Jugendkontaktbeamter: "Vor allem bei Gruppen-Taten ist ein wesentlich höheres Gewaltpotenzial vorhanden"
LINZ. Acht bis zehn Polizisten sind derzeit in Linz nebendienstlich als Jugendkontaktbeamte tätig. Einer von ihnen ist Bezirksinspektor Michael Maurer. Tips hat mit ihm über seine Tätigkeit in der Sondergruppe und das Thema Jugendkriminalität gesprochen.
Die JUKOB-Gruppe wurde 2009 als Kriminalpräventions-Projekt ins Leben gerufen, die Szenekenntnisse der Beamten helfen jedoch auch bei Ermittlungen. Mittlerweile finden auch Vernetzungstreffen mit Institutionen statt, die sich mit dem Thema Jugendkriminalität beschäftigen.
Tips:Wie kann man sich die Arbeit eines Jugendkontaktbeamten vorstellen?
Michael Maurer: Pro Jugendkontaktbeamten haben wir im Monat zwei Tage, also zwei mal 12 Stunden, im Hauptdienst zur Verfügung, zusätzlich finden Streifen auf Überstundenbasis statt. Am designierten „JUKOB-Tag“ sind wir mit Ermittlungsarbeit beschäftigt, bearbeiten Fahndungsanfragen zu jugendlichen Straftätern von anderen Dienststellen, führen Normverdeutlichungsgespräche und bereiten die Erkenntnisse aus dem Streifendienst auf. Beim Streifendienst kontrollieren wir Jugendliche an neuralgischen punkten, und führen mit ihnen Gespräche, um Szenekenntnisse zu gewinnen.
Tips:Welche Gemeinsamkeiten weist Ihre Zielgruppe auf?
Michael Maurer: Was auffällt – wir sind ja hauptsächlich mit einer Klientel beschäftigt, die immer wieder anfällt – ist, dass es keine sinnvolle Freizeitbeschäftigung gibt und zu viel Zeit, dass Delikte also großteils aus Langeweile entstehen. Wir haben den Eindruck, dass es keinen geregelten Tagesablauf, keine Tagesstruktur gibt. Das Lernen steht im Hintergrund, eine Einbindung in Vereine etc. ist auch kaum vorhanden. Ein stabiler und verlässlicher Freundeskreis fehlt.
Tips:Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Michael Maurer: Unseres Erachtens ist es zu einem großen Teil Erziehungssache, oft findet gar keine Erziehung statt. Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind die Eltern oft permanent in der Arbeit. Dadurch sind die Jugendlichen sich selbst überlassen und auf der Straße unterwegs. Dort haben sie ihren eigenen Bekanntenkreis und ihre eigene Subkultur – mit eigenen Werten, Normen und Regeln – was das delinquente Verhalten fördert.
Tips:Sie haben von einer Klientel gesprochen, die immer wieder auffällig wird, wie bekommt man solche Jugendliche wieder auf die „gerade Bahn“?
Michael Maurer: Das ist nicht Aufgabe der Polizei. Wir forschen aus, zeigen sie an. Welche Konsequenzen darüber hinaus folgen können wir nur bedingt beeinflussen. Wenn jemand das zehnte Mal eine Strafe bekommt und das nicht spürt, liegt das nicht in unserem Einflussbereich. Es kommt auch immer auf die Delikte an, aber pauschal kann man sagen, dass es immer eine Frage der Konsequenz ist, die vorhanden ist oder eben nicht.
Tips:Was kann die Polizei in diesem Fall leisten?
Michael Maurer: Da sind unsere Möglichkeiten sehr begrenzt, wir sind keine Bildungsinstitution, keine Sozialarbeiter, keine Eltern, die Erziehungs- oder Ausbildungsaufgaben übernehmen.
Tips: Eine mögliche Konsequenz wäre eine Haftstrafe. Welche Wirkung können Sie dabei auf die Jugendlichen, mit denen Sie arbeiten, feststellen?
