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Steyrer Menschenrechtsexperte: „Schön wäre Herdenimmunität gegen rassistische Tendenzen“

Angelika Hollnbuchner, 07.07.2020 09:19

STEYR. Der Erstickungstod des Afroamerikaners George Floyd durch einen Polizisten hat weltweit für Aufruhr gesorgt. Das Phänomen des Rassismus ist ein altes. Tips sprach mit dem renommierten Menschenrechtsexperten Dieter Schindlauer. Er stammt aus Steyr.

Dieter Schindlauer Foto: Johannes Zinner
Dieter Schindlauer Foto: Johannes Zinner

Tips: Immer wieder passiert auf der Welt Rassismus, der medial hohe Welle schlägt oder nicht. Warum bringt der Fall Floyd so viele auf die Straße?

Dieter Schindlauer: Da kann ich nur spekulieren und halte es mit Schauspieler Will Smith, der in sozialen Medien zitiert wird mit: „Diese Diskriminierungen und rassistischen Übergriffe hat es immer gegeben, aber jetzt werden sie gefilmt.“ Wir sehen ganz stark wie Handy-Videos dafür sorgen, dass bestimmte Übergriffe nicht einfach geleugnet und vom Tisch gewischt werden. Der Fall Floyd ist besonders grauslich und erinnert an andere Fälle, in denen Schwarze erstickt wurden – in Österreich vor allem an Marcus Omofuma und Seibane Vague. Es war wohl einfach an der Zeit, dass viele Menschen sich darüber empören, was da passiert und die Systematik dahinter ansprechen und nicht nur den jeweiligen Einzelfall. 

Tips: Warum wiederholt sich unverhältnismäßige Gewalt im Polizeieinsatz gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe im nördlichen Teil der Welt immer wieder?

Schindlauer: Das ist eine große und wichtige Frage. Polizeibeamte sind nicht davor gefeit, die in ihrer Gesellschaft kursierenden diskriminierenden Geschichten und Mythen mitzubekommen und sich leider in ihrem Handeln davon leiten zu lassen. Da ihr Beruf auch die Anwendung von Gewalt vorsieht, ergeben sich Exzesse, die auf diskriminierenden Haltungen beruhen. Das heißt aber nicht, dass Polizeibeamte grundsätzlich rassistischer sind als andere Teile der Bevölkerung. Ihr Handeln hat aber einen besonders negativen Effekt, wenn sie es sind. Rassismus und Diskriminierung muss in der gesamten Bevölkerung beendet werden, wenn wir hier weiterkommen wollen. Tatsächlich könnte und sollte die Polizei mit gutem Beispiel vorangehen.

Tips: Welche Situation haben wir aktuell in Österreich?

Schindlauer: Österreich ist wie so viele Länder in der Rassismus-Bekämpfung seit vielen Jahren zu untätig gewesen. Im Gegenteil: Es sind rassistische Reflexe auch politisch immer wieder ausgenutzt und aufgestachelt worden. Sieht man sich Rassismus-Reporte aus den letzten 20 Jahren an, dann erkennt man, dass es rassistische Vorfälle in allen Lebensbereichen gibt und das lange bekannt ist. Leider wird im öffentlichen Diskurs die Bekämpfung von Rassismus oft argwöhnischer betrachtet als der Rassismus selbst, der ja immer noch oft geleugnet oder verniedlicht wird. Wichtig wäre es zu erkennen, dass rassistische Diskriminierung Unrecht ist und nicht bloß eine Frage des Charakters.

Tips: Woher rührt die Furcht vor dem äußerlich Anderen?

Schindlauer: Rassismus entsteht nicht aus Furcht, er kann sich aber in Furcht äußern. Grundsätzlich werden diskriminierende Systeme geschaffen, um den Machterhalt der Mächtigen abzusichern. Unterschiede zwischen Menschen werden erfunden und aufgebauscht, um zu bestimmen, was „normal“ ist und was „besonders“. Erfundene Geschichten werden gestreut und verändern mit der Zeit unsere Wahrnehmung und letztlich unser Verhalten. Unsere Hautfarbe unterscheidet uns keinesfalls wesenhaft – das ist wissenschaftlich belegt. Gleichzeitig halten sich die Mythen darüber schon so lange, dass wir kaum noch denken können, dass sie keine Rolle spielt. Das erzeugt Nachteile für dunkelhäutige Menschen, die dann unter besonderer Beobachtung stehen und auch gleich als Vertreter aller Menschen dieser Hautfarbe betrachtet werden. Weiße Menschen hingegen verstehen sich kaum je als Vertreter von irgendwem und glauben oft, sie hätten gar keine Hautfarbe.

Tips: Was kann man als Betroffener oder Zeuge von rassistischen Äußerungen oder Übergriffen tun?

