Steyrerin über Coronakrise auf Kuba: „Oft mehr Wahrheitsgehalt in Gerüchten“
STEYR/HAVANNA. Lehramtsstudentin Nadine Baumgartner aus Steyr erlebt derzeit die Corona-Krise auf Kuba hautnah. Tips schildert sie ihre Erfahrungen auf der karibischen Insel.
Tips: Seit wann ist das Coronavirus auf Kuba Thema?
Nadine Baumgartner: Ich kam am 17. März nach Havanna. Die Corona-Krise, die in Österreich gerade so richtig losgegangen war, schien dort noch niemanden zu interessieren. Am Flughafen wurden Zettel verteilt und man musste angeben, ob man in den letzten 14 Tagen Kontakt mit Italienern oder Chinesen hatte bzw. vor Ort war.
Wann begann die Regierung Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu treffen?
Seit 24. März lässt Cuba offiziell keine Touristen – zumindest nicht unkontrolliert – einreisen und alle Touristen wurden in Hotels isoliert. Man sah in Ausländern plötzlich eine Gefahr und den Grund, warum das Virus die Insel erreicht hatte. Es war seltsam. Da wurde kein Unterschied gemacht zwischen Touristen und Auslandsstudierenden oder ausländischen Personen, die hier arbeiten und leben.
Was hat das für Sie bedeutet?
Auf der Straße war man plötzlich der Feind und viele private Unterkünfte sperrten ihre Türen zu, noch bevor die neue Regelung überhaupt in Kraft war. Die Angst war spürbar groß. Meine jetzige schwedische Mitbewohnerin und ich fanden gerade noch eine neue Unterkunft mit Besitzern, die freundlich genug waren, sich für uns einzusetzen, um nicht auch in ein Hotel ziehen zu müssen.
Wie werden Sie bzw. die Bevölkerung über alles informiert?
Seit Krisenbeginn durchläuft Kuba die „fünf Phasen“, wobei wir nie sicher sind, in welcher wir uns tatsächlich befinden. Einmal heißt es in den Abendnachrichten, dass wir bereits in Phase fünf sind und unser Stadtviertel komplett isoliert wird. Am nächsten Tag liest man in einer der wenigen Zeitungen, dass wir bei gleichbleibender Entwicklung definitiv in Phase fünf übergehen müssen. Hinzukommt, dass die Nachbarn immer mehr wissen und die Gerüchteküche brodelt – oft haben die Gerüchte in der Straße mehr Wahrheitsgehalt als die Nachrichten.
Wie sieht der Alltag derzeit aus?
Ohne Mundschutz darf man nicht vor die Tür, der öffentliche Transport ist aufgelassen. Es ist untersagt, das Haus zu verlassen – außer, um zur Arbeit zu gehen oder Einkäufe zu machen. Und vor dem Betreten eines Geschäftes, Büros etc. muss man sich die Hände mit Chlor reinigen. Desinfektionsmittel gibt es hier nicht und auch fließendes Wasser und Seife sind nicht überall selbstverständlich.
Wie sieht es mit der Versorgungssicherheit aus?
Seit Wochen wird es immer schwieriger, Lebensmittel zu kaufen und die staatlichen Maßnahmen funktionieren nicht wie gewollt. Zuerst sperrten die größeren Lebensmittelgeschäfte zu. Heißt: Die Warteschlangen in den Straßen vor den kleinen Märkten wurden immer länger – genau das Gegenteil, was man bewirken wollte. Man muss erklären, dass Geschäfte hier ganz anders funktionieren als in Europa. Jeder Laden hat nur wenige Produkte und bunt durchgewürfelt. So gibt es beispielsweise Geschäfte, die haben nur Shampoo und Honig und nicht mehr. Um für ein simples Gericht einzukaufen, musste man also schon vor der Krise stundenlang von Geschäft zu Geschäft laufen bis man alles hatte. Dann wurde auch noch veranlasst, dass die Gemüsemärkte zusperren. Die Bevölkerung wurde jedoch rasch unrund. Also sperrte alles nach dem Wochenende wieder normal auf.
Wie stellt sich die medizinische Situation dar?
Das Gesundheitssystem in Kuba ist prinzipiell für die Einheimischen gratis und die Strategie der Regierung war auch vorbildlich. Man schickte Mediziner und Medizinstudenten von Haustür zu Haustür, um die Bevölkerung aufzuklären und zu befragen, ob es jemanden mit Symptomen gäbe bzw. wurde mit ein paar Blicken der Allgemeinzustand der Hausbewohner grob beurteilt. In vielen Häusern, wo mehrere Familien und Generationen zusammenwohnen, ist eine Selbstisolierung wie in Österreich nicht möglich. Wies man Symptome auf, wurde deshalb sofort die gesamte Familie – nach symptomatisch und asymptomatisch – in verschiedene Spitäler aufgeteilt, wo man sie versorgte und jeder mindestens 14 Tage Quarantäne einhalten musste. Die Strategie scheint zu funktionieren. Genaue Statistiken und wie diese ausgewertet werden, findet man jedoch nicht auf offiziellen Nachrichten-Plattformen.
Was bedeutet all das für Ihre sprachwissenschaftliche Arbeit?
Meine Feldforschung rund um den kubanischen Dialekt ist sehr erschwert. Ich habe noch Hoffnung, anhand von Online-Umfragen zu Daten zu kommen, doch die mobilen Daten sind hier extrem teuer. 1 GB bedeutet für viele einen ganzen oder halben Monatslohn.
Info: Nadine Baumgartner (25) aus Steyr studiert Englisch und Spanisch auf Lehramt in Graz. Für ihre Diplomarbeit weilt sie aktuell in Kubas Hauptstadt Havanna, wo sie schon im Sommersemester 2019 studierte. Ihre Erfahrungen teilt sie über den Instagram-Blog: dos_mangonas_en_la_habana
Kommentare sind nur für eingeloggte User verfügbar.
Jetzt anmelden