Telefonseelsorge: Sorgen und Ängste von der Seele reden
BEZIRK SCHÄRDING. Gerade jetzt benötigen viele Menschen auch auf Grund der verordneten Isolation ein menschliches Gegenüber, mit dem Sorgen, Ängste und Nöte besprochen werden können. Hilfe bietet hier die Telefonseelsorge OÖ. Tips bat deren Leiterin, Silvia Breitwieser aus Kopfing, zum Interview.
Tips: Welche Sorgen/Ängste haben die Anrufer der Telefonseelsorge?
Silvia Breitwieser: Mittlerweile dreht sich mehr als jedes zweite Gespräch um die Pandemie. Es geht um die Angst vor Einsamkeit und Isolation, um die Sorge um Angehörige, um Ängste um die eigene Gesundheit bei einer bereits bestehenden Grunderkrankung, um Existenzängste sowie um die Unsicherheit bezüglich der Abhaltung geplanter Veranstaltungen (Hochzeit, Begräbnis, Taufe). Corona verunsichert viele Menschen bis in die kleinsten alltäglichen Handlungen. Manche wissen nicht mehr, was sie tun oder lieber lassen sollten; ob sie auf ihren eigenen Balkon gehen dürfen, ob sie ohne Konsequenzen zum Einkaufen gehen können, ob sie das tägliche Kaffeekränzchen mit der Nachbarin weiterführen sollen. Zusätzlich bewirkt die Angst um die eigene Gesundheit eine gesteigerte Wahrnehmung auf den eigenen Körper. Die Menschen beobachten und interpretieren viele vormals „normale“ Körperregungen plötzlich als gefährliche Symptome. Und die bloße Vorstellung, krank zu sein, führt tatsächlich zu einem Gefühl von Krankheit. Einige Menschen setzen sich einem permanenten „Selbst-Monitoring“ aus, messen alle paar Minuten Fieber und sorgen sich dann um jede kleine Regung im Körper. Viele konfrontieren sich zusätzlich pausenlos mit dem Thema über die Medien, das setzt enorme Ängste frei.
Tips: Egal ob im Fernsehen, Radio, in der Zeitung oder Online, dem Thema Coronavirus kann man im Moment nicht entkommen: Was kann diese dauerhafte Konfrontation mit dem Thema bei Menschen bewirken/auslösen?
Breitwieser: Manche Menschen verbringen derzeit viel Zeit damit, auf die neuesten Nachrichten zu lauern und ständig die Infektionsstatistiken zu checken. Je mehr Zeit aber mit Covid-19 verbracht wird, desto präsenter ist es in den Gedanken. Das bewirkt in vielen Fällen eine Verengung der Aufmerksamkeit auf das Thema. Andere, vielleicht positive Dinge geraten aus dem Blick, Ängste und Sorgen breiten sich aus. Daher ist es wichtig, sich auch „Auszeiten“ zu nehmen und mit jemandem bewusst über andere Themen zu sprechen. Denn es braucht auch Zeiten, in denen man von Sorgen abgelenkt wird, um sich zu beruhigen. Ständiger Stress durch Ängste kann sich negativ auf das eigene Immunsystem auswirken
Tips: Warum kommt es in solchen Krisensituationen immer wieder zu unverständlichen Handlungen wie Hamsterkäufen?
Breitwieser: Das Coronavirus begegnet uns als unvertraute Bedrohung, die wir nicht sehen, nicht riechen und nicht schmecken können. Menschen spüren, dass sie die Kontrolle über die Gestaltung ihres Lebens und die Ereignisse rundherum verlieren. Das kann zu Ohnmachtsgefühlen und Ängsten führen. Die eher irrationalen Hamsterkäufe sind beispielsweise ein Versuch, die eigene Wirkmacht aufrechtzuerhalten und sich zu beweisen, dass man handlungsfähig bleibt. Ihre Grundlage ist also emotional und nicht rational. Und viele lassen sich dann von der Angst der Anderen anstecken, sie beobachten, wie andere Hamsterkäufe tätigen und tun es ihnen gleich. Über die Dynamik der emotionalen Ansteckung wird beispielsweise auch die Übermäßigkeit der Klopapier-Einkäufe nachvollziehbar.