Schindlauer: Das hängt sehr von der Situation ab. Grundsätzlich ist es immer gut, sich Tipps und Unterstützung zu holen – etwa beim Verein ZARA. Ein Großteil von rassistischen Taten ist gesetzlich verboten und man kann sich dagegen wehren. Für Zeugen ist es gut, wenn sie einem direkt Betroffenen Unterstützung anbieten und für die Beweissicherung sorgen. Handy-Videos und Zeugenaussagen können sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, gegen rassistische Handlungen vorzugehen, weil leider Betroffenen oft nicht gleich geglaubt wird. Wichtig ist, Rassismus nicht achselzuckend hinzunehmen.

Tips: Zuletzt gab es wieder Medienberichte über Pflaster in verschiedenen Hautfarben. Welche Rolle spielen solche kleinen Dinge für die Gleichbehandlung?

Schindlauer: Mitzudenken, dass wir in vielfältigen Gesellschaften leben und unterschiedliche Hautfarben haben, ist nicht nur ein Vorteil für die Konsumenten und Hersteller. Es hilft uns allen zu verstehen, dass keine Hautfarbe normaler ist als eine andere. Das ist ein bedeutender Schritt für das Verständnis von Vielfalt als Normalität, die auch so bleiben wird und soll.

Tips: Was kann Rassismus sonst noch sinnvoll entgegenwirken?

Schindlauer: Zu erkennen, dass das Problem der rassistischen Diskriminierung nicht durch die diskriminierten Menschen ausgelöst wird, sondern durch jene, die diskriminieren oder Diskriminierung hinnehmen. Wenn ich verstehe, dass mich Rassismus etwas angeht, kann ich Teil der Lösung sein. Rassismus ist dumm, teuer und schädlich. Philosophin Angela Davies hat gesagt: „In einem rassistischen System reicht es nicht, nicht rassistisch zu sein. Man muss antirassistisch agieren.“ Sich zurücklehnen und zu sagen: „Ich bin ja eh nicht so!“ reicht nicht. Man kann Rassismus im eigenen Umfeld immer entgegentreten. Das ist nicht immer einfach. Was ich aber erreichen kann, ist, dass Rassismus an Leichtigkeit und Alltäglichkeit verliert. Auf politischer Ebene braucht es bessere Gesetze für verlässlich spürbare Konsequenzen, wenn jemand rassistisch handelt.

Tips: Gibt die Covid-Krise eine höhere Chance auf langfristige Veränderung?

Schindlauer: Chancen gibt es immer! Covid zeigt eindringlich, wie ein Problem auf systemischer Ebene wirkt und macht uns allen klar, dass niemand sicher ist, wenn wir nicht alle sicher sind. Wenn es uns gelingt, das mit den Inhalten der Black Lives Matter-Bewegung zusammen zu denken, könnten wir einen ordentlichen Schritt nach vorne machen. Schön wäre eine Herdenimmunität gegen rassistische Tendenzen.

ZUR PERSON

Dieter Schindlauer ist in Steyr und Dietach aufgewachsen. Er hat international Projekte zu Nichtdiskriminierung geleitet, lehrt an Hochschulen und hat langjährige Erfahrung als Trainer und Berater von staatlichen, nichtstaatlichen oder zwischenstaatlichen Organisationen. 1999 war er Gründungsobmann des Anti-Rassismus-Vereins ZARA. Der Menschenrechtsexperte ist zudem Präsident des Klagsverbandes zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern. Schindlauer lebt im Kosovo und arbeitet dort in einem EU-Projekt zu Menschenrechten.

Alltagsrassismus in Steyr

Das Caritas-Integrationszentrum Paraplü ist Anlaufstelle für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Nachfolgend gibt die Steyrer Einrichtung einige Beispiele, welche Formen des Alltagsrassismus von Betroffenen an das Team herangetragen werden:

• kopftuchtragende Frau hört beim Einkaufen: „blödes Gesindel“

• in Steyr geborene Tochter von Gastarbeitern hört am Parkplatz: „Türken raus“

• eine Wohnung soll „eigentlich lieber an Österreicher“ vermietet werden, um „mit den Nachbarn keinen Ärger“ zu bekommen

• eine junge Syrerin wird gleich bei einem ersten Small Talk gefragt, wie viele Kinder sie haben möchte

• „Geh arbeiten“ hört ein tschetschenischer Mann häufig, der nichts lieber täte, trotz rechtmäßigem Aufenthalt aber nicht darf

• türkisch-stämmige Österreicherin mit Kopftuch: „Ich trau mich beim Halten an der Ampel kaum links oder rechts schauen, weil mir sehr oft ein Fahrer den Stinkefinger zeigt.“

• türkisch-stämmige Österreicherin ohne Kopftuch bei der Arbeit in einer Fast-Food-Kette: „Ein Kunde hat mir gegenüber das Zeichen von „Hals durchschneiden“ gemacht. Einfach so beim Bestellen ...“

• Kosovo-albanische Krankenschwester, die zu Stationsschwester befördert wird, hört von Kollegin: „Von der Ausländerin lasse ich mir aber nichts sagen.“

Weitere Infos: www.zara.or.at www.paraplue-steyr.at


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