„Es beginnt mit kleinen Dingen“: Gewaltschutzzentrum OÖ betreute knapp 4.000 Personen im Jahr 2024
OÖ/LINZ. 3.953 Personen betreute das Gewaltschutzzentrum OÖ im Jahr 2024. Wichtig sei schon frühzeitig zu sensibilisieren. Besonders wichtig ist es auch, die Betroffenheit von Kindern bei häuslicher Gewalt zu beachten. Schätzungen zufolge erleben 10 bis 30 Prozent der Kinder in Österreich Gewalt innerhalb der Familie.
3.953 Personen betreute das Gewaltschutzzentrum OÖ im Jahr 2024. „Davon wurden etwa zwei Drittel von der Exekutive aufgrund eines Betretungs- und Annäherungsverbotes überwiesen, ein Drittel meldete sich von selbst. Diese Zahl ist über die Jahre auch gestiegen, weil das Bewusstsein und unsere Bekanntheit gestiegen ist“, erläutert Sonja Ablinger, seit über 25 Jahren Vorsitzende des Gewaltschutzzentrums OÖ.
28.271 Beratungsgespräche – persönlich oder telefonisch – fanden statt. 278 Personen wurden wegen Stalking beraten. In 383 Fällen wurde eine Prozessbegleitung durchgeführt. In 383 Fällen unterstützte das Gewaltschutzzentrum OÖ zudem bei Anträgen auf eine Einstweilige Verfügung.
Schon früh sensibilisieren
Interessant sei, so Ablinger, dass sie viele auch erkundigen würden, ob eine bestimmte Handlung bereits zu Gewalt zähle. „Ich bin froh, dass das Bewusstsein wächst.“ Gewalt habe oft auch eine Geschichte oder „Spirale“: „Es beginnt mit kleinen Dingen, mit Schubsen, mit blöden Bemerkungen, mit Kontrolle. Und je massiver das wird und sich Frauen am Anfang nicht flüchten trauen aus diesen Beziehungen, umso heftiger wird es oft.“
Ablinger sensibilisiert auch in ihrem Beruf als Lehrerin an einer Mittelschule. „Schon frühzeitig sensibel dafür machen: Du hast ein Recht auf dein Leben. Und nicht alles, was Liebe ist, ist Liebe – sondern kann auch der Beginn von Kontrolle und Besitznahme sein.“
„Täter muss Verantwortung übernehmen“
Klar sei, dass Täter die Verantwortung übernehmen müssen, verweist sie auf den 1996 erfolgten Meilenstein mit dem damals beschlossenen Gewaltschutzgesetz, mit dem unter anderem auch Betretungsverbot und Wegweisung möglich wurden. „Österreich war damals übrigens Vorreiter“, so Ablinger. „Dass der Täter gehen muss, dass wir Opfer aktiv ansprechen können, aktiv unterstützten können, war ein Meilenstein und ist nach wie vor ein ganz wesentlicher Punkt in der Gewaltschutzarbeit. Weil klargemacht wird: Der Täter muss Verantwortung übernehmen.“
Im Gewaltschutzgesetz sei über die Jahre auch vieles noch verbessert worden – so sei etwa der Begriff Stalking eingeführt worden, oder die Auflage für Täter, zumindest sechs Stunden ein Gespräch in einer Beratung führen zu müssen, mit Gefährlichkeitseinschätzung. Fast alle würden dieser Auflage auch freiwillig nachkommen, berichtet Ablinger.
Fast 80 Prozent der Opfer sind Frauen
Laut den aktuellen Zahlen 2024 sind
- 78 Prozent der Opfer Frauen, welche zu 94 Prozent der Gewalt von Männern ausgesetzt sind.
- Männliche Opfer waren zu 72 Prozent ebenso Opfer von männlicher Gewalt.
Angezeigt wurden von den vom Gewaltschutzzentrum OÖ betreuten Personen 2024 vor allem Körperverletzung, gefährliche Drohung/Nötigung und Stalking.
Im ersten Halbjahr 2025 mussten ebenfalls bereits 2.189 Personen beraten werden, 1.193 im Zuge eines Betretungs- und Annäherungsverbotes.
