UVP-Verfahren zur 110-kV-Freileitung im Mühlviertel: Gegner bringen Strafanzeige ein
MÜHLVIERTEL. Die hitzige Debatte um die geplante 110-kV-Freileitung im Oberen Mühlviertel ist um eine Facette reicher: Die Rechtsvertretung der Interessensgemeinschaft (IG) Landschaftsschutz Mühlviertel wird Strafanzeige wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs im UVP-Verfahren einbringen.
Die IG Landschaftsschutz Mühlviertel hat am Donnerstag in Linz erneut scharfe Kritik an der als Freileitung geplanten 110-kV-Leitung durch das Obere Mühlviertel geübt – insbesondere am Ablauf des laufenden UVP-Verfahrens.
Wie berichtet fordern Bürgerinitiativen anstatt einer Freileitung eine Erdkabel-Variante. Unterstützt werden sie von den NEOS OÖ, die „volle Transparenz, eine faire Beteiligung der betroffenen Bevölkerung und eine ernsthafte Prüfung von Alternativen zur Freileitung, insbesondere der Erdkabel-Variante“, fordert.
Nationalratsabgeordnete Karin Doppelbauer, stv. NEOS-Landessprecherin und Energiesprecherin der NEOS im Parlament: „Wir haben hier aus meiner Sicht politische Versäumnisse, die die Bürger ratlos zurücklassen.“ Alternative Vorschläge der betroffenen Bürger seien vom Tisch gewischt worden. „Ich glaube einfach, dass sich die Politik, die schwarz-blaue Landesregierung, die Ausführung als Freileitung schon vor Beginn des UVP-Verfahrens ausgemacht hat. Das sage ich in dieser Deutlichkeit, weil wir uns seit sechs Jahren mit diesem Thema genau beschäftigen.“
Auch für sie habe der Netzausbau Priorität, es gehe nicht darum, das Projekt zu verhindern, im Gegenteil. „Jeder will ja die Leitung, aber eben ‚State of the Art‘, so wie es andere Länder international auch schaffen, standardmäßig 110 kV-Leitungen einzugraben – und das ist auch das Anliegen der Bürgerinitiativen. In Oberösterreich geht das offenbar aber nicht – hier ticken die Uhren nach wie vor anders“, kritisiert Doppelbauer. Sie kritisiert dabei erneut auch ein Experten-Hearing im oö. Landtag, in dem nur von den Projektwerbern (Anm. der Redaktion: Energie AG und Linz AG) nominierte Experten zugelassen worden seien.
„So in meinen 20 Jahren als Anwalt nicht erlebt“
Für den Verfassungsjuristen und Rechtsvertreter der Bürgerinitiative IG Landschaftsschutz Mühlviertel Wolfram Proksch wirft das UVP-Verfahren zur 110-kV-Freileitung erhebliche Fragen zu Fairness und Rechtsstaatlichkeit auf. „In meinen 20 Jahren als Anwalt – insbesondere im Bereich Klimaschutzrecht und Umweltrecht – habe ich so ein Vorgehen noch nicht erlebt.“
Er sieht „die Rechte der betroffenen Bürger systematisch eingeschränkt, angemessene Vorbereitungs- und Ladungsfristen missachtet, kritische Fragen unbeantwortet gelassen“. Der UVP-Prozess sei massiv in Zweifel gezogen. „Wenn im Vorhinein die Genehmigung eh schon feststeht, könnte man sich sehr viel Steuergeld ersparen, wenn man die Öffentlichkeit einfach gar nicht beteiligt“, überspitzt es der Jurist.
Strafanzeige in Vorbereitung
Proksch wurde von drei Bürgerinitiativen und sonstigen Betroffenen, die im Verfahren Parteistellung haben, beauftragt, eine Strafanzeige wegen des „Verdachts des Amtsmissbrauchs durch die bewusste Beschneidung fundamentaler Verfahrensrechte“ einzubringen. Konkret gegen den Verhandlungsleiter im UVP-Verfahren (ein Landesbediensteter der Direktion Umwelt und Wasserwirtschaft) und gegen „Unbekannt“.
Sieben Punkte zählt Proksch am Donnerstag auf, darunter, dass die Verhandlungsbedingungen und Fristen unzumutbar gewesen seien, Amtssachverständige Antworten auf kritische Fragen verweigert hätten, aber auch zentrale Naturschutz-Themen vertagt wurden, „obwohl unabhängige Sachverständige der Betroffenen anwesend waren.“
Vor allem kritisiert wird eine kurzfristige Terminänderung, nachdem sich herausgestellt habe, dass die sechs angesetzten Verhandlungstage nicht ausreichen würden. So seien vom Verhandlungsleiter bewusst jene Termine festgelegt worden, bei denen bekannt gewesen sei, dass die Rechtsvertreter und Sachverständigen der Betroffenen verhindert sind.
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„Das wurde bewusst gemacht“, ist der Jurist überzeugt, gemutmaßt wird, dass dies aufgrund einer Weisung geschehen sei. Damit seien die fundamentalen Rechte auf Parteiengehör der betroffenen Parteien beschnitten worden.
