Autorenportrait Clementine Skorpil: „Wenn ich länger nicht schreibe, werde ich grantig“

Michaela Aichinger Tips Redaktion Michaela Aichinger, 24.03.2016 08:30 Uhr

NEULENGBACH. In der Welt der Sprache fühlt sie sich wohl: Clementine Skorpil ist Journalistin, Lektorin und Publizistin. 2015 erschien ihr jüngstes Buch, ein historischer Kriminalroman. Tips bat die Neulengbacherin zum Interview.

 

Tips: Wann haben Sie zu schreiben begonnen?

 

Clementine Skorpil: Ich habe schon als Jugendliche geschrieben, aber nichts veröffentlicht, das hätte ich mich nie getraut. Zudem hat es auch keine Schreibworkshops für Kinder gegeben, wie sie heute in den Ferien angeboten werden. Ich wäre sofort zu so einem Workshop gefahren. Schon in der Volksschule stand ich auf Kriegsfuß mit den Zahlen, während ich seitenweise Aufsätze dahinkragelte.

 

Tips: Was fasziniert Sie am Schreiben?

 

Skorpil: Das Schreiben und das Lesen sind eine der größten Kulturleistungen der Menschen. Wir wissen, dass auch Primaten Werkzeuge verwenden. Ich habe aber noch nie gehört, dass Affen etwa einen Stock nehmen und etwas in den Boden ritzen. Die Menschen aber haben das getan. Homo sapiens hat begonnen, die Höhlenwände zu dekorieren. Malerei als Kommunikation. Bewundernswert. Dann aber haben die Menschen die Malerei abstrahiert, sodass aus Bildzeichen schließlich Schriftzeichen oder Buchstaben wurden. Jeder heute lesende Mensch vollzieht diesen Prozess quasi umgekehrt nach, wenn er im Kopf aus den kleinen schwarzen Buchstaben wieder Bilder zusammensetzt. Das finde ich faszinierend. Für mich persönlich aber ist das Schreiben eine Notwendigkeit so wie andere in ihrer Freizeit laufen oder anderen Sport betreiben. Wenn ich länger nicht schreibe, werde ich grantig, unzufrieden, unglücklich. Seelenhygiene ist ein unpoetisches Wort, daher verwende ich es nicht gern, aber so etwas in der Art ist es wohl.

 

Tips: Warum Kriminalliteratur?

 

Skorpil: Ich habe – wie fast alle in meiner Umgebung und meiner Altersklasse – mit vielen Ohs und Ahs Umberto Ecos Buch: „Der Name der Rose“ gelesen. So etwas wollte ich auch schreiben. Später habe ich sehr gern die Bücher von Boris Akunin gelesen, der übrigens Japanologe ist. Meine Bücher sind ganz anders, aber das ist auch gut, denn ich will niemanden kopieren, der beste Umberto Eco, den es gibt, war Umberto Eco. Zudem stamme ich aus einer Schriftstellerfamilie, väterlicherseits bin ich weitschichtig mit Adalbert Stifter verwand, mütterlicherseits war mein Onkel, Herbert Eisenreich, ein sehr anerkannter Schriftsteller, der mit Friedrich Torberg, Heimito von Doderer und anderen Größen der österreichischen Literatur befreundet war. Ich wollte nicht mit ihm gemessen werden, habe daher einen anderen Weg eingeschlagen. Aber ich schreibe auch Kurzgeschichten und Kurzprosa, die keine Krimis sind.

 

Tips: Schauplatz Ihrer Romane ist oft China. Wie kommt es dazu?

 

Skorpil: Ich habe Sinologie studiert, weil ich eine Sprache mit einer anderen Schrift lernen wollte. Zudem gibt es auch im Westen große Bewunderung für die chinesische Kultur, die den Westen auch stark mit beeinflusst hat. Etwa waren die Aufklärer – Voltaire und Rousseau, aber auch Kant, Leipzig und insbesondere Christian Wolf – stark von der chinesischen Philosophie beeinflusst. Sie haben die Schriften der Jesuiten gelesen, die im 17./18. Jahrhundert am chinesischen Kaiserhof als Berater und Wissenschaftler tätig waren, und etwa das Konzept des aufgeklärten Despoten, wie es in China gelebt wurde, übernommen. Zudem ist es natürlich so, dass man im Angesicht des Fremden auch viel über das eigene lernt. Und über den Tellerrand zu schauen hat noch nie geschadet. Das würde uns gerade jetzt, in Zeiten der zunehmenden und wieder aufschwappenden Ressentiments gegen Fremde, wieder sehr guttun.

 

Tips: Welche Bücher lesen Sie persönlich gerne?

