Die letzte Mühle steht still: Müllermeister Sepp Rosenmayer über sein altes Handwerk
KLEIN GUNDHOLZ. Gut 125 Mühlen hat es einst im Bezirk Zwettl gegeben, seit Jahresende 2015 nun keine einzige mehr. Mit Ende Dezember schloss auch die letzte wasserbetriebene Mühle in der Region für immer ihre Pforten. Es ist Sepp Rosenmayer nicht leicht gefallen, das merkt man dem Besitzer der gleichnamigen Mühle in Klein Gundholz (bei Groß Gerungs) sofort an. Tips war zu Gast im Hause und durfte das Handwerk und Kulturgut Mühle nochmals aus erster Hand begutachten.
„Noch haben wir ein paar Säcke unseres Mehls, künftig werde ich mein Brot wohl mit dem Zugekauften backen müssen, mal schauen wie das wird“, meint Luise Rosenmayer, mit einem Anflug von Wehmut in ihrer Stimme. Seit 31. Dezember steht ihre Mühle nun still, an diesem Tag hat ihr Mann Sepp noch den letzten Bäcker in Altmelon beliefert. Der Entschluss war ein ziemlich plötzlicher, ahnte er doch zu Weihnachten noch nichts von seiner kommenden schwerwiegenden Entscheidung. Die Erhöhung der Umsatzsteuer im Zuge der Steuerreform von zehn auf 13 Prozent mit 2016, war schließlich das ausschlaggebende Tüpfelchen auf dem i. „Ja, mein Handwerk niederzulegen ist mir sehr schwergefallen, vor allem wo ich körperlich noch so fit bin“, ergänzt der 76-jährige Müllermeister.
Weg wurde steiniger
Aber sein beruflicher Weg wurde in den vergangenen Jahren zunehmend steiniger. Wurden die Mühlen einst von reiner Muskelkraft durch Mensch und Tier angetrieben, folgte dann die Energie durch Wind und Wasser und schließlich kam die Zeit der Mechanisierung. Letztere ist auch ausschlaggebend für den Sinkflug der vielen Mühlen, meint Sepp Rosenmayer. „Das Handwerk ist leider total im Aussterben begriffen. Alles was sich maschinell erledigen lässt, ist heute zumeist auf Masse aus, oft zu Lasten der Qualität“. Auch wenn diese in seinem Falle eine wichtige Rolle gespielt hat, sonst hätte er sich gar nicht so lange über Wasser halten können, ergänzt er. Seit 14 Jahren war er der letzte Müller im Bezirk, denn 2002 sperrte die Ottendorfer Mühle bei Rappottenstein zu, das Waldviertel selbst ist diesbezüglich dünn besiedelt. „Ganz England versorgen rund acht Mühlen, ebenso in Schweden. In Österreich gibt es noch etwa 112, wobei auch schon einer nach dem anderen aufhört.“Oft seien die Mühlen heute riesige, vollautomatisierte Werke (“Geistermühlen“), im Zuge der Mechanisierung wurde kräftig aufgestockt, so Rosenmayer. Der Bäcker in der nahen Umgebung bekommt nun statt dem Rosenmayer-Mehl eines von Schwechat. „Der dortige Müller muss nun 165 Kilometer rauf fahren, um meine früheren Kundschaften zu bedienen, Müller fahren von der Wiener Gegend bis nach Tirol, von Niederösterreich bis nach Kärnten, alles spielt sich auf der Straße ab. „Rund 20.000 Kilogramm Getreide, hauptsächlich Roggen, wurden in der Rosenmayer Mühle monatlich vermahlen, 15.000 davon gingen an die umliegenden Bäcker, der Rest teilte sich auf private Haushalte und Bauern auf. Die direkte Belieferung war Sepp stets ein Anliegen, denn zu vielen seiner Kunden hatte er ein freundschaftliches Verhältnis. Auf seinen Säcken stand der Zusatz „naturbelassen“, ein durchaus heikler. „Dank unserer kleinen Menge war es möglich, den Rohstoff komplett natürlich zu verarbeiten und damit ein gleichwertiges Produkt auf ganz natürlichem Wege zusammenzustellen“, betont der rüstige Müllermeister. Im Gegensatz zum industriellen Mehl, wo die Großmüller oft Zugaben benötigen, um eine optimale Backqualität zu erreichen.