Michael Maurer: Das kann durchaus sehr viel bewirken. Beispielsweise bei Raubdelikten nehmen wir eine hohe Wirkung wahr. Während die Haft am Anfang noch Prestige-Sache ist und ein Ansehen in der Gruppe bewirkt, sagen die Jugendlichen zu uns, dass es doch nicht so super ist wie erwartet. Das kann ein Umdenken bis hin zu einer völligen Abkehr von Straftaten bewirken. Es müssen auch keine langen Haftstrafen sein, da es eine unmittelbare Konsequenz ist.
Tips: Was ist mit Straftätern, die noch nicht strafmündig sind?
Michael Maurer: Man müsste generell diskutieren, welchen Sinn Strafen haben und in welcher Form. Konsequenz kann eine Strafe bedeuten, aber auch eine sozialpädagogische oder eine Erziehungs-Maßnahme. Wichtig ist, dass Regelverstöße oder Grenzverletzungen Konsequenzen haben müssen, weil sonst der Eindruck entsteht, dass es egal ist, was man macht. In welcher Form das Sinn macht, ist bei jedem unterschiedlich.
Tips: Ist die Jugendkriminalität in Linz gestiegen?
Michael Maurer: Man kann zum derzeitigen Stand sowohl einen quantitativen als auch einen qualitativen Anstieg an Jugendstraftaten feststellen. Bei den Gewalt-oder Raubdelikten, vor allem was Gruppen-Tatbegehungen, speziell unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund/Drittstaatenangehörige angeht, ist ein wesentlich höheres Gewaltpotenzial vorhanden, was wiederum mehr Aufmerksamkeit erzeugt. Auch ist ein sehr hoher Mobilisierungsgrad über soziale Medien bemerkbar.
Tips:Was hat sie in Ihrer Arbeit überrascht oder schockiert?
Michael Maurer: Dieselben Jugendlichen, die uns gegenüber freundlich, offen und kommunikativ sind, zeigen eine extreme Brutalität den Opfern gegenüber, das schockiert schon. Manche Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Drittstaatsangehörige kommunizieren uns, dass die Regeln hier für sie nicht gelten. Da gibt es eine Subkultur, in der oft eine Pseudo-Religiosität vorherrscht, mit der alles begründet wird. Wenn man dann nachfragt, zum Beispiel was sind denn die fünf Säulen des Islam, steht nicht viel Wissen dahinter. Da wird viel über soziale Medien kommuniziert oder in Erfahrung gebracht, das wird dann unreflektiert übernommen. Sehr oft wird zuhause oder in der Subkultur nicht vermittelt, dass man Konflikte nicht zuerst verbal austrägt, die hohe Männlichkeitsdominanz und das patriarchale Denken führt zu Konflikten. Seit ein paar Jahren beobachten wir auch, dass bei den Mädchen ein wesentliches Gewaltpotenzial vorherrscht. Zahlenmäßig sind es weniger, aber hinsichtlich der Brutalität stehen sie den Burschen um nichts nach.
Tips: Welche Lösungsansätze braucht es?
Michael Maurer: Meiner Meinung nach ist es essentiell, dass man Jugendkriminalität und -delinquenz interdisziplinär und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, weil Kriminalität bei Jugendlichen ein sehr komplexes Thema ist, bei dem sehr viele verschiedene Faktoren zusammen kommen. Es braucht ein vernetztes Denken, weil viele Institutionen mit dem Thema befasst sind, weil es nicht alleinige Aufgabe der Polizei sein kann, Jugendkriminalität zu begegnen. Es braucht eine ganzheitliche Strategie. Bei der Vernetzung ist noch sehr viel Luft nach oben. Das Thema ist es jedenfalls wert, sich damit zu befassen, um nicht noch größere Probleme zu bekommen.
*Anmerkung der Redaktion: Auf Nachfrage gab die Staatsanwaltschaft Linz an, dass für 2021 und 2022 kein nennenswerter Anstieg an angefallenen Akten gegen Jugendliche und junge Erwachsene bemerkbar war. Die offizielle Kriminalstatistik der Landespolizeidirektion OÖ für das Jahr 2022 liegt derzeit noch nicht vor.
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