Wahlkreis-Spitzenkandidat der Grünen: "Brauchen mehr Selbstbewusstsein in der Politik"
BEZIRK. Stefan Kaineder, studierter Theologe aus Dietach (Steyr-Land), ist Spitzenkandidat der Grünen für den Wahlkreis Traunviertel bei den Landtagswahlen Ende September. Tips traf Kaineder in Kirchdorf zum Interview.
Tips: Welche Themen sind für die Grünen derzeit die Wichtigsten auf Landesebene und in der Region?
Stefan Kaineder: Dort wo wir jetzt arbeiten, möchten wir weiterarbeiten. Die Themen Energie, Ernährung, nachhaltige Landwirtschaft sind uns wichtig. Nachhaltige regionale Entwicklung wird gerade für das Traunviertel interessant. Hier werden wir Schwerpunkte setzen. Es wird die Forderung nach einem 365 Euro Öffi-Ticket für das ganze Land Oberösterreich geben. Wir haben im Traunviertel, das ist mir sehr wichtig, vier Bahnlinien. In die Ennstal-, Kremstal-, Almtal- und Salzkammergutbahnen muss ordentlich investiert werden. Für mich ist klar, und das halte ich für eines der wichtigsten Themen in den nächsten Jahren: den ländlichen Raum werden wir nicht vitalisieren, indem wir ihn industrialisieren. Industrialisieren bedeutet Straßen bauen und Großbetriebe in die Pampa hinstellen – das ist nicht die Zukunft, die uns den ländlichen Raum belebt. Ich glaube, dass es eher um eine Regionalisierung geht, auch von Wirtschaftskreisläufen. Und da braucht es klare politische Rahmenbedingungen. Wolfgang Pirklhuber (Nationalrat der Grünen aus dem Traunviertel) und ich denken auch immer wieder über eine mögliche Öko-Region nach, vom Nationalpark bis zur Welterbe-Region sozusagen. Eine Region, die sich auszeichnet durch sanften Tourismus, durch biologische Landwirtschaft, durch regionale Wirtschaftskreisläufe. Das ist natürlich eine große Idee, aber wir werden schauen, dass wir die Allianzen zusammenbringen und vielleicht die ersten Schritte in diese Richtung gehen können. Tips: Welche Herausforderungen sehen Sie speziell im Bezirk Kirchdorf und in der Region?
Stefan Kaineder: Ich glaube, dass wir den ländlichen Raum im Traunviertel über eine Regionalisierung beleben können. Die Abwanderung ist in manchen Gegenden sehr stark. Die Frage ist, wie schnell wir die vorher genannten vier Bahnlinien zu schlagkräftigen Achsen des öffentlichen Verkehrs ausbauen können. Für mich ist das immer auch eine sozialpolitische Frage: Wenn sie im ländlichen Raum wohnen, dann brauchen Familien häufig ab einem gewissen Zeitpunkt, wenn die Kinder alt genug sind, drei Autos. Ein Auto kostet im Schnitt dreihundert bis vierhundert Euro im Monat. Das bedeutet, dass ein Elternteil sozusagen nur für die Mobilität arbeitet, wenn es keinen öffentlichen Verkehr gibt, der eine Alternative ist. Wenn ich ein Jahr Öffi-Fahren und ein Monat Auto fahren zur Auswahl habe um dasselbe Geld, dann ist das sozialpolitisch für die ländliche Region eine ganz wesentliche Forderung. Tips: Über ein Bezirks-Thema hat man von den Grünen noch recht wenig gehört: Wie stehen die Grünen zum umstrittenen Projekt einer 110 kV-Freileitung von Vorchdorf nach Kirchdorf?
Stefan Kaineder: Ich bin noch nicht ganz konkret informiert, wie hier der Planungsstand vom Büro von Landesrat Rudi Anschober ist, der hier natürlich informiert ist. Ich habe aber eine persönliche Meinung zum Thema. Es geht ja bei dieser Versorgungsleitung, so wird argumentiert, um die Versorgungssicherheit. Bei einem durchschnittlichen Stromausfall von 34 Minuten im Jahr 2014 in OÖ, frage ich mich, weshalb man eine 110 kV-Leitung durch das Almtal schlagen muss. Ich bin bei solchen Großprojekten insofern sehr skeptisch, als wir hier sehr viel dem Wachstum opfern. Wenn es hier eine Leitung braucht, dann gehört sie vergraben. Die Frage ist, industrialisieren wir diese ländliche Region – denn das ist ein Eingriff, den man sehen wird über Jahrzehnte – oder Regionalisieren wir die Region. Tips: Wie wollen die Grünen gezielt Integration und das Zusammenleben der Kulturen in der Region fördern?
Stefan Kaineder: Konkrete Konzepte für Kirchdorf gibt es dazu nicht. Ich glaube dezentrale, kleine Einheiten sind selbstintegrativ und daher sehr gescheit. Wenn ich nicht Zentren habe, wo 300 oder 400 Flüchtlinge, sondern Häuser, in denen drei oder vier Familien untergebracht sind, am besten integriert in einen größeren Familienverband, dann funktioniert die Integration meistens automatisch. Die Solidarität mit Flüchtlingen in der Bevölkerung ist groß, das zeigen verschiedene Beispiele. Die Frage ist, wie kann man es vernünftig organisieren, dass man diese Klein- und Kleinstquartiere auch nutzen kann. Hier gehört meiner Meinung nach angesetzt. Und es braucht ein starkes politisches Statement dafür, dass wir Leute integrieren wollen und dass wir uns als reiche Europäer nicht einfach aus der Weltpolitik herausnehmen können. In Kirchdorf, wie in vielen anderen Orten auch, war es ja so, dass eine kleine, wie ich glaube überschaubare Gruppe, laut wurde, wenn es um die eigene Nachbarschaft ging. Diese kleinen Gruppen treiben die Politik ein Stück weit vor sich her. Das halte ich für falsch. Da müssen wir auch als Politiker dagegenhalten: Solidarität in einem der reichsten Länder der Welt ist geboten. Tips: Wie sehen Sie die Position der Grünen in der Parteienlandschaft in OÖ und speziell in der Region Traunviertel?