Es ergebe sich der begründeter Verdacht des Amtsmissbrauchs. „Das werden wir mit einer fundierten und umfassenden Strafanzeige den zuständigen Verfolgungsbehörden zur Kenntnis bringen, und das wird bis Ende nächster Woche geschehen“, kündigt Proksch an.
Zumindest erhofft man sich dadurch, „dass es zu einem ernsthaften Diskurs dazu kommt, ob wir UVP-Verfahren auf diese Art und Weise weiterführen wollen oder ob wir nicht doch eine ernsthafte Öffentlichkeitsbeteiligung brauchen.“
Bei Erdkabel: „Unser Widerstand würde sofort eingestellt“
Am Donnerstag vor Presse vertreten wurde die IG Landschaftsschutz Mühlviertel durch Obmann Rudolf Niederwimmer und durch Vereinsvorstand Hubert Prammer. Sie sind nicht gegen den Leitungsbau, wie beide bekräftigen. „Wir wollen nur, dass sie über Erdkabel erfolgt, unser Widerstand würde sofort eingestellt“, so Prammer.
Argumente der IG unter anderem: Landschaftsschutz im Mühlviertel, das auch Tourismusregion sei, geringere Netzverluste. „Ein Erdkabel ist auch angewandter Umweltschutz und Naturschutz, eine Freileitung ist eine enorme Luft- und Klimaheizung, der Raum Schenkenfelden ist Vogelzugkorridor“, so Niederwimmer. In dem Gebiet sind laut der IG auch Brutstätten streng geschützter Vogelarten wie Wachtelkönig oder Sperlingskauz nachgewiesen.
Ebenfalls kann das Argument der Mehrkosten eines Erdkabels nicht nachvollzogen werden, vor allem wenn Netzverlust, Biodiversitätsverlust, Waldverlust, Monitoring und Erhaltungsaufwand bei einer Freileitung miteinberechnet würden. „Man muss eine gesamthafte Rechnung anstellen“, so auch Proksch. „Wir reden hier nicht von großartigen Mehrkosten, die entstehen würden“, ergänzt auch Doppelbauer.
Büro Kaineder: „Laufendes Verfahren objektiv und transparent“
Auf Tips-Anfrage zur Kritik und angekündigten Strafanzeige heißt es aus dem Büro des für UVP-Verfahren zuständigen Klima- und Umweltschutz-Landesrat Stefan Kainder (Grüne):
„Im Rahmen der Genehmigung des Vorhabens wird eine gründliche Prüfung sämtlicher relevanten Faktoren durchgeführt. Diese Prüfung ist jedoch gemäß der geltenden Rechtsvorschriften auf das Vorhaben beschränkt, das vom Projektwerber beantragt wurde.“ Und dieses sei ein Freileitungsprojekt, kein Erdkabel-Projekt.
Zur angekündigten Strafanzeige heißt es von der Direktorin der Direktion Umwelt und Wasserwirtschaft beim Land OÖ, Daniela König: „Uns liegt derzeit keine Strafanzeige vor, daher können wir zu möglichen Vorwürfen keine Stellung nehmen. Das laufende Verfahren wird nach den gesetzlichen Vorgaben objektiv und transparent geführt. Unabhängige Sachverständige wurden in allen relevanten Fachbereichen beigezogen. Ich kann als Direktorin versichern, dass sämtliche behördlichen Entscheidungen ausschließlich auf Grundlage der geltenden Rechtsvorschriften getroffen werden.“
Achleitner: „Geht um leistungsfähige und verlässliche Energieversorgung“
Von Wirtschafts- und Energie-Landesrat Markus Achleitner (ÖVP) heißt es auf Anfrage: „Die Entscheidung Freileitung oder Erdkabel ist eine rein fachliche, die von den Projektwerbern getroffen wurde. Laut einem Gutachten von Ernst & Young sind die Kosten für ein Erdkabel rund 3,2 mal höher als bei der Freileitung. Zugleich beträgt die Lebensdauer eines Erdkabels mit rund 40 bis 50 Jahren nur rund die Hälfte der Lebensdauer einer Freileitung mit rund 80 Jahren. Für Oberösterreich als führendes Wirtschaftsland mit einer besonders energieintensiven Industrie ist eine leistungsfähige und verlässliche Energieversorgung ein wesentlicher Standortfaktor. Um den steigenden Anforderungen an eine qualitativ und quantitativ hochwertige Stromversorgung auch in Zukunft gerecht zu werden, gilt es das Stromnetz in Oberösterreich ständig weiter zu entwickeln und auszubauen. Grundlage dafür bildet der Stromnetz-Masterplan Oberösterreich, der in enger Zusammenarbeit mit allen relevanten Netzbetreibern erstellt worden ist, da ja das regionale oberösterreichische Netz in die übergeordneten österreichischen Stromnetze eingebunden ist. Politisch motivierte Anzeigen sind jedenfalls der falsche Weg, es geht darum, durch einen möglichst raschen Leitungsausbau eine leistungsfähige und verlässliche Energieversorgung auch künftig sicherzustellen.“
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