KIRCHBERG. Die Pläne der Raiffeisenbank Region Neufelden, einige Filialen zu schließen, sorgt mancherorts für Empörung. Vor allem in Kirchberg formiert sich Widerstand. Dazu hat die Tips-Redaktion ein Leserbrief von Heinrich Pusch unter dem Titel „Abgerechnet“ erreicht.
Bereits vorher in den OÖN, zuletzt auch in Tips stand zu lesen, dass Raiffeisen sein Filialnetz „straffen“ werde. Die Entrüstung ist groß.
Kurze Chronologie: Am 29.9.21 fand eine Raiffeisen-Sprengelversammlung in Kirchberg statt, wozu die sogenannten Mitinhaber eingeladen waren. Da war keine Rede davon, dass Standorte geschlossen werden. Es wurden Lobesreden geschwungen über die erfolgreiche Arbeit der Filialen und die großartigen Bilanzzahlen. Vor allem aber wurde ein Jubelvortrag gehalten über den neuen Raiffeisen-Zentral-Palast in St. Martin. Über Kosten und Finanzierung desselben wurde kein Wort verloren. Da wurden viele hellhörig. Wer wird die Zeche bezahlen? Jetzt wissen wir“s: Die Bevölkerung von Kleinzell, Kirchberg und St. Johann soll büßen für den Zentralisierungswahn der Raiffeisen-Funktionäre. Einem Kirchberger Delegierten, der bezüglich Schließungen nachgefragt hat, wurde im Spätherbst noch beschieden, dass solche nicht in Frage kommen. Dabei waren die Schließungspläne offenbar schon fertig in der Schublade. Die meisten Entscheidungsgremien sind bei Raiffeisen ohnehin schon längst zur Folklore verkommen.
Daher also das große Tempo bei den Fusionen, damit man umso schneller liquidieren kann! Ein ehemaliger Kirchberger Funktionär hat es auf den Punkt gebracht: „Zusperren, das hätten wir alleine auch gekonnt, da hätten wir keine Fusion gebraucht.“
„Herr Raiffeisen würde sich mit Schaudern abwenden“
Heuer genau vor 120 Jahren (13.April 1902) wurde in Kirchberg die erste Raiffeisen-Kassa gegründet nach den Ideen ihres Namensgebers Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der der Landbevölkerung die Möglichkeit eröffnet hat, Geldgeschäfte vor Ort abwickeln zu können und sich aus der Umklammerung der Großbanken zu befreien. Herr Raiffeisen würde sich mit Schaudern abwenden, könnte er sehen, was seine Epigonen mit seinen Werten treiben und wie sie genau entgegengesetzte Wege gehen. Spekulations- und Immobiliengeschäfte stehen im Fokus des Interesses. Die kleinen Kontoinhaber, Sparer und Schalterkundschaften werden eher als Belästigung und Kostenfaktor betrachtet.
Sollte nun unsere Filiale tatsächlich eines Tages geschlossen werden, was ich nach wie vor nicht hoffe, dann sind für uns mit einem Schlag alle Banken gleich weit weg, und zwar ziemlich weit. Es wird daher mir und vielen anderen leicht fallen, die Bank zu wechseln, wenn man sowieso ins Auto steigen muss. Zu glauben, dass automatisch dann alle bisherigen durch Jahrzehnte treuen Raiffeisen-Kundschaften im Gänsemarsch zur nächstgelegenen Raiffeisenbank, etwa nach Altenfelden, pilgern werden, ist mehr als naiv.
Zwei Weltkriege und unzählige Währungsreformen und Wirtschaftskrisen hat die Kirchberger Raiffeisenbank überlebt. Und jetzt fahren die Herrschaften einfach so drüber und versuchen das als Verbesserung zu verkaufen. Wenn man will, dass das Giebelkreuz aus dem Landschaftsbild verschwindet, soll man es gleich sagen.
Dabei hat man noch 2018 vollmundig Standortgarantien abgegeben (TIPS von 18.10.18). Vertrauensbildung sieht anders aus. Der ehemalige deutsche Finanzminister Theo Waigel hat einmal gesagt: „Ehrlichkeit ist auch eine Währung.“ Welche Währung die Raiffeisen-Funktionäre bevorzugen, müssen sie selber beurteilen. Dass sich Bevölkerung und Gemeinden gegen den sich abzeichnenden Infrastruktur-Kahlschlag auf dem Land zu Wehr setzen, ist verständlich.
Einzigartigkeit nutzen
Ich verstehe einfach eines nicht: Die Raiffeisenbank ist drauf und dran, sich selber ihrer Einzigartigkeit, ihrer großen Stärke und ihres wichtigsten Argumentes zu berauben, nämlich der räumlichen Nähe und des persönlichen Kontaktes. Dabei wird gerade jetzt so viel von Regionalität gesprochen. Raiffeisen hätte es in der Hand, völlig neue Wege zu gehen. Die heutigen Technologien mit ihren fast unbegrenzten Vernetzungsmöglichkeiten bieten sich geradezu an, verschiedene Aufgabenfelder an Filialen zu vergeben und damit die Standorte zu erhalten. Das wäre innovativ und nachhaltig und würde eine herausragende Sonderstellung Raiffeisens auf dem Bankensektor unterstreichen. Zumindest sollte einmal darüber eine Nachdenkphase einsetzen.
Verfasser: Heinrich Pusch, Kirchberg
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