Krisenhilfe OÖ unterstützt Menschen bei coronabedingten psychischen Belastungen
OÖ. Die Corona-Krise, die Lockdowns und die soziale Isolation gehen nicht spurlos an den Menschen vorbei. Tips befragte Sonja Hörmanseder, Geschäftsfeldleiterin der Krisenhilfe OÖ, welche psychischen Auswirkungen die Krise auf die Menschen hat.
Tips: Wie viel Prozent der Anfragen bei der Krisenhilfe OÖ betreffen die Corona-Krise?
Hörmanseder: Ich würde schätzen, dass sich bis zu 80 Prozent der Anfragen (telefonisch, persönlich, online) um die Corona-Krise drehen. Da diese Krise mittlerweile beinahe alle Lebensbereiche durchdringt, drehen sich sehr viele Gespräche direkt oder indirekt darum.
Tips: Ist die Corona-Krise für die Krisenhilfe eine einzigartige Situation?
Hörmanseder: Ja, diese Krise ist einzigartig für die Krisenhilfe OÖ, weil wir mit einer bislang noch nie da gewesenen, schon so lange andauernden und sehr herausfordernden Situation wie der Pandemie konfrontiert sind. Besonders und einzigartig wegen der langanhaltenden Dauer (Corona beschäftigt uns ja mittlerweile fast ein Jahr), wegen der sich häufig ändernden Situation im Sinne von „Berg-und Talfahrten“ rund um Infektionszahlen, Lockdown und Öffnungen, wegen der fehlenden Perspektive und weil wir diesbezüglich kaum auf Erfahrungen zurückgreifen können.
Tips: Welche Alters- bzw. Berufsgruppen sind am stärksten von psychischen Auswirkungen betroffen?
Hörmanseder: Im Moment sind für uns Jugendliche und junge Erwachsen sehr sichtbar. Zudem auch Eltern von Schulkindern, die an den persönlichen Leistungsgrenzen angelangt sind. Im Arbeitskontext melden sich vorwiegend Menschen, die durch Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust in finanzielle, existenzbedrohende Nöte geraten, ebenso Selbständige, die im Zuge der Vorgaben und Einschränkungen in ihrer Existenz bedroht werden und extrem verzweifelt sind. Zudem merken wir auch besondere Belastungen bei Mitarbeitern aus Gesundheits- und Pflegeberufen und Einsatzkräften. Einsame Menschen zählen ebenso zur Personengruppe, die psychisch stark belastet ist. Das zieht sich durch alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten.
Tips: Sind auch Kinder betroffen?
Hörmanseder: Natürlich, diese rufen aber selten selber bei uns an. Das übernehmen dann die Eltern oder andere Angehörige. Es geht oft ums Thema Schule, aber auch um fehlende Möglichkeiten, Freunde zu treffen, der fehlende Kontakt zu den Großeltern (besonders dann, wenn diese in einem Alters-und Pflegeheim leben), ebenso fehlende Möglichkeiten des sportlichen Ausgleichs. Kindern fehlt natürlich besonders auch der Körperkontakt und das distanzlose Miteinander. Themen sind auch noch Motivationslosigkeit, Überforderung, Einsamkeit und Ängste.
Tips: Über welche psychischen Erkrankungen beklagen sich Anrufer, die von der Corona-Krise betroffen sind, am häufigsten?
Hörmanseder: Ängste (z.B. Zukunftsängste, Existenzängste, Panikattacken; Angst vor Ansteckung und um erkrankte Angehörige besonders aus Risikogruppen) sind sehr häufig. Diese haben nun auch Menschen entwickelt, die sich vor Corona als psychisch stabil und robust beschrieben hätten. Überforderung und zunehmende Erschöpfung treten genauso auf wie Depressionen und körperliche Begleiterscheinungen. Generell ist es so, dass die meisten Erkrankungen oder psychische Belastungen schlimmer werden, weil ein großer Teil der sonstigen Bewältigungsstrategien wegfällt. Symptome von Menschen mit psychischen Erkrankungen haben sich vervielfacht – die Situation ist für „gesunde“ Menschen schwierig und belastend – für Menschen, welche bereits eine psychische Erkrankung haben bzw. psychisch vorbelastet waren, haben es nun doppelt schwer.
