Landesgericht Ried hat nach 170 Jahren erstmals eine Präsidentin
RIED. Das Landesgericht Ried wird nach 170 Jahren zum ersten Mal von einer Frau geleitet. Die bisherige Vizepräsidentin Claudia Hubauer wurde am 29. April von Justizministerin Alma Zadic feierlich ins Amt eingeführt. Tips traf die neue Landesgerichtspräsidentin zum Gespräch.
Tips: Im Bereich der Richter und Richteramtsanwärtern liegt der Frauenanteil bei etwa 60 Prozent. Trotzdem wurde erst 2024 die erste Frau Landesgerichtspräsidentin in Ried. Woran, glauben Sie, liegt das?
Hubauer: Das Richteramt ist für Frauen attraktiv, weil man es in unterschiedlichen Auslastungen machen kann. Ich glaube, dass es ein sehr familienfreundlicher Beruf ist. Der Frauenanteil steigt, und der Nachwuchs ist eher weiblich. In der Führungsebene sind wir noch nicht so weit, aber ich glaube, wir haben die 50 Prozent erreicht. Wir wissen nicht genau, woran es liegt, dass weniger männliche Absolventen der Rechtswissenschaftlichen Fakultäten bei uns andocken. Wir vermuten, dass es auch am Einkommen liegt, aber sicher nicht ausschließlich.
Tips: Sie waren seit Dezember 2018 Vizepräsidentin des Gerichts. Gab es einen Zeitpunkt, an dem Sie wussten, dass sie als Gerichtspräsidentin kandidieren wollten?
Hubauer: Das Amt der Vizepräsidentin hat schon viel mit Justizverwaltung zu tun. Das war ein Herantasten und Anschauen, ob mir das gefällt und liegt. Wenn es einem liegt, dann ist das schon die Vorstufe, dass man sich bewirbt, wenn die Stelle frei wird. Bei uns war es absehbar, weil mein Vorgänger Walter Koller in die Alterspension gegangen ist. Vorher gab es aber noch ein Hearing beim Obersten Gerichtshof.
Tips: Was sind die wichtigsten Aufgaben einer Landesgerichts-Präsidentin?
Hubauer: Die sind sehr verschieden. Natürlich die Dienstaufsicht über das Landesgericht und in gewissem Ausmaß über die Bezirksgerichte. Das betrifft unter anderem das rückstandsfreie Arbeiten der einzelnen Abteilungen, die Überwachung, dass die Verfahren nicht zu lange dauern, außerdem bin ich zuständig für die Zertifizierung von Sachverständigen und Dolmetschern. Dazu kommt der Vorsitz im Personalsenat, der verschiedene Aufgaben hat: Er macht Reihungen, wenn Planstellen ausgeschrieben sind, und ist auch für Geschäftsverteilungen, Dienstbeschreibungen zuständig. Weil das Gericht Ried nicht so groß ist, habe ich auch noch die Rechtsprechung im Bereich der bedingten Entlassungen. Grundsätzlich ist das für mich eine gute Mischung, weil man auch in der Praxis bleibt.
Tips: Kann man Schwerpunkte setzen in Bezug auf die Personalentwicklung und -führung?
Hubauer: Die Rechtsprechung ist gottseidank weisungsfrei und völlig unabhängig. Es ist ein absolutes No-Go, dass man da irgendeinen Einfluss nimmt. Bindend ist nur die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes.
Tips: Was sehen Sie als die größten Herausforderungen, vor denen die Justizverwaltung bzw. das Landesgericht Ried stehen?
Hubauer: Eine Seite ist, dass der Rechtsstaat dafür sorgt, dass wir genug Ressourcen – auch finanzielle – und Planstellen haben. Die andere Seite ist sicher, dass es sich demografisch in eine Richtung entwickelt, in der wir Arbeitskräfte teilweise händeringend suchen müssen. Das betrifft bei uns ganz stark den nichtrichterlichen Bereich wie Kanzleikräfte, aber es gibt auch im richterlichen Bereich nicht mehr den großen Andrang. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen jetzt in Pension – es wird eine Herausforderung sein, diese Stellen nachzubesetzen.
Die Digitalisierung ist schon sehr weit fortgeschritten. Den elektronischen Akt haben wir in fast allen Sparten. Auch die Globalisierung hat uns erfasst: Viele Unternehmen sitzen irgendwo in der Welt. Da gibt es schon im Zustellwesen oft Probleme.
Das Thema der KI betrifft auch uns und wird uns fordern. Wir werden nicht umhinkommen, sie zu nutzen. Anwälte werden zum Beispiel bei Schriftsätzen viel mit KI arbeiten. Wir haben bei uns im Gericht eine hervorragend funktionierende Schreibabteilung, die Protokolle und Urteile überträgt, aber ich glaube nicht, dass es die in ein paar Jahrzehnten noch gibt; der Nachwuchs ist nicht da, deshalb werden wir KI durchaus brauchen. Aber es ist ein zweischneidiges Schwert, man muss mit Vorsicht daran gehen.
Tips: Welche Ziele und Visionen haben Sie für das LG Ried? Wie soll es in ein paar Jahren aussehen?
Hubauer: Ich habe das Landesgericht in einem wunderbaren Zustand übernehmen dürfen. Mein Amtsvorgänger Walter Koller hat es so gut geführt und gut aufgestellt übergeben, dass mein erstes Ziel ist, dass ich es auch so gut aufgestellt und geführt an meinen Nachfolger oder meine Nachfolgerin übergeben kann.
