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Neue Strategien nötig: Wie Oberösterreich gegen steigende Jugendkriminalität ankämpfen will

Tips Logo Karin Seyringer, 24.01.2025 18:30

OÖ/LINZ. Soll das Strafmündigkeitsalter gesenkt werden? Diese Frage wird schon länger heiß diskutiert. Ja, finden der oö. Jugend- und Integrations-Landesrat Christian Dörfel (ÖVP) und Polizeidirektor Andreas Pilsl bei der Präsentation einer neuen Studie zu jugendlichen Intensivtätern  – „aber nicht, um Kinder einzusperren“. Strafrechtsexperte Helmut Hirtenlehner, JKU, plädiert für „sozial-konstruktive Lösungen“. Das Land OÖ weitet unterdessen ableitend von den Studienergebnissen Maßnahmen aus.

  1 / 2   Archivfoto: Anlässlich der Ausschreitungen zu Halloween 2022 in der Linzer Innenstadt wurde vom Land OÖ ein Maßnahmenpaket gestartet, zudem die nun präsentierte Studie in Auftrag gegeben. (Foto: FOTOKERSCHI.AT / KERSCHBAUMMAYR)

Jugendkriminalität hat in den letzten Jahren vor allem im urbanen Raum zugenommen. Laut Kriminalstatistik des Innenministeriums sind im Zeitraum von 2013 bis 2023 die angezeigten Straftaten von Kindern und Jugendlichen zwischen zehn und 14 Jahren von 4.800 österreichweit auf knapp 10.000 gestiegen. Auch die angezeigten Straftaten von 14- bis 18-Jährigen sind von 24.800 auf 34.000 angestiegen.

„Es gibt Grenzen, die nicht überschritten werden dürften, und wenn solche Grenzen überschritten werden, müssen wir die roten Linien aufzeigen, muss es spürbare Sanktionen geben“, ist Landesrat Christian Dörfel (ÖVP) überzeugt.

Präsentiert wurden vor Presse die Ergebnisse einer anlässlich der Halloween-Krawalle in Linz im Jahr 2022 von Land OÖ und oö. Städtebund in Auftrag gegebenen Studie zu jugendlichen „Intensivtätern“ – jugendliche Straftäter mit vielen Polizeikontakten.

„Fünf Prozent für drei Viertel verantwortlich“

Für die von den beiden Strafrechtsexperten Helmut Hirtenlehner und Alois Birklbauer (Institut für Strafrechtswissenschaften der JKU Linz) durchgeführte Studie wurden 51 jugendliche Mehrfach- und Intensiv-Täter sowie 18 Experten aus der Praxis befragt. „Die Ergebnisse bestätigen wissenschaftlich, was die Polizei und die Jugendkontaktbeamten aus ihrer Arbeit wissen“, so Landespolizeidirektor Andreas Pilsl.

Auch lesen: Jugendkontaktbeamter: „Vor allem bei Gruppen-Taten ist ein wesentlich höheres Gewaltpotenzial vorhanden“

Weniger als fünf Prozent der männlichen Jugendlichen seien für die Hälfte aller Straftaten und drei Viertel der schweren Delikte ihrer Altersgruppe verantwortlich, so Hirtenlehner.

„Jugendliche Mehrfachtäter bewegen sich oft in kriminellen Freundeskreisen, die Straftaten fördern. Hier dominieren Gruppenwerte wie Respekt, Ehre und Status, die oft durch Gewalt erlangt werden.“ Besonders auffällig in der Statistik seien junge Männer mit migrantischem Hintergrund.

Und die familiäre Lage sei oft schwierig: „Sehr oft fehlt ein Elternteil. Es sind oft große Familien mit sehr vielen Geschwistern. Die ökonomische Lage darf man als eher ‚mau‘ bezeichnen“, zudem fehle es oft an Beaufsichtigung. „Die Eltern wissen oft nicht, was die Kinder den ganzen Tag so treiben, mit wem sie unterwegs sind. Sie bemühen sich oft auch nur begrenzt, das in Erfahrung zu bringen. Der Erziehungsstil ist tendenziell ein eher ungünstiger, sehr oft mit körperbetonten Disziplinierungstechniken.“

„Trist“ schaue es zudem im Bereich Schule bzw. Ausbildung und Beruf aus. „Sie schwänzen exzessiv, wenn sie das Alter der Schulpflicht hinter sich haben, sind sie sehr oft erwerbslos“, fasst Hirtenlehner weitere Ergebnisse grob zusammen.

Fehlende Tagesstruktur: Zeit, „um auf blöde Gedanken zu kommen“

Vor allem die fehlende Tagesstruktur mit viel Freizeit, üblicherweise verbracht auf der Straße, in Parks, bringe „jede Menge Gelegenheiten für Kriminalität mit sich“, so Hirtenlehner. „Das ist ein massives Problem.“ Oft sei es die Isolation, die fehlende Tagesstruktur, die „auf blöde Gedanken bringt“, unterstreicht auch Dörfel.

