Kinderbetreuung: Tagesmütter fürchten durch Novelle um Jobs
OÖ. Mit der beschlossenen Oö. Kinderbildungs- und betreuungs-Novelle 2023 kommt auch eine Neuregelung, die bei vielen Tageseltern für Kopfzerbrechen und heftige Kritik sorgt. Die Nachmittagsbetreuung von Kindern muss künftig über die Gemeinde in den Kinderbildungseinrichtungen erfolgen, eine reine Nachmittagsbetreuung durch Tageseltern wird ab drei Kindern nicht mehr vom Land OÖ gefördert. Die Änderung tritt am 1. September in Kraft.
Mit der Novelle wird unter anderem das neue Berufsbild „Pädagogische Assistenzkraft“ eingeführt, aber auch die Öffnungszeiten von Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen werden ausgeweitet. Diese müssen künftig mindestens 47 Wochen pro Kalenderjahr geöffnet haben und auch am Nachmittag muss die Betreuung bis 19 Uhr gewährleistet sein, wenn ein Bedarf ab drei Kindern angemeldet ist
Gleichzeitig wird aber auch eingeführt, dass die Nachmittagsbetreuung in jener Einrichtung stattfinden muss, in der das Kind auch am Vormittag ist. Die Betreuung durch Tageseltern rein am Nachmittag wird nicht mehr finanziell gefördert. Ist ein Kind also am Vormittag im Kindergarten oder der Krabbelstube, erfolgt bei Bedarf ab drei Kindern auch die Nachmittagsbetreuung über die Gemeinden dort.
Nur wenn Bedarf für weniger als drei Kinder gemeldet ist, kann weiterhin auf geförderte Nachmittagsbetreuung durch Tageseltern zurückgegriffen werden.
Wenn ausschließlich eine Tagesmutter oder Tagesvater betreut, weil ein Kind nicht in einer Krabbelstube oder einem Kindergarten angemeldet ist, dann bleibt die Förderung aufrecht.
Tageseltern protestieren
1.800 Kinder (2,6 Prozent) werden laut Land OÖ pro Monat von Tageseltern betreut. In Oberösterreich gibt es acht Vereine, die Tagesmütter bereitstellen, versammelt sind sie in der Interessensgemeinschaft Tagesmütterverband Oberösterreich. Rund 400 Tageseltern gibt es in Oberösterreich. Gabriele Puttinger ist Obfrau des Vereins Tagesmütter Innviertel, mittlerweile der größte Verein in Oberösterreich (mit 150 bis 160 Tagesmüttern und rund 800 betreuten Kinder im Monat). Zweitgrößter Verein ist die Aktion Tagesmütter OÖ.
„Alle Tagesmütter-Vereine in Oberösterreich leisten im Jahr circa zwei Millionen Betreuungsstunden in allen Bereichen“, zeigt Gabriele Puttinger im Tips-Gespräch die Bedeutung auf.
Problematisch in kleineren Landgemeinden
Grundsätzlich sei die Kinderbildungs- und betreuungs-Novelle ja eine gute Idee, „deren Umsetzung stellt sich in letzter Konsequenz aber etwas schwierig heraus“, so Puttinger. In größeren Städten werde die Änderung kein Problem darstellen, aber vor allem in kleineren Gemeinden am Land. „Bisher war es so: Wenn drei, vier, fünf Kinder in den Gemeinden am Nachmittag zu betreuen waren, haben das wir in Form von Tagesmüttern übernommen. Jetzt muss es über die Gemeinden laufen. Diese werden nun das große Problem haben, Pädagoginnen für die Öffnung bis 19 Uhr organisieren zu können.“
Ein Problem sei auch: „Wenn jetzt im September klar ist, es gibt zwei Kinder zu betreuen, dann braucht die Gemeinde keine Gruppe aufzumachen. Ende September meldet eine Mutter an, dass sie ab Oktober arbeiten geht, dann sind es drei Kinder. Die Kinder müssen dann von den Tagesmüttern weg und in die neue Gruppe der Gemeinde gehen.“
Puttinger glaubt auch, dass es nicht allen Kindern zuzumuten ist, den ganzen Tag in einer Gruppe untergebracht zu sein. „Ich glaube, dass nicht alle Kinder gruppenfähig sind. Eine Tagesmutter-Betreuung ist viel individueller und familiärer.“
Den Tagesmüttervereinen falle zudem ein großes Geschäftsfeld weg. „Es fallen in diesem Bereich die Förderungen sowohl für die Gemeinden als auch für den Verein weg. Das kann uns ziemlich in die Bredouille bringen. Bei uns geht es wahrscheinlich um 20, eventuell 25 wertvolle Frauenarbeitsplätze. Das wird schwierig, diese in anderen Bereichen (Anm. zum Beispiel Betriebskindergärten), unterzubringen, wir wollen aber natürlich das Personal nicht verlieren.“
„Solche Entwicklungen machen Angst“
Rene Schindlegger ist erster Tagespapa Oberösterreichs, in Linz-Pichling, über den Verein Aktion Tagesmütter OÖ. „Wir arbeiten genauso verantwortungsvoll wie die Kollegen im Kindergarten. Man hat aber das Gefühl, Lückenbüßer und zweite Wahl zu sein. Wir haben Angst. Keiner weiß, wie es weitergeht mit uns. Irgendwann bleiben wir auf Strecke“, so Schindlegger im Tips-Gespräch. Auch wenn er selbst nicht direkt betroffen ist, weil er nur Ganztages-Kinder betreut, würden viele seiner Kolleginnen nun ihren Job verlieren. „Das ist nicht fair und nicht gerechtfertigt.“
Die Änderung betreffe auch nicht nur Tageseltern, „sondern auch Eltern selbst, sie werden vor Tatsachen gestellt.“ Für Gemeinden vor allem am Land werde es zudem kaum möglich sein, die Kindergärten bis 18 Uhr oder länger offenzuhalten, weil das Personal nicht da sei. „Ich kann ja auch niemanden zur Herz-OP schicken, wenn kein Arzt da ist“, vergleicht er.