Familienbetrieb seit 1873
Die idyllische Mühle am Fuße der Zwettl gibt es bereits seit dem 15. Jahrhundert, so die Schätzungen. 1873 kam sie in den Familienbesitz der Rosenmayers. „Mein Urgroßvater kaufte die Mühle, mein Großvater übernahm sie dann 1910, mein Vater schließlich zwanzig Jahre später“, erzählt Sepp. Er selbst absolvierte die Handelsschule sowie die Müller- und Sägelehre. 1964 wurde es ernst, Sepp stand vor der Entscheidung, trotz der immer härter werdenden Bedingungen, das Familienerbe weiter zu betreiben. „Mein Vater sagte zu mir: „Wenn du jetzt woanders hingehst mit deiner Ausbildung, dann wird dir der Arbeitsmantel nicht mehr schmutzig““, erinnert sich der Müller. Das Wasserwerkl zuhause habe ihn durchaus fasziniert: „Wenn ich fleißig bin, komme ich auch hier durch“, so lautete der Gedanke des damals 22-Jährigen. „Ja durchkommen wirst du wohl, aber nicht mit 48 Arbeitsstunden die Woche und nicht mit geregeltem Urlaub und Krankenstand, das hast du nur, wenn du hier weggehst, so die Antwort meines Vaters damals.“ Der Gedanke, dass das Mühlrad der Familie für immer stillstehen sollte, beflügelte ihn, weiterzumachen und das Werk seines Urgroßvaters zu übernehmen.
Kraftvoller Antrieb
Die Kraft des Wassers war essentiell und wurde so gut als möglich genutzt – bei schwacher Flussführung, wie dies vergangenes Jahr der Fall war, bediente man sich zusätzlicher Dieselmotoren oder zugekauftem Strom. „Gemahlen wurde ein ganzes Jahr und unsere Säge lief vor allem dann, wenn wir viel Wasser hatten, da ist auch mal nächtelang geschnitten worden, geregelte Arbeitszeiten gab es in dem Sinne keine“, meint Rosenmayer, der seit 40 Jahren tagtäglich Buch über die genauen Wetterverhältnisse führt. „Ja als Müller sollte man gewissermaßen auch ein Wetterprophet sein“, schmunzelt er. Dank seiner präzisen Aufzeichnungen weiß er über die Wetterveränderungen Bescheid. Früher habe es derartige Kapriolen kaum gegeben, im Gegenteil, es wäre wesentlich beständiger gewesen, so habe man vorausschauend planen können. Im Frühjahr, nach der Schneeschmelze, war zumeist Verlass, dass genug Wasser da ist, um den Betrieb damit volle Kraft zu lenken. „Das ist nun wesentlich schwieriger geworden“, so Sepp.
Gespür, Griffigkeit und eine feine Nase
Und was macht einen guten Müller aus? Viel Gespür, eine gute Griffigkeit sowie eine feine Nase sollte man in diesem Beruf mitbringen, ist Rosenmayer überzeugt. Früher konnte man sich nicht mit Labors und Untersuchungen behelfen, es gab nur den berühmten Griff in den Sack, um dann mit dem Daumen zu fühlen, zu riechen und schließlich zu kosten. „Ich würde Roggen blind erkennen.“ Und um die Stärke des Klebers zu messen, bediente man sich eines einfachen Tricks: Eine Stosuppe (Anmerkung: Milchsuppe) wurde aufgesetzt, diese band man mit der üblichen Menge Mehl und ließ sie erkalten. Anhand der Konsistenz der Suppe konnte man die Qualität prüfen, sammelte sich eine Schicht Wasser auf der Suppe, so war sie beispielsweise schlecht.
Zukunftsgedanken
Noch sieht es in der Mühle so aus, als ob sie gestern in Betrieb gewesen wäre, Sepp Rosenmayer brachte es bis dato nicht über das Herz, sie auszuräumen. Mittlerweile ist er aber sicher, dass das bald geschehen wird. Derzeit überlegt der „frischgebackene“ Pensionist, wie er die vorhandene Wasserkraft zukünftig einsetzen könnte. Und morgen wird auf jeden Fall noch Brot im Hause Rosenmayer mit dem eigenen Mehl gebacken. Ja und das soll auch das Beste sein, wenn man den umliegenden Meinungen Glauben schenkt. Denn da und dort wird gemunkelt, dass das Brot nun ohne Rosenmayers Zutat einfach nicht mehr dasselbe ist.
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