Gerald Schuster: Ohne Freiwillige würden wir diese Krise nicht schaffen
BEZIRK VÖCKLABRUCK. Seit der Corona-Krise ist das Rote Kreuz mit zusätzlichen Aufgaben konfrontiert. Bezirksgeschäftsleiter und Bezirksrettungskommandant Gerald Schuster im Tips-Interview.
Tips: Welchen neuen Herausforderungen stellt sich das Rote Kreuz seit der Corona-Krise?
Gerald Schuster: Gerade am Beginn wussten wir nichts von diesem Virus und mussten uns intensiv vorbereiten und planen. Die Aufgaben, die wir übernommen haben, waren vorerst die Testungen, damals auch im Rahmen eines Drive-ins, einem Pilotprojekt für ganz Oberösterreich. Auch die Hygienevorschriften und die Desinfektion sind viel zeitaufwändiger und umfangreicher geworden. Hinzu kommen die Transporte von infektiösen Patienten und dann die Organisation der Impf-Straßen.
Tips: Wie hat sich die Arbeit für die Mitarbeiter verändert?
Schuster: Leider ist es mittlerweile zum Alltag geworden, dass infektiöse Transporte zum Rettungsdienst dazu gehören. Auch die umfangreichen Hygienevorschriften sind schon Routine: die Umrüstung der Rettungswagen, die Schutzausrüstung oder auch das Tragen der FFP2-Masken. Somit werden die einzelnen Transporte länger, weil man sich dementsprechend vorbereiten muss, man anschließend das Auto desinfizieren muss und so weiter. In den vergangenen Wochen gab es bei der Infektionsschleuse im Salzkammergut Klinikum Vöcklabruck teilweise einen Rückstau von vier Rettungsfahrzeugen.
Neu sind auch die große Anzahl an Intensiv-Überstellungstransporten von Patienten in sehr kritischem Zustand, denn in Oberösterreich findet ein Kapazitäten-Austausch statt. Es ist unglaublich, welche Flexibilität meine Kollegen in den vergangenen Monaten entwickeln mussten. Und trotzdem sind das Engagement und die Einsatzbereitschaft, auch durch die vielen Freiwilligen, sehr hoch. Ohne sie würden wir eine Krise wie diese nicht schaffen.
„Wollen der Bevölkerung das Maximale bieten“
Tips: Rotkreuz-Mitarbeiter müssen aber auch geschützt werden.
Schuster: Ja, wir bieten größtmöglichen Schutz an und wollen aber gleichzeitig der Bevölkerung das Maximale anbieten. Das bedarf manchmal kreativer Lösungen. Beispielsweise wurden im Rotkreuz-Markt in Vöcklamarkt zu Beginn der Pandemie unsere älteren Kollegen geschützt, indem wir jüngere eingesetzt haben. Der Besuchsdienst für Ältere wurde teilweise ins Freie verlagert oder auch aufs Telefon umgestellt. Im Bereich der Lernförderung wurde von Präsenz- auf Online-Betrieb umgestellt. Auch das Kriseninterventionsteam steht weiterhin zur Verfügung. Da sind wir wieder bei der Flexibilität und beim enormen Kraftaufwand unserer Mitarbeiter.
Tips: Wie geht es den Mitarbeitern in den Test- und Impfstraßen?
Schuster: 99 Prozent der Bevölkerung ist dankbar für die Dienste, die das Rote Kreuz macht – auch in der Pandemie. Es gibt aber auch vereinzelt Leute, die mit der derzeitigen Situation vielleicht nicht zurechtkommen und diesen Stress oder Frust an unseren Mitarbeitern auslassen. Beispielsweise stößt der Umstand, warten zu müssen, manchmal auf Unverständnis. Schade ist, wenn es zu persönlichen Beschimpfungen kommt, weil sich jeder Einzelne von uns bemüht, das Bestmögliche zu geben. Dabei sind wir die Ausführenden von Maßnahmen von Bund und Land, werden aber als Verantwortliche beschimpft. Wir würden mehr Solidarität zur Überwindung dieser Pandemie brauchen.
Tips: Wie gehen Sie damit um?
Schuster: Wir urteilen nicht, zu unseren Grundsätzen zählt die Neutralität. Der Grundgedanke des Roten Kreuzes ist: Egal, wer auf der Straße liegt, wir helfen ihm! Wir wollen für jeden Menschen da sein, ob in der Armutsbekämpfung, für die ältere Bevölkerung, beim Jugendrotkreuz oder auch im Rettungsdienst. Wir hinterfragen nicht. Ich ziehe den Hut vor jedem, der sich dieser Aufgabe stellt und unsere Werte lebt. Wir gehen über unsere Grenzen hinaus, um Menschen zu helfen, und ich danke jedem einzelnen Mitarbeiter dafür!
„Unsere Betroffenheit ist sehr hoch“
Tips: Was würden Sie Impfgegnern sagen?
Schuster: Wir gewinnen mit unserer Arbeit Einblicke, die anderen verwehrt bleiben. Daher ist unsere Betroffenheit sehr hoch und zutiefst emotional. Beispielsweise, wenn wir relativ jungen Menschen im Rettungsdienst begegnen, die an Covid erkrankt sind und tatsächlich in einem Todeskampf nach Luft ringen. Das belastet uns sehr. Oder wenn wir zu einem schweren Verkehrsunfall ausrücken und wissen, dass die Intensivstation in Vöcklabruck voll ist und sich die Frage stellt, wo wir den Patienten hinbringen können? Da spielt auch der Zeitfaktor eine Rolle! Solidarisch wäre, sich der wissenschaftlichen Erkenntnisse bewusst zu werden und nicht halbseidene Fake-News als Informationsquelle zu nehmen. Für mich ist das völlig unverständlich. In all unseren Impfstraßen hatten wir bei mittlerweile mehr als 80.000 Impfungen keinen einzigen dramatischen Zwischenfall unmittelbar danach oder eine schwere Impfreaktion.
„Wir sind am und über dem Limit“
Tips: Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Behörden und den Kliniken?
Schuster: Grundsätzlich sehr gut, aber wir merken, dass die Systeme derzeit belastet und teilweise auch überlastet sind. Wenn Operationen, die dringend benötigt werden, oder Untersuchungen, die gebraucht werden, verschoben werden, dann spüren wir das. Weil sich die Leute mit ihren Ängsten uns gegenüber öffnen.
Tips: Sehen Sie eine Entspannung in der Zukunft?
Schuster: Sehr wenig, weil die Herausforderungen auch ohne Corona hoch genug sind. Wir sind am und über dem Limit und deswegen wünschen wir uns ein Zusammenstehen und keine Spaltung in der Gesellschaft, damit wir da vernünftig gemeinsam durchkommen. Die Ermüdungserscheinungen sind spürbar, der Drehzahlmesser ist im roten Bereich, wir sollten den Motor nicht völlig überhitzen.
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