Heidi Kastner zu Gast in Ried: Ein Plädoyer gegen die Feigheit
RIED. Auf Einladung der Buchhandlung Dim war die renommierte forensische Psychiaterin und Autorin Heidi Kastner in der Raiffeisenbank Region Ried zu Gast, um ihr neues Buch „Feigheit“ vorzustellen. Im Gespräch mit Doris Dim gab Kastner Einblicke in ihre Arbeit.

Feigheit – ein unangenehmes Wort, das man im Alltag gerne vermeidet. Dabei, so Kastner, sei Feigheit allgegenwärtig: „Feigheit ist in allen Lebensbereichen präsent.“ Besonders kritisch sieht sie, dass diese Schwäche in unserer Gesellschaft kaum noch als solche benannt oder verurteilt wird. „Man kann ganz gut damit davonkommen“, meint Kastner. Das zeige sich etwa bei Gewalttaten in der Öffentlichkeit, bei denen Umstehende lieber filmen als helfen. Verantwortung werde abgeschoben – niemand fühlt sich zuständig.
Feigheit als gesellschaftliches Phänomen
Kastner spricht in ihrem Buch nicht von der Angst an sich, sondern von einer Haltung: dem bewussten Wegsehen, dem Schweigen aus Bequemlichkeit oder aus Angst vor Konflikten. „Feigheit ist keine Charaktereigenschaft, sondern eine Entscheidung“, sagt sie. Und das heißt: Man kann sie auch überwinden. Jeder habe die Fähigkeit, für seine Überzeugungen einzustehen und Haltung zu zeigen.
Besonders kritisch sieht sie das Verhalten in sozialen Medien. Hier entstehe eine Form der digitalen Feigheit: „Meinungsbildung gepaart mit Gruppendynamik – eine ideale Spielwiese für Feiglinge. Man bleibt anonym, zeigt nicht Gesicht und muss sich nicht mit den Folgen des eigenen Handelns auseinandersetzen.“
Aus der Praxis einer forensischen Psychiaterin
Auch über ihre Tätigkeit als Gutachterin im Strafrecht sprach Kastner offen. Dabei schätzt sie die klaren Strukturen: „Alles läuft nach rechtlich definierten Prozessen. Anders als im Zivilrecht, wo man sich oft aus nichtigen Gründen erbittert streitet – etwa um eine Gartenhütte.“ In der Strafrechtspsychiatrie hingegen gehe es um Menschen und ihre Zukunft. Bemerkenswert sei, dass etwa 90 Prozent der Straftäter psychisch gesund seien: „Man kann völlig gesund sein – und moralisch völlig verkommen.“
Ein provokanter Vergleich darf dabei nicht fehlen: „Man schaue auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten“, so Kastner. Namen nennt sie nicht, aber ihre Botschaft ist klar – Macht schützt nicht vor moralischer Feigheit.
Ein Aufruf zur Selbstreflexion
Ist Feigheit eher weiblich oder männlich? Auf diese Frage antwortet Kastner trocken: „Feigheit ist menschlich.“ Mit ihrem Buch will sie zum Nachdenken anregen, zur Selbstreflexion ermutigen – und die Leser wachrütteln.
Heidi Kastner gelingt es mit ihrem Buch, ein unbequemes Thema mit Klarheit und Tiefe zu beleuchten. Ihre Botschaft: Es braucht Mut, um Zivilcourage zu zeigen. Und diesen Mut kann jeder entwickeln.
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