ZÜRICH. Sepp Wimmer führt in Zürich das „Zunfthaus zur Waag“, ein beliebtes Restaurant. Er stammt aus einer Gastronomiefamilie aus St. Peter in der Au. Das elterliche Gasthaus führt heute Sepp Wimmers Bruder Markus. Tips-Redakteur Norbert Mottas bat Sepp Wimmer zum Interview.
Tips: Sie haben im Jahr 2004 das „Zunfthaus zur Waag“ gepachtet. Das Haus steht im feinsten Ortsteil von Zürich und ist nicht gerade klein. Brauchte es Mut, sich da drüber zu trauen?
Wimmer: Da ich aus einer Gastronomiefamilie stamme und in den Jahren vor der Betriebsübernahme der Waag erfolgreich drei Hotelbetriebe in der Schweiz geführt habe, war es ein kalkulierbares Risiko. Schwieriger war es, im Vorfeld der Übernahme das notwendige Kapital bereit zu stellen, um einen Betrieb in dieser Größe mit entsprechendem Betriebsinventar zu übernehmen.
Tips: Sie haben viel Erfahrung mit der Schweizer Gastronomie, stammen aber von einer Wirtsfamilie in St. Peter/Au ab. Gibt es einen Unterschied zwischen Schweizer Gästen und österreichischen Gästen?
Wimmer: Von meinen Eltern in unserem Gasthaus in St. Peter/Au habe ich eine hohe Dienstleistungsbereitschaft gelernt. Zudem bin ich eine Frohnatur und sehr gerne Gastgeber. Das wird von den Schweizer Gästen sehr geschätzt, was von österreichischen Gästen vielleicht als selbstverständlich betrachtet wird. Auch der österreichische „Schmäh“, der Humor wird hier in der Schweiz immer wieder gerne gehört.
Tips: Wenn man die Fotos vom „Zunfthaus zur Waag“ und die Speisekarte im Internet betrachtet, sieht man, dass hier gehobene Esskultur gepflegt wird. Sind die Schweizer Gäste eher bereit, einmal tiefer in die Tasche zu greifen, wenn sie in einem gediegenen Lokal etwas Besonderes essen wollen?
Wimmer: Für Schweizer Verhältnisse sind wir nicht teuer. Unser Preis/Leistungsverhältnis ist für Zürich sehr attraktiv. Da die Lebenshaltungskosten in der Schweiz generell höher sind, ergibt sich im Vergleich zu Österreich automatisch ein höherer Verkaufspreis. Die hohen Löhne, die Einkaufspreise, die Mieten, die allgemeinen Betriebskosten, alles wirkt sich direkt auf einen höheren Verkaufspreis aus.
Tips: Außer den Buchteln gibt es im „Zunfthaus zur Waag“ keine österreichischen Spezialitäten. Sind die Schweizer Gäste österreichischen Speisen gegenüber skeptisch oder passt es nicht in die international ausgerichtete Linie Ihres Hauses?
Wimmer: Buchteln sind in der Schweiz als Dampfnudeln bekannt. Diese vollkommen in Vergessenheit geratene Mehlspeise hat plötzlich bei uns enormen Zuspruch. Grundsätzlich ist unsere Küche auf internationale Kundschaft ausgerichtet. In einem traditionellen, historisch gewachsenen Zunfthaus mitten in der Stadt Zürich, wo lokale Spezialitäten gewünscht sind, haben österreichische Schmankerl leider wenig Nachfrage. Das beste Wiener Schnitzel von Zürich zuzubereiten wäre jedoch sicherlich reizvoll. Aber dieses in der richtigen Qualität auf den Tisch zu bringen, ist bei unserem intensiven Geschäft sehr schwierig, zumal man hier in der Schweiz keine Semmelbrösel, sondern nur Paniermehl erhält.
Tips: Und Sie selbst: Gönnen Sie sich manchmal ein Wiener Schnitzel?
Wimmer: Natürlich gönne ich mir privat gerne ein Wiener Schnitzel mit lauwarmem Gurken/Kartoffelsalat, so wie ich das von zu Hause kenne. Wahre Kindheitserinnerungen!
Tips: Die Spezialität Ihres Hauses ist Kalbsgeschnetzeltes „Zürcher Art“ mit Rösti. Stimmt die kolportierte Zahl von 16.000 Portionen pro Jahr?
Wimmer: Diese Zahl ist ein wenig hoch gegriffen. Im À-la-carte-Restaurant verkaufen wir gemäß Statistik jährlich rund 4600 Portionen. Zusätzlich finden bei uns zirka 1000 Veranstaltungen im Jahr statt, bei welchen weitere 8000 Portionen bestellt werden.
Tips: Das Kalbsgeschnetzelte bieten Sie mit oder ohne Kalbsnieren an. Welche Version bevorzugen die Gäste?
Wimmer: Das Kalbsgeschnetzelte mit Nierli ist ein urzürcherisches Rezept und wird von Schweizer Gästen sehr gerne gegessen. Amerikanische Gäste bestellen interessanterweise gar keine Innereien.
Tips: Kommen Ihre Gäste vorwiegend aus Zürich oder auch von weiter her?
Wimmer: Mittags haben wir sehr viele Stammgäste von umliegenden Banken und Firmen, die eine ruhige Mittagsatmos-phäre ohne Hektik und mit Diskretion suchen. Wenn wir Gäste aus Zürich verwöhnen, dann feiern sie meistens etwas Besonderes wie Geburtstag, ein Jubiläum, eine Diplomfeier, eine Konfirmation, eine Taufe oder einfach unter Freunden. Bei den internationalen Gästen ist die Authentizität mit dem 700 Jahre alten Gebäude ein großer Wettbewerbsvorteil. Isst man im Zunfthaus zur WAAG, so bekommt man auch ein Stück Zeitgeschichte von Zürich mit auf den Weg. Ich würde sagen – es hält sich die WAAGe.
Tips: Was ist Ihr Rezept, ein Haus wie das „Zunfthaus zur Waag“ über die Jahre erfolgreich zu führen?
Wimmer: Am wichtigsten ist es, die Erwartungshaltung der Gäste zu erfüllen. Mit ehrlicher Gastfreundschaft, so als hätte man Freunde zu Hause auf Besuch. Eine Atmosphäre der Herzlichkeit zu kreieren, wo sich die Gäste wohl fühlen und deshalb gerne wiederkommen. Das Gewöhnliche außergewöhnlich gut zu machen.
Tips: Wie definieren Sie Erfolg?
Wimmer: Wenn wir es schaffen, den hohen Qualitätsstandard täglich zu erhalten und kontinuierlich zu verbessern. Wenn wir unsere Gäste immer wieder begeistern können und als bestes Zunfthaus auf dem Platz Zürich gelten.
Tips: In Österreich klagen viele Gastronomen, dass es sehr schwer bis unmöglich sei, geeignetes Personal zu finden. Beobachten Sie in der Schweiz ähnliche Tendenzen?
Wimmer: Leider haben Dienstleistungsberufe in der Schweiz keinen hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Und junge Leute sind nicht mehr bereit zu dienen. Der Koch- und Serviceberuf ist eine Leidenschaft, die manchmal eben wirklich Leiden schafft und körperlich sehr anstrengend ist. Es wird auch immer attraktiver, nach abgeschlossener Berufslehre in eine andere Berufssparte zu wechseln.
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