Wir haben einen sehr schönen Zusammenhalt und ein sehr schönes kollegiales Verhältnis untereinander am Gericht. Das zu pflegen, ist auch ein großes Anliegen. Und natürlich wollen wir uns weiterentwickeln an den Herausforderungen und Chancen, die uns die jetzige Zeit bietet. Es ist ja nicht alles negativ.
Tips: Die Arbeit wird nicht weniger. Welche Trends sehen Sie kurz- und mittelfristig?
Hubauer: Cybercrime wird sich sicher weiterhin bemerkbar machen. Sobald da etwas aufgedeckt wird, gibt es etwas Neues.
Die Globalisierung und damit verbunden die Migration wird uns sicher beschäftigen, auch wenn es sich nicht unbedingt in Verfahren niederschlägt. Die Arbeit wird sicher – auch globalisierungsbedingt – mehr, wenn Verfahren so viel größer werden, weil sie nicht mehr auf Österreich beschränkt sind und weil es Firmenkonstrukte gibt, die schwer durchschaubar sind.
Das ist auch ein Thema bei großen Prozessen im Strafbereich, bei denen man viel mit dem Ausland zu tun hat und lange ermitteln muss, damit man überhaupt weiß, wer wo allenfalls gefunden werden kann und dass es für eine Anklage reicht. Die Staatsanwaltschaft hat oft nicht die Ressourcen, zeitlich und ausbildungsmäßig. Das ist sicher ein Ungleichgewicht. Wenn man das berücksichtigt, wird unglaublich gut und viel ermittelt und auch gut verfolgt.
Tips: Beim Sicherheitsgefühl gibt es ja durchaus Unterschiede zwischen der gefühlten Sicherheit und den tatsächlichen Zahlen. Kann die Justiz zu einem stärkeren Sicherheitsgefühl beitragen?
Hubauer: Das ist immer sehr subjektiv. Österreich ist ein extrem sicheres Land. Bei manchen Menschen erhöhen strenge Urteile das Sicherheitsgefühl. Ich glaube, dass Urteile eine gewisse generalpräventive Wirkung haben, und deshalb müssen sie auch angemessen sein.
Ich glaube, dass es darauf ankommt, dass das Gefühl da ist, dass Straftaten konsequent verfolgt werden. Es geht eher um den Schuldspruch als das Ausmaß der Strafe.
Der Ruf nach höheren Strafen wird vor allem laut, wenn Einzelfälle aufpoppen. Der Klassiker ist, dass Vermögens- oder Eigentumsdelikte einem Sexualdelikt oder schweren Körperverletzungsdelikt gegenübergestellt werden – man kann da über alles diskutieren, aber ich bin überzeugt, dass wir ein ausgewogenes Strafrecht haben. Nur die Strafe allein macht's nicht aus.
Tips: Die Justiz hat im Allgemeinen ein recht gutes Image. Gibt es da trotzdem noch Luft nach oben? Bei Transparenz oder dass man mehr erklärt, wie die Justiz funktioniert?
Hubauer: Zu uns kommen oft Schulklassen, um sich Strafverhandlungen anzuschauen. Da nehmen sich unsere Richter auch Zeit, um zu erklären. Das wird sehr gut angenommen.
Die Medien können mit der Berichterstattung viel dazu beitragen, dass die Menschen verstehen, was im Gericht passiert ist.
Schädlich sind rein polemische Äußerungen, dass Verfahren lange dauern, ohne zu erklären, warum sie lange dauern. Wenn erklärt wird, warum Verfahren lange dauern und welche Hindernisse es gibt, hat die Bevölkerung einen ganz anderen Eindruck.
Natürlich ist die Justiz da auch gefordert, aber auch die Politik. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Justiz nicht angepatzt wird und als tragende Säule des Rechtsstaates wahrgenommen wird, die in Ruhe und zielorientiert mit ausreichenden Mittel arbeiten kann. Wenn es einmal nicht für eine Anklageerhebung reicht, dann ist das auch Rechtsstaat.
Tips: Sind Fernsehserien für das Verständnis der Abläufe in der Justiz hilfreich?
Hubauer: Gar nicht!
Klassisch ist der Hammer, den es bei uns gar nicht gibt. Was ich interessant finde, sind die Verfilmungen und Bücher von Ferdinand von Schirach. Da kommt ganz gut heraus, wie schwierig es oft ist, eine ausgewogene Entscheidung zu treffen – weil man vieles nicht weiß.
Man hat oft Situationen, in denen es zwei Aussagen gibt. Da muss ich mich entscheiden, welche ich für glaubwürdiger erachte, welche mehr Substanz hat, oder ich muss irgendwann sagen, dass beides nachvollziehbar und glaubhaft ist; dann geht es wahrscheinlich im Strafverfahren zugunsten des Angeklagten aus. Im Zivilverfahren gibt es eine Beweislastregelung: Wer etwas behauptet, muss es beweisen, und wenn er das nicht kann, verliert er den Prozess. Es gibt Regeln, wir schöpfen nicht aus dem Kaffeesud.
Tips: Welcher Fehler ist verzeihlicher: Einen Unschuldigen einzusperren oder einen Schuldigen laufen zu lassen?
Hubauer: Das ist eine sehr ethisch-moralische Frage. Für mich ist es verwerflich, einen Unschuldigen einzusperren. Da sind wir bei der Unschuldsvermutung und dem Grundsatz „in dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten. Wenn berechtigte Zweifel an der Schuld übrig bleiben, dann ist es ein Freispruch.
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