Stefan Kaineder: 60 Prozent der Menschen in OÖ können mittlerweile auch auf Gemeindeebene die Grünen wählen. Das heißt, die Grünen sind in Wahrheit eine Partei, die in der Fläche funktioniert. Das war nicht immer so, aber mittlerweile ist die Bewegung so breit aufgestellt, dass man sie auch am Land kennt und weiß, wer die Grünen sind. Wir sind also denke ich mittlerweile relativ regional aufgestellt. In OÖ wird die Frage nach dem 27. September sein, ob es Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün geben wird. Mit Pühringer (Landeshauptmann, Spitzenkandidat ÖVP) ist Schwarz-Blau ziemlich undenkbar. Wer also eine Schwarz-Grüne Regierung will, muss Grün wählen. Auch deshalb weil die Schwarzen momentan eine absolute Mehrheit in der Regierung haben und diese wahrscheinlich nach dem 27. September nicht mehr haben werden. Ich glaube die Grünen sind Innovationsmotor gewesen und das ist auch das, was wir weiter sein wollen. Dazu bräuchte es aber bei der einen oder anderen Entscheidung deutlich mehr Gewicht – und das erhoffen wir uns am 27. September und zwar auch im Verhältnis zu einem möglichen Koalitionspartner. Tips: Was ist Ihr persönlicher Zugang zur Politik?
Stefan Kaineder: Ich bin schon immer ein politisierter Mensch gewesen und dass ich vielleicht jetzt nach dem 27. September Landtagsabgeordneter bin, ist mehr Zufall als alles andere. Ich habe die Demokratie, so wie sie in Österreich und in Mitteleuropa funktioniert, noch nicht abgeschrieben. Ich glaube aber, es braucht deutlich mehr Selbstbewusstsein. Mittlerweile ist es so, dass sehr viele politische Entscheidungen aufgrund von – manchmal auch scheinbaren – Zwängen so zustande kommen, wie sie zustande kommen. Ich glaube, das ginge auch anders. Ich bin ja Theologe – ich habe Theologie und Philosophie studiert – und komme drauf, dass bei vielen Entscheidungen nicht mehr die Fragen im Vordergrund stehen: „Was wollen wir eigentlich? Was ist uns wichtig?“ Sondern meistens steht als erstes die Frage: „Was können wir uns leisten?“ Und ich denke das ist – auch kommunalpolitisch – oft der falsche Zugang. Da habe ich das demokratische System noch nicht abgeschrieben. Es braucht aber eine Politik, die das Selbstbewusstsein hat, zu sagen: „Wir entscheiden so, dass es für das Gemeinwohl in Ordnung ist und nicht für die Großindustrie und die multinationalen Konzerne.“ Die Gefahr gibt es und die ist sehr real, dass nämlich die Politik abgleitet, sozusagen ein Durchsetzungsorgan multinationaler Konzerne und Interessen zu werden. Da kann und sollte man gegensteuern und das möchte ich probieren. Tips: Was kann man gegen die Politikverdrossenheit machen, die vielerorts herrscht?
Stefan Kaineder: Beteiligung. Ich glaube, die Menschen haben nicht umsonst das Gefühl, dass sie nichts mitentscheiden dürfen. Wenn von der EU angefangen, bis zur Bundesregierung und teilweise auch die Landespolitiker erklären, dass gewisse Dinge alternativlos sind, dann drängt sich automatisch die Frage auf: „Für was wählen wir euch?“ Wenn es nur eine Entscheidungsmöglichkeit gibt, dann brauche ich niemanden hinzusetzen, der sie trifft, weil es ohnehin nur die eine Entscheidungsmöglichkeit gibt. Ich glaube, es braucht mehr direkte Demokratie, es braucht grundsätzlich das Gefühl, dass man gewisse Dinge mitentscheiden kann und soll. Es ist jetzt ein Beteiligungsgesetz auf Landesebene in Begutachtung, das ich für sehr gescheit halte. Dabei geht es darum, dass man auch auf Gemeindeebene verpflichtende Abstimmungen durchführen kann. Soetwas macht Sinn. Wenn die Bürger selber entscheiden können, wie das Mehrzweckgebäude am Ortsplatz beispielsweise in Zukunft ausschauen soll, dann bekommen die Leute auch das Gefühl, dass sie etwas mitbestimmen können. Ich glaube auch, dass es beispielsweise so etwas wie ein demokratisches „Korrekturrecht“ für den Souverän geben sollte. Das würde bedeuten, dass, wenn ich mir meine Vertretung auf Gemeinde-, Landes- oder Bundesebene wähle und ich das Gefühl habe, das geht völlig in die falsche Richtung, es die Möglichkeit geben muss, durch Volksentscheide gewisse Dinge aufzuheben. Die Regierung wäre dann zwar weiter im Amt und könnte grundsätzlich weiterarbeiten, aber bei gewissen Dingen muss der Souverän auch so etwas wie ein Vetorecht haben und entscheiden dürfen. Es gibt in der Demokratie definitiv Entscheidungsoptionen. Das muss eine demokratisch gewählte Politik immer ausstrahlen: dass es Entscheidungsoptionen gibt und es Entscheidungen zu treffen gilt.
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