Grenzgeschichten: Das Federnschleißen an den Böhmerwald-Abenden
In den Dörfern diesseits und jenseits des Böhmerwaldes betrieben seit Menschengedenken Kleinlandwirte den Gänsehandel mit böhmischen Züchtern.
Wenn im Sommer der Hafer gemäht und eingebracht war, kam die Zeit, nach Böhmen aufzubrechen. Dort hatten sie ihre Gänse-Zubringer. In Böhmen stand das Gänsebrüten und die Aufzucht in hohem Ansehen. Die Gänsehändler holten sich bei ihnen eine beliebige Zahl Junggänse ab, die sie dann jenseits des Waldes bei tagelangem Durchtreiben bei den Mühlviertler Bauern absetzten. Wichtig für den Gänseverkauf war die Jahreszeit, nämlich, dass der Hafer eingebracht und die Haferfelder abgeerntet waren. Vom Rest der Haferkörner, die auf dem Feld liegen blieb, ernährten sich die Gänse vor ihrem Verkauf. Bäuerinnen erwarben Junggänse, um als Aussteuer für heiratsfähige Töchter aus den Gänsefedern Tuchenten herzustellen. Zuvor aber mussten die Gänse sechs bis achtmal gerupft und die Federn geschlissen werden. Während sich das Gänserupfen über den Herbst hinaus hinzog, verlegte man das Schleißen in die dunklen, kalten Wintermonate, während der die Feldarbeit weitgehend ruhte. Zum Federnschleißen wurden die Frauen und Mädchen aus der Nachbarschaft oder Verwandtschaft eingeladen und bei Arbeitspausen mit Köstlichkeiten der Bäuerin verwöhnt.
Gänsebraten zu den Festtagen
Für eine Tuchentfüllung waren die gerupften Federn von fünf bis sieben Gänsen erforderlich. Wenn die Gänse in Frost und Schnee ihre Schuldigkeit längst getan hatten, stand ihnen ein trauriges Ende bevor. Denn sie trugen zum Festtagsessen bei. Jeder Landwirt hatte im Laufe des Sommers bereits Abnehmer der Festtagsgänse gesucht. Nicht nur rund um den Böhmerwald waren Gänse ein beliebtes Festtagsmahl – man schmuggelte sie auch über die Bayerngrenze in das Nachbarland.
Krieg, Besatzungszeit und Wohlstand veränderten die Menschen und ihre Bedürfnisse. Kaum jemand aus der ehemaligen Mädchenzeit wird sich heute noch an das Singen, Essen und die Winterabende in der Dorfeintracht erinnern. Der Gänseschmaus zu den Weihnachts-und Neujahrsfeiertagen überdauerte die harten Kriegs- und Notzeiten. Die Erinnerung an die schönen Festtage bei gutem Essen und gemütlichem Beisammensein wird so lange sein, als im Böhmerwald noch Menschen leben und die Erinnerungen pflegen.
Verfasser: Fritz Winkler
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