„Erinnerung an Holocaust ist eine bleibende Verpflichtung“
MAUTHAUSEN. Die zwei ORF-Journalistinnen, Lisa Gadenstätter und Elisabeth Gollackner, beginnen im Herbst 2017 ihre Arbeit an einer Dokumentation über Holocaust-Überlebende. Das Projekt führt sie in die ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen und Auschwitz, nach Israel und nach Hamburg. In der Gedenkstätte Mauthausen werden sie hauptsächlich von Bernhard Mühleder begleitet.
Mühleder organisiert Rundgänge, sie führen Gespräche mit ihm, mit Zeitzeugen, sie stellen sich der Frage, was der Holocaust mit den nachgeborenen Generationen zu tun hat. Ergebnisse sind die TV-Dokumentation „Schluss mit Schuld – Unsere Reise zum Holocaust und zurück“, sowie ein gleichnamiges Buch. Kürzlich wurde dieses im Besucherzentrum im Rahmen einer Lesung präsentiert. Tips hat Bernhard Mühleder über seine Arbeit als Vermittler befragt.
Tips: Sie haben ihre Tätigkeit in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen als Zivildiener begonnen. Was hat Sie dazu bewogen und welche Erinnerungen sind damit verbunden?
Mühleder: Ich bin unweit von der KZ-Gedenkstätte in Mauthausen aufgewachsen, genauer gesagt in St. Georgen an der Gusen, etwa acht Kilometer von Mauthausen entfernt. Dort wurde von KZ-Häftlingen unter widrigsten Umständen eine große, unterirdische Rüstungsfabrik für die Produktion von Jagdflugzeugen errichtet, mitten im Ortszentrum, streng geheim und doch haben alle Bescheid gewusst, wie ich später herausfand. Als Jugendlicher war es für mich schwierig Informationen darüber zu erhalten. Daher wollte ich meinen Zivildienst unbedingt an der Gedenkstätte in Mauthausen machen, das war 2001. Ich fand die Arbeit mit den verschiedenen Gruppen, aber vor allem auch mit Überlebenden der Lager für mich persönlich sehr bereichernd.
Tips: Im Buch sprechen Sie von Schockpädagogik, die sie aus dieser Zeit kennen.
Mühleder: Das war vor allem noch in meiner Zeit als Zivildiener, gemeint ist damit unter anderem das Zeigen von „Leichenbergbildern“. Dieses löst in der ersten Reaktion natürlich einen Schock oder eine Abwehr aus, leitet aber kein Nachdenken ein. Die Frage, um die es aber gehen sollte, ist: Warum konnte das alles passieren? Mir ist es heute sehr wichtig, dass ich nicht als Moralapostel dastehe. Es geht mir bei der Arbeit mit Besuchsgruppen vor allem darum, wertschätzend miteinander umzugehen und auf gleicher Augenhöhe zu diskutieren. Im Idealfall schafft man einen Raum, in dem das eigene Denken und Handeln auf dieser Basis reflektiert wird.
Tips: Sie arbeiten seit zehn Jahren als Vermittler und sind seit zwei Jahren im Team der Pädagogik, das ein eigenes Konzept der Vermittlungstätigkeit entwickelt hat. Worauf wird dabei geachtet?
Mühleder: Als pädagogische Prinzipien gelten bei Vermittlungsprogrammen an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und Gusen das autonome und das partizipative Lernen. Die Besucher nehmen dabei eine aktive Rolle ein. Wir besprechen in der Gruppe eigene Wahrnehmungen und tauschen uns über historische Text- und Bildmaterialien aus. Auf dieser Basis leiten die Besucher Fragen für die Gegenwart ab und stellen selbständig Bezüge zum Heute und zu eigenem Handeln her.
Tips: Was ist für Sie ein erfolgreicher Tag als Vermittler bzw. gibt es den überhaupt?
Mühleder: Ja, den gibt es definitiv. Das ist immer dann, wenn ich mit einer Gruppe viel diskutiere, wenn ich selber nur fünfzig Prozent der Dauer des Rundganges selber spreche, wenn viele Fragen gestellt werden. Mein Ziel ist ein Miteinander, ein Miteinander-Reden. Man ist in der Rolle des Vermittlers - und das ist für mich auch einer der entscheidenden Faktoren in der Bildungsarbeit – nicht ausschließlich der Lehrende, sondern auch immer ein Lernender. Dessen sollte man sich immer bewusst sein.
Tips: Das vorliegende Buch stellt die Frage „Was hat das mit mir zu tun“. Sie selbst sind 1981 geboren, gehören der Enkel-Generation an. Was hat der Holocaust mit Ihnen zu tun?
Mühleder: Ich fühle mich nicht schuldig für den Mord an Millionen von Menschen. Heute geht es um Verantwortung. Verantwortung dafür zu übernehmen, was sich in dieser Zeit abspielte. Dazu ist es wichtig Zusammenhänge zu erkennen, sich darüber mit anderen auszutauschen und Erfahrungen zu besprechen. Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus ist eine bleibende Verpflichtung. Ohne Erinnerung kann man nicht verantwortungsbewusst mit der Geschichte umgehen und in der Gegenwart handeln.
Kommentare sind nur für eingeloggte User verfügbar.
Jetzt anmelden