 

Skorpil: Mein absolutes und bis jetzt noch nicht getopptes Lieblingsbuch ist „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil. Dieses Buch hätte ich gern geschrieben. Es hätte zwar den Nachteil, dass ich jetzt schon tot wäre, aber dann hätte ich auch wenigstens das Sterben schon hinter mir, da bin ich nämlich – wie Thomas Bernhard sagte – auch total dagegen. Der gehört ebenso zu meinen favorisierten Autoren, obwohl ich nicht so schreiben will wie er, das ist mir zu aussichtslos. Zu meinen Lieblingen gehört aber auch Jane Austen, die ich in mich hineingesogen habe. Ich schätze ihren trockenen britischen Humor. Und ich liebe gute historische Romane, etwa Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“, weil ich es sehr mag, in eine andere Zeit einzutauchen. Handlung ist mir nicht so wichtig wie Sprache. Das ist für eine Krimiautorin fatal, denn man sollte in diesem Gewerbe schon plotten können, das ist sicher nicht meine größte Stärke. Wenn mir ein Buch sprachlich nicht zusagt, lese ich es vielleicht trotzdem zu Ende, um zu wissen, wie es ausgegangen ist, aber danach habe ich es auch gleich wieder vergessen. Da habe ich Caprice. So wie Cineasten mit simplen „Tatort“-Filmen nichts anfangen können, weil die Kameraeinstellungen und was weiß denn ich was noch nicht künstlerisch sind, so bin ich auf Sprache sensibilisiert und langweile mich schnell, wenn ich immer die gleichen abgedroschenen Bilder wiederfinde.

 

Tips: Wie lange schreiben Sie durchschnittlich an einem Buch?

 

Skorpil: Ich muss für meine Bücher viel recherchieren, daher schaffe ich es nicht, wie manche meiner Kolleg_innen, jedes Jahr ein Buch auf den Markt zu bringen. Zurzeit schreibe ich über den Langen Marsch und kämpfe mich durch chinesische Sekundärliteratur. Das ist zeitaufwendig. Und dann habe ich ja auch noch Brotberufe (Lektorin und Journalistin bei der „Presse“ und im WS Lehrbeauftragte auf der FH Wien), und die Familie hat auch Bedürfnisse. Zum Glück habe ich derzeit einen Verlag, der zwar schon sehnsüchtig auf das neue Manuskript wartet, mich aber auch nicht drängt, weil mein Verlag ein Literaturverlag ist, der auf Qualität wert legt.

 

Tips: Wie darf man sich Ihren Schreibprozess vorstellen? 

 

Skorpil:  Mein Schreibprozess ist unspektakulär. Da wir mit der Hausrenovierung noch immer nicht fertig sind, habe ich noch kein Arbeitszimmer und schreibe mit dem Laptop auf dem Esszimmertisch. Jeden Dienstag- und Mittwochvormittag, wenn die Kids in der Schule sind und ich nicht in der Redaktion bin, schreibe ich. Wie eine Beamtin. Ich ziehe mir quasi die Ärmelschoner über und los geht es. Im Zug, im Wartezimmer, während mein Sohn im Judotraining ist und ich auf ihn warte, lese ich die Bücher und mache meine Exzerpte. Ich habe einen ungefähren Handlungsraster im Kopf, der Rest ergibt sich aus dem Schreiben selbst. Manchmal überrumple ich mich selbst, indem ich eine Schleife einbaue, die im Grundraster noch nicht vorgesehen war. Wenn der Rohtext fertig ist, muss er abliegen, und dann wird überarbeitet. Das ist deshalb nicht mehr so spannend, weil ich dann ja selbst das ganze Buch schon kenne und zudem frustriert bin, wie viel an sprachlicher Ungenauigkeit und unhübschen, unpoetischen Wendungen noch in dem Text liegen, Mühlsteine, die ich aufklauben und wegbringen muss.

 

Tips: Gibt es bereits neue Buchprojekte?

 

Skorpil: Wie geschildert, gibt es ein neues Projekt, es ist ein Buch über den Gründungsmythos der Kommunistischen Partei Chinas, den Langen Marsch. Wie bei allen Mythen ist auch von diesem nur ein Bruchteil historische Wahrheit. Er ist aber auch deshalb interessant, weil es Mao Zedong auf diesem Langen Marsch gelungen ist, seine Macht endgültig zu sichern. Darüber sind viele wissenschaftliche Bücher geschrieben wurden, ich nähere mich diesem Thema nun literarisch. Wie ich danach weitermache, weiß ich noch gar nicht. Ich bin während des Studiums dem 20. Jahrhundert weiträumig ausgewichen, weil mir die Säuberungswellen, Massentötungen, Zerstörungen ganzer Familien zu grauslich waren. Ob ich das heute besser aushalte? Ich weiß es nicht. An Gräuel kann man sich ja nie gewöhnen und sollte es wohl auch nicht.

 

 

ZUR PERSON:

Die gebürtige Grazerin Clementine Skorpil studierte Sinologie und Geschichte an der Universität Wien. Seit Anfang 2000 ist sie selbstständige Journalistin, Lektorin und Publizistin. Skorpil ist verheiratet und lebt mit ihrer Familie in Neulengbach.

 

Termin:Lesung „Guter Mohn, du schenkst mir Träume“ mit Musik

Sa., 23. April, 19 Uhr

Atelier Azur, Burggasse 256, Altlengbach

Weitere Infos zur Autorin: HIER KLICKEN

 

 

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