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Wie lange eine "lebenslange" Haftstrafe in Österreich wirklich dauert

Anna Fessler, 28.04.2023 16:42

OÖ. Lebenslange Haft lautete das Urteil im Fall des 35-jährigen Mannes, der sich wegen Mordes an einer Escort-Dame in Ternberg verantworten musste. In jenem Fall ist das Urteil nicht rechtskräftig, da der Verteidiger Rechtsmittel anmeldete – aber was würde eine „lebenslange“ Haftstrafe in Österreich eigentlich bedeuten?

Eine "lebenslange" Haftstrafe bedeutet in Österreich selten eine Haft bis zum Ende des Lebens. (Foto: Volker Weihbold)

Da die Frage erstaunlich wenig untersucht war, haben sich zwei Forscher der Johannes Kepler Universität Linz dem Thema angenommen. „Von Gesetzes wegen bedeutet eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht zwingend, bis zum Tode inhaftiert zu sein. Ab einer Verbüßungsdauer von 15 Jahren ist eine bedingte Entlassung möglich“, so Alois Birklbauer (JKU Institut für Strafrechtswissenschaften).

Nach 15 Jahren muss die Behörde prüfen, ob Gefängnisinsassen entlassen werden können. Später kann auch der Insasse Anträge auf bedingte Entlassung stellen. „Wird das genehmigt, folgt eine Probezeit von zehn Jahren. Es kann auch zusätzliche Auflagen geben, etwa ein Alkoholverbot oder verpflichtende Psychotherapie“, erklärt Helmut Hirtenlehner vom Institut für Procedural Justice.

Durchschnittlich bedeutet „lebenslang“ 21 Jahre

Die beiden Strafrechtsexperten wollten herausfinden, wie lange „lebenslang“ in Österreich wirklich dauert. Die beiden Wissenschaftler analysierten dazu 140 Akten. Das Ergebnis: „Lebenslang“ bedeutet in Österreich eine durchschnittliche Haftdauer von 21 Jahren. Dazu verurteilt werden in Österreich jährlich rund zehn Personen, 150 Personen verbüßen derzeit in Österreich eine „lebenslange“ Freiheitsstrafe. Von den 140 untersuchten Akten betrafen 96 Prozent Männer, Mord machte 99 Prozent der Verurteilungen aus. Im Schnitt kamen auf eine Person fünf Entlassungsverfahren, sodass insgesamt rund 700 gerichtliche Entscheidungen untersucht wurden.

Nach 33 Jahren Haft sind noch 10 Prozent „hinter Gittern“

„20 Jahre nach Strafantritt befinden sich noch 56 Prozent der zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Personen in Haft. Der Anteil der Häftlinge sinkt bis zum 25. Strafjahr auf 27 Prozent, 33 Jahre nach Strafbeginn befinden sich noch 10 Prozent der ,Lebenslangen‘ in Haft“, so Birklbauer. „Die höchsten Chancen freizukommen hat man zwischen dem 17. und dem 23. Inhaftierungsjahr“, erläutert Hirtenlehner.

Schlechte Entlassungschancen bei Verurteilung wegen Sexualmord

Die geringsten Entlassungschancen haben Personen, die aufgrund von Sexualmord verurteilt wurden. Wer vor der lebenslangen Haft schon andere Freiheitsstrafen verbüßen musste, hat ebenfalls schlechtere Chancen auf Entlassung. Großen Einfluss auf das Ergebnis hat die Staatsanwaltschaft. Diese kann gegen bedingte Entlassungen Rechtsmittel einlegen, daher würden Gerichte dazu neigen, dem Standpunkt der Staatsanwaltschaft zu folgen. Auch aktuelle Sachverständigengutachten können großen Einfluss ausüben - wenn sie denn in Auftrag gegeben werden, was nicht einmal in der Hälfte aller Fälle passiert.

Psychiatrische Gutachten zum Rückfall-Risiko laut Experten zu selten

Kurioserweise hilft die Vertretung durch einen Anwalt nicht: Wenn „Lebenslange“ einen Rechtsbeistand haben, erhöht das die Wahrscheinlichkeit der Einholung aktueller Sachverständigengutachten. Diese fallen aber mehrheitlich ungünstig für die beurteilten Gefangenen aus. Die Forscher sind der Ansicht, dass man den Einfluss der Staatsanwaltschaften auf die Entlassungsentscheidungen der Gerichte hinterfragen sollte. Psychiatrische Gutachten zum Rückfallsrisiko der Gefangenen würden hingegen zu selten eingeholt, man stütze sich allzu oft auf veraltete Gutachten.

„Insgesamt könnte man überlegen, bei positiver Zukunftsprognose vermehrt vorzeitig zu entlassen, zumal Österreich im europäischen Vergleich ohnehin sehr hohe Gefangenenraten aufweist. Die Rückfallraten von wegen Tötungsdelikten zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilten Personen werden im kriminologischen Schrifttum als vergleichsweise gering angegeben“, so Birklbauer und Hirtenlehner abschließend.


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