REICHRAMING. Wenn ein langjähriger Gebietsbetreuer der Österreichischen Bundesforste im Nationalpark Kalkalpen von einem bestimmten Baum ins Schwärmen gerät und diesen nach eigenen Angaben seit Nationalparkgründung immer wieder „besuchen kommt“, dann muss dies zweifelsohne eine ganz besondere Baumpersönlichkeit sein. Von einem Besuch bei einem monumentalen Tannenbaum im Reichraminger Hintergebirge.
Treffpunkt Reichraminger Hintergebirge. Gebietsbetreuer Roman Paumann und seine Hündin Lexi warten bereits. Über gewundene, ratternde Forststraßen beginnt die Reise zunächst im Geländeauto durch tiefe Wälder tiefer ins Herz des Schutzgebiets. Nach einigen Kurven und Anstiegen scheint bereits jede Orientierung verloren, doch der Gebietsbetreuer kennt hier immer noch jeden Stein. Kurze Zeit später geht es zu Fuß weiter – zu einem ganz besonderen Baumriesen.
Unvermittelt und fernab von jeder befahrbaren Straße ragt sie dann in die Höhe, die größte Tanne im Nationalpark Kalkalpen. Geschätzte 450 Jahre ist sie alt und hat einen Stamm-Durchmesser von stolzen 1,7 Metern.
Holzknechte im Hintergebirge: eine Reise in die Vergangenheit
Steht man direkt vor diesem Natur-Monument, nimmt es einen mit in die Vergangenheit, erklärt Ranger Roman Paumann. Im 16. Jahrhundert, als diese Tanne noch ein Keimling war, kamen die ersten Holzknechte ins Reichraminger Hintergebirge. Bis zu acht Stunden gingen die Holzknechte von der Ortschaft bis dorthin, über schmale Steige und gefährliche Schluchten verlief für sie der anstrengende Weg zur wochenlangen Arbeit. Im Sommer wurde geschlägert, im Winter wurde auf Holzriesen geliefert, und im Frühjahr wurden die Stämme am Wasserweg Richtung Reichraming hinaus getriftet. Bis zu 8.000 Kilo-Kalorien verbrauchte zu dieser Zeit ein Forstarbeiter pro Tag. All dies hat die Tanne schon erlebt. Auch das Ende der modernen Holznutzung im Jahr der Nationalparkgründung 1997 und die Rückkehr zur Waldwildnis. Heute laufen erneut Luchse auf leisen Pfoten an ihr vorbei und Dreizehenspechte hüpfen durch die inzwischen uralte Krone.
Schon lange bevor die erste Axt das Hintergebirge erreichte, wuchsen 1200 n. Chr. noch riesige Urwälder im heutigen Nationalpark. Es waren montane Bergmischwälder mit Fichten, Buchen und mächtigen Tannen, deren Wipfeln schon damals über das Blätterdach der übrigen Bäume hinwegstrahlten. Die Vorfahren von der Tanne heute, erzählt der Ranger.
Die Tanne als Sorgenkind: eine Reise in die Zukunft
Schlechte Luftqualität und besonders Wildverbiss können der wohlschmeckenden Tanne in der Jugend leicht zum Verhängnis werden. Im Nationalpark Kalkalpen liegt der Tannenanteil derzeit nur mehr bei 0,7 Prozent, ein Erbe der jahrhundertelangen Bewirtschaftung. Im Nationalparkbetrieb der Bundesforste werden daher verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den Tannenanteil wieder zu erhöhen. Der Besuch bei der alten Tanne gleicht daher einer Reise in die Vergangenheit, einer Reise in die Zukunft und am Ende vielleicht auch ein Stück zu sich selbst.
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