheit des Elternbetts kann im Moment ein wichtiger stabilisierender Faktor sein. Vertagen Sie die Umgewöhnung auf ruhigere Zeiten und gehen Sie wenn möglich auf das Bedürfnis nach Nähe und Körperkontakt ein.“ Hinterfragt werden sollte auch, welche Regeln sind wichtig und stabilisierend und bei welchen Regeln kann man gerade auch ein Auge zudrücken? Welche Regeln tun dem Zusammenleben gut und gibt es Regeln, die den Eltern im Moment zusätzlichen Stress bereiten, wenn sie auf deren Einhaltung bestehen? „Selbiges gilt für Schulaufgaben“, erklärt Strasser.
Keine 100 Prozent erwarten
„Es ist ein Faktum, dass die starke emotionale Verbindung zwischen Eltern und Kind das Einnehmen der Rolle der „Aushilfslehrkraft“ erschwert. Versuchen Sie so wenig wie möglich Druck auf sich und auf das Kind auszuüben. Sehen Sie die Beschäftigung mit dem Schulstoff als willkommene Abwechslung und Struktur im Alltag.“ Wie für Erwachsene im Homeoffice gilt auch für Kinder und Jugendliche, keine 100 Prozent zu erwarten. Die Auswirkungen von fehlenden Arbeitsplätzen, engen Wohnverhältnissen, Störungen und Unterbrechungen durch Familienmitglieder, fehlender Verbindung zur Lehrkraft und den Klassenkollegen sind nur einige der vielen Faktoren, die Kinder und Jugendliche und deren Konzentrationsfähigkeit beeinflussen. Die emotionale Komponente der Verarbeitung dieser Ausnahmesituation in Bezug auf Lernleistung und Konzentration muss auch von Lehrkräften in Überlegungen miteinbezogen und mitgedacht werden.
Emotionale Begleitung
„Wichtiger als das Üben des Schulstoffes ist für Eltern in dieser Zeit meiner Meinung nach die emotionale Begleitung. Zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie es lieb haben, dass Sie da sind“, so die Psychologin. „Vielleicht können folgende Fragen hilfreich sein: Woran soll sich mein Kind im Nachhinein erinnern? Welche Werte haben in unserer Familie Priorität und was will ich meinen Kindern vermitteln?“
Weitere Tipps: Spezialmomente festhalten
Wichtig sei vor allem Routinen und Rituale wenn möglich beizubehalten und pro Tag einen gemeinsamen Spezialmoment in der Familie einzuplanen. Und auch Eltern brauchen Verschnaufpausen. „Planen Sie immer wieder Zeit alleine ein – und wenn es nur ein kurzer Spaziergang oder eine Tasse Kaffee ist während sich die Kinder einen Film ansehen“, rät die Psychologin. Fürs Homeoffice mit Kindern im Haushalt gilt laut Strasser „Erwarten Sie von sich keine 100 Prozent, weder als Elternteil noch als Arbeitskraft ist das zeitgleich nicht möglich“, stellt Strasser klar.
„Schöne-Momente-Glas“
Schöne Momente helfen durch die Krise, wieso diese nicht einfach festhalten? Ein Einmachglas kann gemeinsam bemalt oder beklebt werden. Dann benötigt man eine Schüssel mit Steinen, Murmeln oder Muscheln. Erlebt ein Familienmitglied einen schönen Moment, darf es einen Stein aus der Schüssel in das Glas werfen. Je nach Wunsch kann es besprochen werden, muss aber nicht. Alle paar Tage kann gemeinsam geschaut werden, wie viele schöne Momente es gegeben hat, ob man sich an einen erinnert, davon erzählen mag.
To do-Listen erstellen
Falls es schwierig ist den Tag zu strukturieren oder den Überblick zu behalten können To-Do Listen helfen. Für Kinder können Programmpunkte oder Aufgaben sichtbar gemacht werden indem man für jedes Kind Körbe aufstellt und den Tagesplan in Form von Symbolen für die Aufgaben und Aktivitäten hineinlegt. Das kann z.B. das Notenheft als Erinnerung ans Instrument üben, das Buch, in dem für die Schule gelesen werden soll, und der Radhelm weil eine gemeinsame Radtour geplant ist, sein.
Offen über Ängste sprechen
„Falls Ihr Kind Ängste zeigt, sprechen Sie ehrlich darüber. Oft haben Erwachsene das Gefühl, auch keine genauen Antworten auf die Fragen der Kinder zu wissen oder vermeiden aus Angst, Unsicherheiten zu erzeugen ein Gespräch“. Gemeinsam kann man besprechen, was man selbst dazu beitragen kann, sich zum Beispiel nicht anzustecken oder das Immunsystem zu stärken. Es kann nun sehr gut tun, ein Stück Selbstwirksamkeit zu spüren und das Gefühl zu haben, etwas beitragen zu können.
Professionelle Unterstützung bei starken Ängsten
„Zeigt Ihr Kind starke Ängste, die immer wiederkehren und unter denen es sehr leidet oder Verhaltensweisen, die Sie sehr irritieren oder die Sie von Ihrem Kind nicht kennen kann es hilfreich sein, sich professionelle Unterstützung zu Rate zu ziehen“, meint Strasser. Ein Gespräch mit einer professionellen Fachkraft wie einem Psychologen oder Psychotherapeuten kann Klarheit bringen und Eltern im Umgang mit Schwierigkeiten unterstützen.
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