Fall des Eisernen Vorhangs: Ein Leben hart an der Grenze
WINDHAAG/LEOPOLDSCHLAG. Vor exakt 30 Jahren durchtrennten Landeshauptmann Josef Ratzenböck und Kreisvorsitzender Miroslav Šenkyr an der oö-tschechischen Grenze in Wullowitz den Stacheldraht am Eisernen Vorhang. Für Franz Kapl aus Windhaag, damals als Beamter des Gendarmeriepostens Leopoldschlag im Dienst, war die Grenze zeitlebens prägend.
„In Windhaag war die Grenze für uns immer ein totes Gebiet, wir haben nur die Wachtürme gesehen“, erinnert sich Franz Kapl an seine Kindheit. Die Eltern warnten stets davor, in die Nähe des Eisernen Vorhangs zu kommen. „Meine Großmutter aus Leopoldschlag ist beim Reisighacken einmal bei der steinernen Brücke in Mairspindt irrtümlich über die Grenze geraten und hat sich verirrt – zum Glück ist ihr nichts passiert, aber diese Geschichte hat uns schon als Kinder geprägt.“
Schüsse an der Grenze
Im Gendarmeriedienst an der Grenze, den Franz Kapl 1984 antrat (siehe Infobox), war der Windhaager manchmal selbst in brenzlige Situationen involviert. „1987 ist eines Nachts ein tschechischer Soldat Richtung Zollamt Wullowitz geflohen, die tschechischen Grenzwächter haben geschossen“, erinnert er sich. Passiert sei dabei zum Glück niemandem etwas, auch jenem Leopoldschlager Bauern nicht, der beim Staudenschneiden an der Maltsch über die Grenze geriet und verhaftet wurde. Zu spaßen sei damals mit den Tschechen allerdings nicht gewesen, resümiert Kapl.
Geheimdienst gut informiert
Bei einem Ausflug nach Tschechien im Juli 1988, damals noch visapflichtig, hatte er im Visum als Berufsbezeichnung „Beamter im Innenministerium“ angegeben. „Bei der Grenzkontrolle in Dolni Dvoriste hat der Diensthabende aber genau gewusst, dass ich bei der Exekutive bin – der Geheimdienst hat immer gut gearbeitet“, weiß der Windhaager. Unvergesslich ist Kapl auch ein beruflicher „Ausflug“ über die Grenze im Jahr 1988, bei dem es galt, eine Gruppe unerlaubt mit dem Zug Eingereister zurück nach Tschechien zu begleiten. „Bei unserem Eintreffen hat man uns mit Maschinengewehren im Anschlag empfangen, dann hat uns der Kommandant zu einer Besprechung im Bahnhofsgasthaus gebeten.“
Mit Dampflok zurück über die Grenze
Nach einem gemeinsamen Glas Bier ließ der Tscheche eine Dampflok anspannen, die die Österreicher zurück über die Grenze brachte.Maschinengewehre und BierDer berufliche Kontakt zu den tschechischen Kollegen sei im Großen und Ganzen immer sehr gut gewesen, resümiert Franz Kapl. Nach dem historischen Akt der Stacheldraht-Durchtrennung in Wullowitz am 11. Dezember 1989, bei dem der Gendarm dienstlich im Einsatz war, besuchte er am Silvestertag mit dem damaligen Freistädter Bürgermeister Josef Mühlbachler und dem Abgeordneten Robert Elmecker die Grenzstation in Dolni Dvoriste, gleich hinter Wullowitz. „Wir haben den Offizieren ein kleines Geschenk übergeben und uns für die gute Zusammenarbeit bedankt“, blickt Kapl zurück. Jahre später trug dieser gute Kontakt Früchte in Form von gemeinsamen Streifen österreichischer und tschechischer Grenzbeamter.
Ansturm von Reisenden
Unmittelbar nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als das Reisen von Österreich nach Tschechien und umgekehrt ohne Formalitäten möglich war, herrschte in Wullowitz noch ganz wenig Andrang. „Der Ansturm kam erst ein paar Tage später, die Autokolonnen reichten auf beiden Seiten der Grenze kilometerweit zurück.“ Wo denn hier die Müllberge seien, wurde Franz Kapl damals von einem tschechischen Reisenden gefragt. Die kommunistische Propaganda hatte offenbar ganze Arbeit geleistet.
Arbeit an der Grenze
Mit zunehmendem Verkehr gab es auch für die Exekutive an der Grenze immer mehr Arbeit. Franz Kapl wurde mit dem Aufbau der neuen Grenzkontrollstelle Wullowitz betraut, die 1996 die Sicherheits- und Passkontrolle von der Zollwache übernahm. „Das waren schon Schengen-Kontrollen“, blickt der Windhaager zurück. Bis 21. Dezember 2007 versahen die Grenzgendarmen bzw. späteren Beamten der Grenzpolizeiinspektion Wullowitz ihren fordernden Dienst an der Grenze. „Gerade der Busverkehr war sehr stark, manchmal hatten wir in einer Nacht 200 Busse aus Tschechien abzufertigen“, blickt Franz Kapl zurück. Dank der guten Arbeit der „Grenzer“ gelang es, unzählige Delikte aufzuklären, Diebesgut sicherzustellen, gefälschte Dokumente aufzudecken oder gestohlene Autos sicherzustellen. Auch Verhaftungen von ausgeschriebenen Mördern, Räubern oder Menschenhändlern waren häufig.
Ausnahmezustand Grenzblockaden
Hochspannung herrschte an der Grenze in Wullowitz zur Zeit der Anti-Temelin-Blockaden im Jahr 2000. „Das war ein Ausnahmezustand, in dem wir eine neutrale Position einnehmen mussten.“ Während viele Autofahrer wegen des nötigen Umwegs wütend waren, sei zum Glück der Großteil der Demonstranten friedlich geblieben. Franz Kapl: „Selbst die Räumung des Grenzraums nach einer Bombendrohung hat anstandslos geklappt.“ Nach den Grenzblockaden sei wieder Normalbetrieb eingekehrt. Eine Anklage des damaligen Bezirkshauptmanns Hans Peter Zierl und Kapls auf tschechischer Seite wegen Duldung der Grenzblockaden verlief im Sand. „Es hat nie eine Verhandlung gegeben.“
Heute noch oft über die Grenze
Als die Grenzpolizeiinspektion am 21. Dezember 2007 die Grenzkontrolle zugunsten der „Schleierfahndung“ im Schengen-Raum beendete, war Franz Kapl schon als stellvertretender Bezirkspolizeikommandant in Freistadt tätig. Seit Mitte 2018 in Pension, überquert er die Grenze zu Südböhmen heute fast noch häufiger als in seiner aktiven Dienstzeit – bei gemeinsamen Fahrradtouren mit seiner Frau Margit.
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