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„Bis es den passenden Impfstoff gibt, müssen wir mit Corona leben“

Walter Horn, 20.06.2020 12:22

RIED. Gut 100 Tage nach Beginn des Lockdowns scheint das Covid-19-Virus in Österreich und einigen anderen Ländern halbwegs unter Kontrolle zu sein. Tips sprach mit dem Ärztlichen Direktor des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern Ried, Johannes Huber, über den aktuellen Stand der Pandemie.

Dr. Johannes Huber ist der ärztliche Direktor des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern Ried (Foto: Krankenhaus Barmh. Schwestern Ried / Jungwirth)

Tips: Wie hat das Rieder Krankenhaus die Krise in den letzten drei Monaten bewältigt?

Huber: Aus meiner Sicht haben wir es gut bewältigt. Wir haben frühzeitig erkannt, was auf uns zukommt, und auch schneller als andere erste Schritte gesetzt – wie zum Beispiel die Eingangsschleusen oder Mitarbeiterschulungen. Wir haben unsere Mitarbeitenden gezielt auf den Umgang mit dem Virus trainiert, um die Ansteckungsgefahr auf ein Minimum zu reduzieren. Zum Vergleich: In Spanien haben sich 50.000 Krankenhausmitarbeiter infiziert, obwohl sie eigentlich Erfahrung im Umgang mit Keimen hatten.

Keine Hotspots im Bezirk

Tips: Wie viele der 45 Erkrankten im Bezirk Ried mussten im Krankenhaus bzw. in der Intensivstation behandelt werden?

Huber: Ein Patient wurde auf unserer Intensivstation behandelt. Die Zahl der Patienten auf der Normalstation dürfte bei etwa zehn liegen, inklusive der Verdachtsfälle, die zum Glück meist negativ getestet wurden. Da haben wir sicher Glück gehabt – auch, weil die Zusammenarbeit mit den Blaulichtorganisationen und den Behörden hervorragend funktioniert hat. Es gab von Beginn an tägliche Meetings, teilweise wurden Informationen bis zu siebenmal täglich aktualisiert. Wir haben Infizierte und Kontaktpersonen sofort in Quarantäne geschickt. Dadurch sind keine Hotspots entstanden.

Tips: Der Bezirk Ried ist seit einem Monat coronafrei. Glauben Sie, dass es jetzt nach der Lockerung wieder Fälle geben wird?

Huber: Das ist zu befürchten, vor allem durch das Mehr an Mobilität.

Tips: Welche der Maßnahmen war Ihrer Meinung nach die wichtigste und erfolgreichste?

Huber: Social Distancing. Händehygiene möchte ich gar nicht hervorheben, weil sie bei uns im Spital ohnehin selbstverständlich ist.

„Wir lernen jede Woche dazu“

Tips: Die Wissenschaft lernt ja praktisch jeden Tag etwas Neues über das Virus. Welche Erkenntnisse haben Sie am meisten überrascht?

Huber: Wie schnell Altbewährtes als neues Wundermittel verkauft wird – wie jetzt das bekannte entzündungshemmende Medikament Dexamethason. Was das Virus betrifft: Positiv ist, dass es sich scheinbar weniger verändert als befürchtet. Es ist allerdings extrem ansteckend – das sieht man an der hohen Zahl der erkrankten Spitalsmitarbeiter weltweit. Manche haben sich beim Ausziehen der Schutzkleidung infiziert. Zudem fällt auf, dass Länder mit einer hohen Sterblichkeit durch Krankenhauskeime jetzt auch mit hohen Corona-Todesraten konfrontiert sind.

Tips: Gibt es eigentlich so etwas wie einen normalen Verlauf? Oder sind die 80 Prozent mit keinen oder geringen Beschwerden der normale Verlauf und die restlichen 20 Prozent die „Sonderfälle“?

Huber: Rein statistisch stimmt das. Aber genau weiß man es nicht, weil es so neu ist. Wir lernen jede Woche dazu.

Tips: Wird es mehr Tests geben oder bleibt man dabei, bis auf Ausnahmen nur bei begründetem Verdacht oder konkreten Symptomen zu testen?

Huber: Es gibt zwei Strategien, behördliche Tests und private Testungen – wenn zum Beispiel eine Firma ihre Mitarbeiter testet, weil sie in Risikogebieten arbeiten. Meiner Meinung nach ist es sinnvoll, nicht blind zu testen. Wichtig ist aber, auf die Qualität der Tests zu achten und nur jenen Glauben zu schenken, die validiert sind.

Mehrere kleine Wellen

Tips: Wie wahrscheinlich ist eine zweite Welle?

Huber: Wir haben jetzt einen Tsunami erwartet, und zum Glück ist nur ein „Schwappen“ gekommen. Um bei dem Bild mit dem Wasser zu bleiben: Ich fürchte, es wird mehrere kleine Wellen geben. Insgesamt eine stürmische Zeit, aber beherrschbar. Wichtig ist: Achtsam sein! Es kann wieder kommen.

Tips: Wenn wir davon ausgehen, dass es aus politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gründen keinen zweiten Lockdown geben wird, wie kann man die Verbreitung des Virus dann verhindern?

Huber: Ein zweiter Lockdown muss nicht sein. Wenn das Virus auftaucht, müssen wir Verdachtsfälle sofort in Quarantäne schicken und das gesamte Umfeld checken, damit keine Hotspots entstehen.

Impfstoff wohl erst 2021

Tips: Wie stehen die Chancen auf ein Medikament oder einen Impfstoff? Was wird es eher geben?

Huber: Ich glaube, dass es eher ein Medikament geben wird – das Penninger-Präparat ist ja schon in Studien. Einen Impfstoff wird es wohl erst 2021 geben. Selbst wenn jetzt ein Wissenschaftler einen Zufallstreffer landet, müsste der Impfstoff erst getestet und in ausreichenden Mengen hergestellt werden. Und dann müssen ja nicht ein paar hundert, sondern Millionen und Milliarden Menschen geimpft werden.

Tips: Wenn es nur Medikamente gibt, aber keine Impfung – könnte man dann trotzdem wieder annähernd normal leben, ohne Abstandsregeln und mit Konzerten in geschlossenen Räumen?

Huber: Ich bin Optimist und sage: mit einem Medikament im Rücken Ja. Aber vor allem in Entzündungszeiten, wie bei einer Grippewelle, müssten wir vorsichtig sein. Das Virus macht schon etwas mit den Leuten. Aber vielleicht finden wir ja einen Mittelweg zwischen dem, was vor Corona oft zu viel an Nähe war, und dem, was jetzt an Nähe fehlt.

Tips: Wann können wir wieder normal leben?

Huber: Erst wenn es eine Impfung gibt. Bis dahin müssen wir mit Corona leben.


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