Kinder: „Familiäre Gewalt nicht reale Gefahr, sondern permanente emotionale Bedrohung“
Im Gewaltschutzzentrum OÖ wurde am Mittwoch vor Presse besonders darauf hingewiesen, dass die Betroffenheit von Kindern bei häuslicher Gewalt mitberücksichtigt werden muss.
Schätzungen zufolge erleben 10 bis 30 Prozent der Kinder in Österreich Gewalt innerhalb der Familie. Besonders alarmierend ist, dass wiederholte Gewalt gegen die Mutter das Risiko von Kindern erhöht, selbst körperlich misshandelt zu werden.
„Sie erleben familiäre Gewalt nicht nur als reale Gefahr, sondern auch als permanente emotionale Bedrohung – selbst außerhalb des Elternhauses. In unserer täglichen Beratungsarbeit ist es daher wichtig, die im Haushalt lebenden Kinder mitzuberücksichtigen, selbst wenn sie nicht geschlagen werden“, erklärt Eva Schuh, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums OÖ.
Dabei wird stark mit der Kinder- und Jugendhilfe kooperiert, aber auch mit den Kinderschutzzentren oder anderen Kindereinrichtungen.
Sie verweist auch auf Trennungsgewalt, denen Kinder ausgesetzt sein können. „Hier erleben wir oft, dass uns Mütter schildern, dass bei der Übergabe der Kinder bei Besuchskontakten Gewalt ausgeübt wird. Das ist für die Kinder noch viel schwieriger, dann haben sie das Gefühl, sie sind schuld, dass die Mutter geschlagen wird – was sie natürlich nicht sind.“
„Kind bekommt Übergriff mit“
Auch wenn die Eltern das glauben: „Selbst wenn sich das Kind im Nebenraum befindet und die Eltern glauben, das Kind schläft, bekommt es die Übergriffe immer mit“, so Schuh. „Und auch wenn sie nicht dabei waren, sie sehen die Verletzungen, sie bekommen die polizeilichen Einsätze mit. Deswegen ist es ganz wichtig, dass man mit den Kindern darüber spricht und nicht einfach darüber weggeht. Und sie spüren die Angst der Mutter natürlich.“
Die Folgen von Partnerschaftsgewalt seien tiefgreifend für Kinder – von Bindungs- und Entwicklungsstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen bis zu Problemen in der Emotions- und Verhaltensregulation.
Über das Gewaltschutzzentrum OÖ
Das Gewaltschutzzentrum OÖ ist eine gesetzlich anerkannte Opferschutzeinrichtung. Es berät seit 1998 Personen, die von Gewalt im sozialen Nahraum sowie Stalking betroffen sind. Das Angebot ist freiwillig, kostenlose und vertraulich. 1998 wurde mit vier Mitarbeiterinnen begonnen, mittlerweile gibt es fünf Außenstellen in Oberösterreich und knapp 40 Mitarbeiterinnen.
Infos: www.gewaltschutzzentrum.at/oberoesterreich/
Wenn Hilfe nötig ist, anonym, rund um die Uhr, kostenlos
- Polizeinotruf 133
- Frauen-Helpline: 0800 222555
- Gewaltschutzzentrum OÖ: Tel. 0732 607760, E-Mail ooe@gewaltschutzzentrum.at
- Krisenhilfe OÖ: 0732 2177
- Frauenberatung OÖ, www.frauenberatung-ooe.at, hier sind auch alle Kontakte zu den Frauenhäusern in Oberösterreich zu finden.
- PIA: Prävenation, Beratung und Therapie bei sexueller Gewalt: Tel. 0732 650031, E-Mail: office@pia-linz.at
- Autonome Frauenhäuser in Oberösterreich: www.aoef.at
- Telefonseelsorge: 142
- Opfer-Notruf: 0800 112 112
- Männerberatung: 0800 400 777
- Männernotruf: 0800 246 247
- Helpchat.at
- Rat auf Draht: 147
- Weißer Ring – Verbrechensopferhilfe, Büro OÖ: Tel. 0699 13434015, E-Mail: ooe@weisser-ring.at
- StoP – Stadt ohne Partnergewalt Linz, https://stop-partnergewalt.at/, E-Mail: linz@stop-partnergewalt.at
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