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Verkehrsstrafen: Bisher 17.100 Anzeigen mehr wegen der Herabsetzung der Toleranzgrenze

Martina Ebner, 02.04.2019 18:27

BEZIRK VÖCKLABRUCK. Seit Oktober 2018 gibt es eine niedrigere Straftoleranz von 5 km/h Geschwindigkeitsübertretungen. Dadurch wurden alleine bis Februar 2019 17.100 Anzeigen mehr ausgestellt. Über das Jahr hochgerechnet wären das rund 40.000 Anzeigen mehr. Wir baten Johannes Beer, Leiter der Sicherheitsabteilung der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, zum Interview.

Johannes Beer, Leiter der Sicherheitsabteilung der BH Vöcklabruck
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Tips: Warum wurden die Toleranzgrenzen geändert?

Johannes Beer: Weil sich eine Bundesrechnungshofprüfung des Verkehrsstrafsystems mit Fragestellung zur Straftoleranz beschäftigte und es eine öffentliche Debatte zum 140er auf Autobahnen gab. Es kam Kritik der Straftoleranz in Ortsgebieten, zumal Studien zeigten, dass Verletzungsfolgen auch im Bereich unter 50 km/h mit zunehmender Geschwindigkeit auch entsprechend schwerer wiegen. Verkehrslandesrat Steinkellner hat dann den politischen Entschluss gezogen, die Straftoleranzen zu reduzieren.

Tips: Diese neue Toleranzgrenze gilt für ganz Oberösterreich?

Beer: Ja. Man muss sich als Verkehrsteilnehmer auch über gesetzliche Änderungen laufend kundig machen.Tips: Wie waren bzw. sind die Straftoleranzen genau definiert?Beer: Früher galten bis 100 km/h 10 km/h als Straftoleranz, für Geschwindigkeitsbegrenzungen darüber hinaus galten 10 Prozent als Straftoleranz. Jetzt gelten 5 km/h als Straftoleranz im Ortsgebiet bzw. bei Geschwindigkeitsbeschränkungen bis 50 km/h. Dafür gibt es einen neuen Erlass. Darüber hinaus gelten weiterhin die 10 km/h als Toleranzgrenze. Auch die technische Fehlertoleranz von 3 km/h (Laser) bzw. 5 km/h (Radar) ist weiterhin zu berücksichtigen. Auf Autobahnen sind dies bei Laser 3 Prozent und bei Radar 5 Prozent der gemessenen Geschwindigkeit. Der Auslösewert bei erlaubten 130 km/h ist beispielsweise bei 149 km/h gefahrenen km/h.

Gewöhnt, die Grenzen auzureizen

Tips: Was heißt das genau für die Autofahrer im Ortsgebiet?

Beer: Bei einer 50er Beschränkung heißt das, man ist de facto mit 59 km/h unterwegs, wenn das Radar ausgelöst hat. Die technische Toleranz von 3 km/h zieht das Gerät schon von selbst ab. Das heißt, die Strafen kommen mit 56 km/h oder 26 km/h bei der Begegnungszone oder 36 km/h bei der 30er Zone.

Tips: In der Stadt Vöcklabruck herrscht in vielen Zonen ein 30er, in der Begegnungszone sogar ein 20er.

Beer: Die Begegnungszone am Stadtplatz ist bei der Einfahrt ausgeschildert. Es ist ein Problem, dass Leute nicht mehr aufmerksam sind, was gerade im Straßenverkehr sehr wichtig wäre. Es ist aber spannend zu beobachten, wie sehr wir gewöhnt sind, Grenzen auszureizen oder zu überdehnen. Es bleibt angesichts der verringerten Toleranzgrenze aber die Frage, ob man die Grundlage für die damaligen 30er Zonen nicht überdenken sollte. Im Zentrum sind die 30er Zonen auf jeden Fall internationaler Standard. Teilweise sind sie aber vielleicht unangemessen auf einzelnen Straßenstücken. Die Gemeinde ist verpflichtet, alle fünf Jahre die bestehenden Verordnungen zu überprüfen.

Tips: Es gibt sicher viel Aufregung seit der neuen Toleranzgrenze?

Beer: Ja, ein Verkehrsteilnehmer hat innerhalb von drei Tagen 20 Anonymverfügungen zugestellt bekommen. Und ein aufgebrachter Herr argumentierte, dass ihm beim 20er in der Begegnungszone das Motorrad absterben würde. Wer ein technisches Problem mit seinem Motorrad hat, sollte diese Straßenstellen meiden. Tips: Wie hoch sind die Strafen im Durchschnitt?Beer: Ich würde sagen etwa 40 Euro. Die Einnahmen der Strafgelder im Gemeindestraßennetz gehen ausschließlich an die jeweilige Gemeinde. Den Verfahrensaufwand und die verwaltungsstrafbehördliche Abarbeitung obliegt aber der Bezirkshauptmannschaft.

Rückstau nun abgearbeitet

Tips: Die BH ist ein Pilotprojekt für ein voll digitalisiertes Verwaltungsstrafsystem?

Beer: Ja, im Zuge dieses Wechsels war es aus technischen Gründen erforderlich, die Anzeigen der Gemeinde bis Ende Jänner 2019 zurückzuhalten. Dementsprechend konnten erst ab Februar 2019 die rückgestauten, rund 30.000 Anonymverfügungen für Delikte im Stadtgebiet Vöcklabruck versandt werden. Wir mussten abwarten, bis unser System stabil funktioniert. Dieser Rückstau ist aber nun abgearbeitet.

Tips: Verstehen Sie den Unmut der Bevölkerung?

Beer: Ja, ich verstehe, dass man irritiert ist, weil man die neue Toleranzgrenze nicht gewohnt ist und auch, dass man nicht zeitgerecht die Strafen bekommen hat. Normalerweise dauert die Zustellung zwei Wochen nach Übertretung. Uns obliegt ein immer größer werdender Verfahrensaufwand, ohne über zusätzliche Ressourcen zu verfügen. Bei aller Verärgerung über die Strafen ist es uns auch wichtig zu betonen, dass wir unserer rechtsstaatlichen Aufgabe nachkommen. In den letzten Wochen hat uns erschüttert, dass die Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft für ihre Arbeit immer wieder Verachtung und Herabwürdigung durch die Bürger erfahren. Da sollte man vielleicht innehalten und nachdenken, ob man als Mensch selbst nicht unwürdig handelt.


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