Für ihn ist klar: „Das ist nicht nur mein Job, sondern meine Leidenschaft – aber solche Entwicklungen machen mir echt Angst.“
Wunsch: Tageseltern einbinden
Der Wunsch von Gabriele Puttinger an die Politik: Tageseltern bzw. die Vereine in Reformen und Gesetzesnovellierungen von Anfang an einzubinden. „Ich glaube, dass die Arbeit um einiges effektiver wäre, wenn man schon zu Beginn auf Probleme aufmerksam machen könnte. Und mein Wunsch ist natürlich, dass die Tagesmütter nicht nur als Ergänzung gesehen werden und dass die Eltern die Wahlfreiheit haben.“
Haberlander: Rechtssicherheit wird geschaffen
LH-Stellvertreterin Bildungslandesrätin Christine Haberlander (ÖVP) verteidigt die Neuerung, die gesetzlichen Änderungen seien den Beteiligten auch schon länger bekannt. Es werde dadurch Rechtssicherheit für die Eltern geschaffen sowie ein besseres Angebot in den bestehenden Einrichtungen. Verantwortlich seien wie in allen Bundesländern die Gemeinden, das Land OÖ schaffe die Vorgaben, damit für die Eltern Verlässlichkeit gegeben sei.
„Zahlreiche Verbesserungen und neue Maßnahmen wurden bereits auf den Weg gebracht und der Ausbau der Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen schreitet auch heuer mit rund 100 Gruppen zügig voran. Kinderbildung und -betreuung hat dem Bedarf der Eltern zu entsprechen und damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherzustellen. Mit dem neuen Gesetz schaffen wir Rechtssicherheit. Die Tagesmütter sind und bleiben eine wichtige und unverzichtbare Ergänzung für die Kinderbildung- und -betreuung in Oberösterreich. Das wird auch weiterhin gefördert“, so Haberlander.
Gerade bei jungen Kindern sei auch die Kontinuität der Betreuung, durchgehend von den gewohnten Bezugspersonen in gewohnter Umgebung wichtig. Kinder würden am Vormittag Geborgenheit erfahren und könnten in Zukunft auch nachmittags in diesen Einrichtungen betreut werden.
Im Büro Haberlander verweist man auch auf die Fördersummen im Bereich Tageseltern: im vierten Quartal wurden demnach vom Land OÖ rund 1,57 Millionen Euro an die Tagesmüttervereine geleistet, im ersten Quartal 2023 knapp 1,36 Millionen und im zweiten Quartal 2023 1,76 Millionen Euro.
Beim Fördersystem der Tageseltern bezahlt die Gemeinde pro Betreuungsstunde und pro Kind einen fixen Betrag. Von den Eltern werden sozial gestaffelte Elternbeiträge pro Betreuungsstunde (mindestens 0,45 Euro, maximal 4,42 Euro pro Stunde) geleistet, das Land OÖ bezahlt die restlichen Lohnkosten der Tagesmütter („Betreuungsbeitrag“) sowie einen Pauschalbeitrag pro Kind an die Vereine für den Verwaltungsaufwand.
Petition gestartet
Der Verein Tagesmütter Innviertel hat auch eine Petition gestartet und fordert „die Erhaltung der Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung für Eltern und Gemeinden sowie die Leistbarkeit der Betreuung bei Tagesmüttern/-vätern.“ Unterstützende Unterschriften können bei vielen Tagesmüttern in Oberösterreich, wie auch in den jeweiligen Standorten einer Betreuung und in den Verwaltungsbüros geleistet werden.
Kommentare sind nur für eingeloggte User verfügbar.
Jetzt anmelden