„Um Intensivtäter zu werden, braucht es aber nicht nur ein Problem, sondern verschiedenste ungünstigste Bedingungen“, weiß Hirtenlehner.

Strafmündigkeitsalter senken?: „Geht nicht darum, Kinder einzusperren“

„Wir brauchen Sanktionsmöglichkeiten für besonders auffällige jugendliche Straftäter. Und auch die Bestimmungs- und Beitragstäter müssen mit einbezogen werden. Wir haben ja oft 17-Jährige, die die Strafunmündigen verleiten, in ihrem Auftrag Straftaten zu begehen“, spricht sich Landesrat Dörfel für die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters aus. Dies sei aktuell auch Thema bei den Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP, wie er bestätigt.

Er will aber auch klarstellen: „Es geht nicht darum, Kinder einzusperren. Es geht ganz einfach darum, dass man ihnen die Konsequenzen ihres Handelns stärker als bisher deutlich macht.“

Unterstützt wird er dabei von Landespolizeidirektor Andreas Pilsl. „Wir brauchen eine Handhabe, wir brauchen Tools, mit denen wir die Bevölkerung vor jugendlichen, auch kindlichen Intensivtätern schützen können.“

Denn es gehe um schwere Straftaten, keine Kavaliers-Delikte: Diebstahl, Einbruch, schwere Sachbeschädigung, Körperverletzung – „wir reden nicht davon, ein Sackerl Zuckerl mitzunehmen“, so Pilsl. Und es sei „dem Taxilenker auch völlig egal, ob der Täter 13 oder 30 ist – die Schläge tun gleich weh. Es gibt eine Verpflichtung, die Menschen zu schützen.“

Gleichzeitig sieht er die Frustration bei seinen Kollegen, es sei „Sisyphusarbeit, wenn sie beinahe täglich dieselben Jugendlichen aufgreifen und abliefern.“

„Braucht sozial-konstruktive Lösungen“

Strafrechtsexperte Helmut Hirtenlehner glaubt nicht, dass eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters etwas bringe. „Aber man muss differenzieren. Es braucht Grenzen und Konsequenzen. Es braucht sozial-konstruktive Lösungen.“ Und hier sei nicht das Strafrecht, sondern das Kinder- und Jugendhilfegesetz das bessere Instrument – mit Aufenthaltsverpflichtungen in sozialpädagogischen Wohneinrichtungen bzw. den Durchgriffsmöglichkeiten dazu – „dazu braucht es aber das nötige Personal“.

Auch Pilsl sieht in diesem Modell eine mögliche Lösung, verweist dabei auch auf das Schweizer Modell.

„Eltern in die Pflicht nehmen“

Dörfel sieht auch den Bund in der Verpflichtung, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen. Und: „Die Eltern sind in die Pflicht zu nehmen. Das Land Oberösterreich setzt sich dafür ein, den Ausbau verpflichtender Beratungen für Eltern straffällig gewordener Jugendlicher zu fördern, um sicherzustellen, dass sie ihrer Erziehungspflicht nachkommen. Bei mangelnder Kooperation sollen Geld- und Verwaltungsstrafen sowie andere Maßnahmen zur Anwendung kommen“, fordert er.

„Pflichten betonen, Respekt einfordern“: Maßnahmen des Landes werden verstärkt

Unter dem Credo „Pflichten betonen, Respekt einfordern“ werden auf Basis der Studienergebnisse in Oberösterreich neue Maßnahmen konzipiert bzw. bestehende weiterentwickelt und ausgebaut.

Erste Initiativen: Am Beispiel des erfolgreichen „Hood-Training“-Konzepts in Deutschland ruft Oberösterreich ein Werte-Coaching ins Leben, auch unter Einbeziehung von Role Models als Botschaftern. „Kinder und Jugendliche ohne sozialen Anschluss müssen aus der sozialen Isolation geholt werden, Werte wie Respekt, Kameradschaft, Rücksichtnahme und Konfliktbewältigung vermittelt bekommen.“ Auch sinnvolle Freizeitgestaltung mit Tagesstruktur gehört zu dem Programm.

Begegnen will man den Jugendlichen auch im Internet, via Social Media. Das Digitale Streetwork und Messenger-Beratung sollen daher ausgebaut werden.

Auch die Jugendzentren werden verstärkt eingebunden. „diese haben sich zu guten Anlaufstellen entwickelt.“ 150 gibt es in Oberösterreich, dazu noch 50 Jugendtreffs.

Und die Gewaltpräventions-Workshops und Wertekurse für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit dem Verein NEUSTART werden weiterentwickelt und ausgerollt.

