AMS-Chefin Iris Schmidt: „Kurzarbeit wurde geschaffen, um Arbeitslosigkeit zu verhindern“
LINZ/OÖ. Im Tips-Interview spricht die Landesgeschäftsführerin des AMS Oberösterreich (OÖ), Iris Schmidt, über den aktuellen Arbeitsmarkt.
Tips: Welche Entwicklungen sehen Sie aktuell am Arbeitsmarkt?
Iris Schmidt: Ich erkenne ein verändertes Verhalten der Unternehmen bei Freistellungen. Die Demografie fängt an zu greifen und die Statistiken haben eine Facette noch nicht berücksichtigt: Wenn wir von Babyboomern sprechen, dann reden wir von Menschen, die mit 15 auf den Arbeitsmarkt gekommen sind. Das passiert jetzt in den seltensten Fällen. Was wir auch sehen, ist, dass etwa 30 Prozent der Menschen nicht direkt aus dem unmittelbaren Erwerbsleben in die Pension gehen. Darum stellen viele Unternehmen keine Arbeitskräfte mehr frei, aus Angst, keine mehr zu bekommen.
Tips: Gibt es branchenspezifische Sonderentwicklungen?
Schmidt: Früher hat es oft eine ganze Branche getroffen. Jetzt merken wir, dass es innerhalb der Branche nicht ganz so homogen ist. Es hängt davon ab, wie die Unternehmen aufgestellt sind, wie viele Standbeine sie haben. Wir hören zum Beispiel aus der Baubranche überall dort von Absatzproblemen, wo der Endkonsument die Teuerung spürt.
Tips: Kann man die gemeldeten Arbeitslosen mit den offenen Stellen matchen, funktioniert das?
Schmidt: Wir publizieren monatlich die Anzahl an arbeitslosen Personen. Das sind jedoch nicht dieselben Personen, die im vorigen Monat arbeitslos waren. Wir haben in OÖ einen Sockel an 3.000 bis 3.500 Langzeitarbeitslosen. Diese haben schwere, gesundheitliche Einschränkungen und wären vor der Pensionsrechtsreform 2014 in die Berufsunfähigkeitspension gegangen. Dieser Zugang wurde verschärft, und das trifft manchmal die Falschen. Hier braucht es viel, bis die Menschen wieder eingeschränkt arbeiten können: andere Qualifizierungen, eine Umorientierung, psychosoziale Unterstützung und einen Dienstgeber, der die Möglichkeit gibt, langsam Fuß zu fassen.
Tips: Man hört immer von „sinnbefreiten“ Schulungen …
Schmidt: Hier ist viel Mythos dahinter. Es gibt Unterschiede in der Wahrnehmung, was eine Person an Weiterqualifizierung benötigt. Wir versuchen, so treffsicher wie möglich zu sein, haben keine Massenkurse mehr. Wir übernehmen die Basisausbildung und dann geht es über in die arbeitsplatznahe Qualifizierung, bei der wir stark mit den Unternehmen zusammenarbeiten.
Tips: Kritik gab es zuletzt, weil das AMS keine Kurzarbeit gewährt hat.
Schmidt: Kurzarbeit wurde geschaffen, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Wir haben jetzt einen Arbeitsmarkt, wo die Menschen nicht oder nicht lange arbeitslos werden, weil Alternativangebote vorhanden sind. Wenn ich die vorübergehende wirtschaftliche Notwendigkeit nicht feststellen kann, was heißt das dann per se für diesen Menschen? Er wird in einem Arbeitsverhältnis geparkt und wir wissen nicht, ob dieses Parken am Ende nicht ohnehin in die Arbeitslosigkeit mündet. Die Einzelperson muss sich Kurzarbeit in Zeiten enormer Inflation auch leisten können.
Tips: Die geringfügige Beschäftigung zur Arbeitslosigkeit stößt sauer auf, wenn Personen damit in Summe mehr verdienen als in einem Beschäftigungsverhältnis.
Schmidt: Auf die Personen, die im System „tanzen“, wird schon sehr lange fokussiert. Es erfolgte jetzt eine Normierung im System: Wenn eine Person geringfügig arbeitet, dann wird der Dienstgeber angerufen und über eine Vollversicherung gesprochen. Es liegt auch nicht immer an den arbeitslosen Personen. Viele Unternehmen arbeiten deshalb mit Geringfügigen, weil sie sonst die Stunden nicht abdecken können. Auch als Eingliederungsphase aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen kann Geringfügigkeit durchaus gescheit sein.
Tips: 2024 wird das AMS aufgrund von voraussichtlich geringeren Arbeitslosenzahlen mit weniger Budget auskommen müssen. Wo wird der Schwerpunkt liegen?
Schmidt: Unsere oberste Aufgabe ist es, arbeitslosen Menschen die Existenzsicherung zu gewähren, und zu vermitteln. Wir arbeiten auch mit Künstlicher Intelligenz und haben das gesamte Berufsinformationssystem in einen Chatbot gegossen. Im Herbst werden wir die ersten Pilotversuche starten.
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