Tips: Sind Suizidgedanken bei den Menschen durch die Corona-Krise gestiegen?
Hörmanseder: In meiner Wahrnehmung schon. Ängste, Perspektivenlosigkeit, Depressionen und Einsamkeit sind wue erwähnt in den letzten Monaten stark angestiegen. Das zeigen zahlreiche Studien, aber auch überbelegte psychiatrische Abteilungen und der große Zulauf zu Therapeuten. Die Batterien sind leer und können nicht in gewohnter Form aufgeladen werden. Es fehlen einerseits Ressourcen in Form von anderen Menschen, die nicht in gewohnter Form greifbar sind, und andererseits auch sonst häufig genutzte Unterstützungsangebote bzw. auch Möglichkeiten zum Ausgleich und Ablenken.
Tips: Entstehen psychische Auswirkungen eher durch die Corona-Maßnahmen (z.B. Isolation im Lockdown) oder eher durch wirtschaftliche Schwierigkeiten wie Arbeitsplatzverlust?
Hörmanseder: Ich würde sagen durch die Kombination von beidem. Wie vorher schon erwähnt durchdringt die Corona-Krise inklusive Maßnahmen mittlerweile alle Lebensbereiche. Ich finde es wichtig, immer eine ganzheitliche Betrachtung einfließen zu lassen. Man kann nicht sagen, das eine ist problematischer oder belastender als das andere. Ich würde das so beschreiben: Mehrere bislang stabile Standbeine im Leben fangen gleichzeitig an zu wackeln, und dadurch werden die Menschen instabil.
Tips: Gibt es auch Anrufer, deren psychischer Zustand sich in der Corona-Krise verbessert hat?
Hörmanseder: Man muss unterscheiden zwischen der ersten Pandemiephase und jetzt. Im ersten Lockdown gab es durchaus Menschen mit psychischen Vorbelastungen, die besser durch die erste Phase „durchgetaucht“ sind als der Großteil der Bevölkerung. Ich meine hier Menschen, die von Haus aus eher zurückgezogen leben, ängstlich sind oder gerne und viel daheim sind - die es teilweise sogar entlastend gefunden haben, dass wenig Sozialkontakte und Rückzug nun die Normalität waren. Aber mit Fortdauer der Krise ist auch diese Personengruppe herausgefordert, belastet und ermüdet. Grundsätzlich gibt es Menschen, die mit der Corona-Krise besser zurecht kommen als andere und die sich die eine oder andere Kompetenz erworben haben. Das hängt mit der jeweiligen Lebenssituation und der psychischen und physischen Gesundheit zusammen.
Tips: Bekommt ihr Anfragen von Menschen, die ihre Ängste über weitere Lockdowns oder die anstehenden Impfungen äußern?
Hörmanseder: Ja, natürlich ist das auch ein Thema. Zum weiteren Lockdown kommen Fragen wie „Was mache ich dann?“, „Wie soll ich das noch aushalten?“, „Werden die Schulen wieder geschlossen?“, „Ich steh das nicht mehr durch“. Im Vordergrund steht die Perspektivenlosigkeit und das Gefühl, es wird ewig so weiter gehen, wir „wurschteln“ von Lockdown zu Lockdown und es nimmt kein Ende. Zum Impfen kommen schon vereinzelt Anrufe, aber eher selten.
Tips: Wie geht die Krisenhilfe mit Verschwörungsmythen um, die über das Internet verbreitet werden?
Hörmanseder: Verschwörungstheorien und Anti-Corona-Demos machen vielen Menschen Angst bzw. verunsichern in höchstem Ausmaß. Wir ermutigen Anrufer oder Menschen, die uns via Onlinekrisenberatung kontaktieren, diesen Theorien keinen Glauben schenken bzw. sich aus seriösen Quellen zu informieren und sich so ein Bild zu machen.
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