Europameisterschaft früher gegen heute: ein Fußballexperte zieht Bilanz
ÖSTERREICH. Das Finale der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland steht kurz bevor. Von den 24 gestarteten Mannschaften sind Spanien und England verblieben und kämpfen am kommenden Sonntag im Berliner Olympiastadion um den Titel des Europameisters 2024. Harald Knoll, Senior Researcher am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung, konzentriert sich in seiner Forschung auf die Sportgeschichte und deren Auswirkungen auf das heutige Sportgeschehen.
Das in Graz ansässige Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung untersucht seit 1993 die Auswirkungen von Kriegen und Konflikten des 20. Jahrhunderts. Harald Knoll, ein führender Forscher des Instituts, entdeckte vor etwa 15 Jahren seine Leidenschaft für die Sportgeschichte und beschäftigt sich seitdem intensiv mit deren Einfluss auf den modernen Sport.
„Seit Jahrtausenden steht der Sport als eigenständiges Phänomen da, ist aber gleichzeitig auf vielen Ebenen eng mit anderen gesellschaftlichen Bereichen verbunden: sozial, kulturell, politisch und ökonomisch“, so Knoll.
In seinem 2024 veröffentlichten Buch „Sport, Prestige, Profit – Historische Betrachtungen zum Run auf Ruhm und Reichtum“ untersucht Knoll gemeinsam mit Walter Iber, Johannes Gießauf und Peter Mauritsch auf 373 Seiten, wie sich die Europameisterschaften zu einem Publikumsmagneten und Massenspektakel entwickeln konnten und welche wirtschaftlichen Faktoren für den heutigen Erfolg der Turniere ausschlaggebend sind.
Regelanpassungen, Profit und Ruhm – die Entwicklung des Fußballs
Im Jahr 1960 fand in Frankreich die erste Fußball-Europameisterschaft der Männer statt, damals unter dem Namen „Europapokal der Nationen“. Vier Nationen – Frankreich, Jugoslawien, die Sowjetunion und die Tschechoslowakei – nahmen teil. Die Sowjetunion gewann das Turnier mit einem 2:1-Sieg über Jugoslawien. Acht Jahre später wurde der Wettbewerb offiziell zur Fußball-Europameisterschaft ernannt, womit der Grundstein für das heutige Turnier gelegt wurde.
Im Laufe der Jahre änderten sich nicht nur der Name, sondern auch das Regelwerk und die Mentalität des Wettbewerbs. Ein bedeutendes Beispiel ist die „Hitzeschlacht von Lausanne“, bei der der österreichische Torwart Kurt Schmied einen Sonnenstich erlitt und aufgrund strenger Turnierbestimmungen nicht ausgewechselt werden durfte. Dies führte 1967 zur Einführung der Auswechslung während der regulären Spielzeit. Um den Fußball auch in sozialen Aspekten zu reformieren, wurden ab 1980 rote und gelbe Karten zur Verwarnung der Spieler eingeführt, während zuvor ein Platzverweis nur bei grobem Fehlverhalten oder schweren Verletzungen möglich war.
Das wachsende Interesse der Fans am Wettbewerb und am Fußball allgemein verstärkte die Bedeutung des Sports in der Gesellschaft und steigerte den Ruhm und das Prestige einzelner Spieler und Vereine. „Ein wesentlicher Faktor dieser Entwicklung ist die Medialisierung der Events. Es liegt in der sozialen Identität des Menschen, sich für außergewöhnliche und aufmerksamkeitsstarke Berichterstattungen zu interessieren. Dass die Medien dies bedienen, liegt daher für mich in der Natur der Sache“, erklärt Knoll.
Der Schlusspfiff: Bilanz des Fußballexperten
Für Harald Knoll sind die zeitgemäße Weiterentwicklung des Turniers und die zunehmende Qualität der Mannschaften die ausschlaggebenden Gründe für die wachsende Beliebtheit der Europameisterschaften. „Während die EM zu ihrer Anfangszeit, besonders neben der Weltmeisterschaft, nur wenig Beachtung fand, ist sie heute ein Großereignis der Extraklasse“, so der Experte.
„Die derzeit zeitgleich zur EM stattfindende Copa América kämpft mit vergleichsweise leeren Stadien, während das Interesse der Südamerikaner am europäischen Fußball steigt. Dies bestätigt das internationale Renommee und die hohe Leistungsdichte der an der EM teilnehmenden Mannschaften.“
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