110 kV-Leitung: Enteignungsverhandlungen angesetzt - Projektwerber veröffentlicht neuerliche Kosten-Überprüfung
STEINBACH/ZIEHBERG/BEZIRK. Trotz einer Allparteien-Initiative aus der Region, die sich für eine einvernehmliche Lösung beim Land stark machte, wurden Grundeigentümer von der zuständigen Behörde nun zu „Enteignungsverhandlungen“ geladen. Die Ergebnisse der neuerlichen Überprüfung der beiden Varianten Freileitung und Erdkabel hätten diesen Schritt erfordert, stellt der zuständige Landesrat Michael Strugl fest.
56 Grundeigentümer wollen ihren Grund nicht für die Errichtung einer Hochspannungsleitung von Vorchdorf nach Kirchdorf zur Verfügung stellen. Die Netz OÖ GmbH, eine Tochtergesellschaft der Energie AG, plant eine solche Leitung seit mittlerweile gut fünf Jahren.
Verhandlungen angesetzt
Informationen der Bürgerinitiative „110 kV-adé!“ zufolge wurden nun vier Vorchdorfer Grundeigentümer zu Enteignungsverhandlungen geladen – und diese bereits für 24. und 25. November angesetzt. Der Sprecher von „110 kV-adé!“, Michael Praschma erklärt: „Den Grundbesitzern droht die Zwangseinräumung einer Dienstbarkeit. Sie müssten dann die Errichtung von Hochspannungsmasten bzw. die Überspannung ihrer Grundstücke dulden. Die massiven Wertverluste ihres Eigentums würden nur zu einem Bruchteil entschädigt.“
Die Initiative fordert eine alternative Erdverkabelung, so könne die Stromversorgung ohne erhebliche Auswirkungen auf Grundbesitzer, Anrainer und Landschaftsbild abgesichert werden. Beim Projektwerber Netz OÖ GmbH, einer Tochtergesellschaft der Energie AG, führt man unter anderem die höheren Kosten eines Erdkabels gegen eine solche Alternative ins Treffen – so auch jetzt. Noch im August hatte Landeshauptmann Josef Pühringer eine neuerliche Prüfung der Varianten zur Stromversorgung angekündigt. Daher löste es nun Unverständnis aus, dass bereits vor der Veröffentlichung der Ergebnisse die nächsten Schritte gesetzt wurden.
Enttäuschung
Enttäuschung und Verwunderung herrscht auch bei Vertretern der Bezirksparteien. SPÖ-Bezirksparteivorsitzender Ewald Lindinger sagt: „Wir sind sehr enttäuscht von dieser Entscheidung. Es wird der Eindruck vermittelt: Vor der Wahl wird gesagt, dass es keine Enteignungen geben soll, und nach der Wahl ist alles anders.“ Landtagsabgeordneter und ÖVP-Bezirksparteiobmann Christian Dörfel wundert sich ebenso über die Vorgangsweise: „Dass man vor der Ergebnisveröffentlichung die Enteignungsverfahren wieder aufnimmt, ist nicht verständlich.“ Die Grünen OÖ sehen dringenden Demokratisierungsbedarf beim Starkstromwegegesetz. „Die Parteistellung der Nachbarn muss festgeschrieben werden und es muss eine verpflichtende und transparente Bedarfs- und Variantenprüfung geben“, so Landtagsabgeordneter der Grünen, Stefan Kaineder.
Wirtschaftslandesrat Michael Strugl, der in der neuen Landesregierung auch für den Bereich Energie und Rohstoffe zuständig ist, kann verstehen, dass das Vorgehen des Landes Irritation auslöste. Allerdings sei es Sache des Projektwerbers Netz OÖ GmbH gewesen, die Ergebnisse der neuerlichen Überprüfung der Leitungsvarianten zu veröffentlichen. Die Behörde habe sich veranlasst gesehen, die Verfahren im Wissen um die Ergebnisse der Überprüfung wieder aufzunehmen. „Wäre die Vorladung jetzt nicht angesetzt worden, hätte der Projektwerber wegen Verzögerung rechtlich gegen die Behörde vorgehen können.“
Angesichts der Ergebnisse habe sich die Netz OÖ an die Behörde mit der Bitte gewandt, die Verfahren fortzusetzen. „Ziel ist es, jetzt im Rahmen der neuerlichen Verhandlungen, zu einer einvernehmlichen Lösung mit den verbliebenen Grundeigentümern zu kommen“, weist Strugl darauf hin, dass die Enteignung nur die letzte Option darstellen würde.
„Kostenberechnung bestätigt“
In der am Montag veröffentlichten Pressemitteilung zur neuerlichen Überprüfung heißt es vonseiten der Netz OÖ GmbH: „Das Ergebnis der Überprüfung durch die TU Graz liegt jetzt vor und hat die Kostenberechnung aus dem Jahr 2010 bestätigt.“ Demnach wäre die Freileitung weiterhin um rund 35 Millionen Euro günstiger in der Errichtung als die Erdverkabelung. „Laut neuerlicher Berechnung mit Kostenbasis August/September 2015 belaufen sich die Kosten einer Erdverkabelung auf 55,4 Millionen Euro“, heißt es vonseiten des Projektwerbers.
Professor Fickert von der TU Graz bezeichnet in seiner Stellungnahme die neuerliche Kostenrechnung als „plausibel und angemessen“. Für die Projektwerber steht damit fest, dass „die Freileitungsvariante der Kabellösung nach wie vor vorzuziehen ist“. Die Netz OÖ GmbH wird daher wohl weitere Schritte setzen, um den Bau der Freileitung umsetzen zu können.
Die Bürgerinitiative „110 kV-adé!“ kritisiert, dass eine Erdkabel-Variante geprüft worden sei, die um bis zu 10,4 Millionen Euro teurer als die von Gemeinden und Bürgerinitiativen vorgeschlagene „Variante 9C“ sei. Außerdem seien die Aussagen zu den Kosten von den Projektwerbern selbst getroffen worden, der Sachverständige Professor Fickert bestätige diese nur. In der Prüfung fehle außerdem der Vergleich der „volkswirtschaftlichen Folgen“ (Umwelt, Grundstückswerte, Landschaftsbild, etc.) von Freileitung bzw. Erdkabel.
Michael Praschma, Sprecher von „110 kV-adé!“ erklärt: „Die Energie AG hat auch jetzt nicht widerlegt, dass das von der ganzen Region geforderte Erdkabel die beste Alternative ist. Es könnte schon längst in Betrieb sein, wenn man an einer vernünftigen und einvernehmlichen Lösung interessiert wäre.“
Für die kommende Landtagssitzung am 19. November kündigten unter anderem die Grünen bereits mündliche Anfragen an Landesrat Strugl zum Thema 110 kV-Leitung Vorchdorf-Kirchdorf an. „Wir wollen wissen was Sache ist, die Betroffenen in der Region fühlen sich zu Recht vor den Kopf gestoßen. Wenn es Alternativen für die Freileitung gibt, müssen sie eingehendst geprüft werden“, betont der Klubobmann der Grünen im Landtag, Gottfried Hirz.
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