Neu aktiviert und ausgerichtet wird auch die „Steuerungsgruppe für ein gewaltfreies Miteinander“, bestehend aus Vertretern von Wissenschaft, Sozialarbeit, Justiz und Polizei. Die Gruppe wird Ende März einberufen und weiterführende Maßnahmen prüfen.

„Es wird nie zu 100 Prozent gelingen, aber wir wollen nichts unversucht lassen, passende Rezepte zu finden, um die Jugendkriminalität einzudämmen“, so Dörfel. „Wir müssen mit Angeboten entgegnen und auch Grenzen aufziehen.“

Parteistimmen: FPÖ: „Staat darf nicht zahnlos sein“

„Wer unsere Gesellschaftsordnung vorsätzlich und bewusst infrage stellt, muss mit spürbaren Konsequenzen rechnen“, kommentiert FPÖ-Klubobmann Herwig Mahr die vorgestellte Studie der JKU Linz. Das Land OÖ leiste wichtige Präventionsarbeit, allerdings gebe es Unbelehrbare. „Aktuell verliert der Staatsapparat in gewissen Milieus aufgrund seiner Zahnlosigkeit Respekt und Autorität. Darum setzten wir uns weiterhin für die – zumindest einzelfallspezifische – Senkung der Strafmündigkeit und neue, flexible Sanktionen in Betreuungseinrichtungen ein, beispielsweise elektronische Fußfesseln und Hausarrest.“

SPÖ: „Keine Schnellschüsse“

Das Gefängnis sei niemals ein Ort für Kinder, so SPÖ-Klubchefin und Sicherheitssprecherin Sabine Engleitner-Neu. Sie begrüßt, dass das Thema Jugendkriminalität gemeinsam mit Experten aus Wissenschaft und Praxis angegangen werde, spricht sich aber gegen „Schnellschüsse zur Herabsenkung des Strafalters“ aus.

Wie auch Dörfel sieht sie in der Jugendkriminalität ein sehr komplexes Phänomen mit vielen Ursachen, darunter Erziehungsdefizite, oftmals prekäre familiäre und soziale Verhältnisse. Die SPÖ fordert daher erneut ein Maßnahmenpaket mit unter anderem der Etablierung alternativer Betreuungsformen an der Schnittstelle zwischen Justiz und Psychiatrie. Zudem brauche es mehr Fachpersonal und auch frühzeitige Fallkonferenzen und die Wiedereinrichtung des Jugendgerichtshofs und von Jugendkompetenzzentren auf Landesgerichtsebene.

Grüne: „Knast keine Lösung“

Auch die oö. Grünen sind gegen die Senkung der Strafmündigkeit, sehen ebenfalls aber die Notwendigkeit präventiver und zielgerichteter Maßnahmen, zudem in „besonderen Einzelfällen auch strenge Konsequenzen“.

„Jugendkriminalität ist ein Problem, gar keine Frage. Um es zu lösen und damit umzugehen, gibt es aber andere Vorgangsweisen und Instrumente als den Knast. Das ist unsere klare Botschaft sowohl an Schwarz-Blau im Land als auch die blau-schwarzen Verhandler in Wien“, so die Grüne Jugendsprecherin Anne-Sophie Bauer.

Sehr wohl stimme sie Landesrat Dörfel aber zu, dass es präventive und zielgerichtete Maßnahmen brauche. „Und in unbelehrbaren Fällen sind im Einzelfall auch für Kinder Konsequenzen unumgänglich. Von einer Unterbringung in Einrichtungen, Hausarrest bis zur Schadensersatzpflicht für Eltern“, betont Bauer. Die generelle Senkung des Strafmündigkeitsalters lehnen die oö. Grünen aber ab.

NEOS: „Herabsetzung keine abschreckende Wirkung“

Ähnlich sehen es die NEOS. Landtagsabgeordnete Julia Bammer: „Die Herabsetzung der Strafmündigkeit hat bei jugendlichen Intensivtätern keine abschreckende Wirkung. Was es braucht, ist ein klarer und breiter Sanktionsbogen: von gerichtlich angeordneten Antigewalttrainings über verpflichtende soziale Arbeit mit Sanktionen für Eltern, wenn diese Verpflichtungen nicht eingehalten werden, bis hin zur Unterbringung in sozialpädagogischen Wohneinrichtungen mit intensiver Betreuung. Jugendliche Intensivtäter müssen spüren, dass ihr Handeln Konsequenzen hat. Gleichzeitig müssen wir unsere Gesellschaft vor den Gefahren, die von Intensivtätern ausgehen, konsequent schützen. Prävention, klare Grenzen und Unterstützung sind der Schlüssel, um die Jugendkriminalität einzudämmen.“


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