Tips: Welche Ratschläge/Tipps haben Sie für Menschen, die Probleme mit der Ausgangsbeschränkung haben?
Breitwieser: Für viele ist die Beschränkung nicht leicht. Die Befreiung vom alltäglichen Trubel kann zunächst eine Lücke erzeugen, die man nicht zu füllen weiß. Jedoch lassen sich auch vermehrt positive Stimmen zu dieser Situation finden. Viele sind froh, eine Auszeit vom stressigen (Berufs-)Alltag und dem überbordenden Konsumangebot zu haben. Menschen entwickeln kreative Ideen, musizieren auf den Balkonen, basteln, malen, organisieren Online-Konzerte usw. Viele, auch manche Anrufer, können der Krise etwas Positives abgewinnen. Die Ausgangsbeschränkung kann also anders gewendet auch als Möglichkeit begriffen werden, freudvolle Dinge zu tun, für die man sonst keine Zeit hat – mehr Zeit mit seiner Familie verbringen, ein Buch lesen, Schreiben, einen Spaziergang in der Natur machen, seine Wohnung entrümpeln, kochen, im Garten arbeiten etc. Günstig wäre es, die ganz banalen Dinge des Alltags wiederzuentdecken. Allgemein ist es wichtig, dass man weiterhin Ziele und Aufgaben hat, die sinnstiftend sind. Dazu sollte man eine geregelte Alltagsstruktur beibehalten. Wichtig ist für viele auch, soziale Kontakte über Telefon, Videotelefonie oder andere Kanäle beizubehalten.
Tips: Viele Menschen leben in einem gemeinsamen Haushalt mit Familienmitgliedern und sind somit nicht völlig isoliert: Wie aber geht es Menschen, die völlig alleine sind? Welche Sorgen haben diese Menschen und was können Sie Ihnen raten?
Breitwieser: Für Menschen, die ohnehin schon einsam sind und sehr isoliert leben, können die aktuellen Geschehnisse eine weitere Isolation erzeugen. Für jene, die zu Ängstlichkeit oder Depression neigen, kann Isolation zu weiterer Einengung und zur Verstärkung dieser Gefühle beitragen. Für diese Menschen ist es wichtig, Möglichkeiten zu finden, um bestehende Sozialkontakte weiterführen zu können und eine Alltagsstruktur aufrechtzuerhalten. Zudem ist es relevant, Ablenkung zu belastenden Gedanken zu schaffen und positive Aktivitäten in den Alltag zu integrieren. Es ist immer von Bedeutung, dass Menschen ein Gefühl von Handlungsmacht behalten und ihren Gestaltungsspielraum auch in schwierigen Zeiten erkennen.
Tips: Wer und warum kann man die Telefonseelsorge kontaktieren?
Breitwieser: Wir vom Notrufdienst der Telefonseelsorge sind für all jene da, die sich belastet fühlen, voller Angst sind, nicht mehr ein und aus wissen. Wir haben aber auch ein offenes Ohr für alle Menschen, die in diesen Tagen sozialen Kontakt, ein menschliches Gegenüber und ein Gespräch suchen. Unter dem Motto „Sorgen kann man teilen“ bieten wir ein niederschwelliges Beratungsangebot per Telefon unter 142, Mail oder Chat.
Tips: Wie können die Mitarbeiter der Telefonseelsorge den Anrufern helfen?
Breitwieser: Die Mitarbeiter bieten Entlastung durch Zuhören. Viele unserer AnruferInnen haben nur ein kleines soziales Netz. Es geht also darum, dass sie ihre Ängste und alles, was sie in den Medien hören, mit jemandem besprechen und somit ihre Sorgen teilen können. Zudem helfen wir, die oft diffusen Ängste der AnruferInnen zu explorieren, zu benennen und zu sortieren. Wir unterstützen AnruferInnen dabei, ihre Ressourcen zu entdecken, Strategien zur Angstreduktion zu entwickeln, Gefühle der Ohnmacht zu lindern und die eigene Handlungsfähigkeit zu stärken. Wir versuchen einen Weg zwischen Hysterie und Bagatellisierung zu vermitteln sowie an die menschliche Krisenfähigkeit zu erinnern.
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