Offener Brief: „Vierspuriger Ausbau der B121 – eine klimapolitische Anfrage“
WAIDHOFEN/YBBS. Die Initiatoren der im Vorjahr abgehaltenen Waidhofner Klimaproteste richten sich nun in einem Offenen Brief an die Bürgermeister der Kleinregion Ybbstal als auch die zuständigen Politiker in Land und Bund, um eine Diskussion um den vierspurigen Ausbau der B121 anzuregen. Konkret geht es um den drei Kilometer langen Abschnitt vom Ende des aktuellen vierspurigen Bereichs bis zum Kreisverkehr Richtung Kröllendorf.
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin! Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Sehr geehrter Herr ÖVP-Landesrat Ludwig Schleritzko! Sehr geehrter Herr ÖVP-Nationalratsabgeordneten Andreas Hanger! Sehr geehrte Frau Grünen-Bundesministerin Leonore Gewessler!
Zu der von den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der Kleinregion Ybbstal eingebrachten Mobilitäts-Petition an Herrn LR Schleritzko legen wir Ihnen mit diesem Schreiben unsere ernsthaften Überlegungen aus Klimaschutzsicht dar und bitten Sie um eine ehrliche Diskussion unserer Argumente. Wir können die Sorge der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, dass es auch in Zukunft erfolgreiche Wirtschaftsbetriebe in der Region geben soll, gut nachvollziehen.
Hohes Gut: Regionale Arbeitsplätze
Als Bewohner und Bewohnerinnen des Ybbstals ist das auch unser Interesse. Regionale Arbeitsplätze sind für die Bevölkerung ein hohes Gut und tragen dazu bei, den Lebensmittelpunkt in der Region zu wählen. Gerade weil wir zu einer zukunftsorientierten Entwicklung des Ybbstals beitragen möchten, stellen wir die Forderung nach einem weiteren vierspurigen Ausbau der B121 aus vielen Gründen infrage.
Sieben Argumentations-Punkte
Punkt 1: Der vierspurige Ausbau der B121 soll offensichtlich bewirken, dass der Auto- und LKW-Verkehr vom Wirtschaftsstandort Waidhofen und Oberes Ybbstal Richtung Amstetten schneller und somit attraktiver wird. Die tatsächliche Zeitersparnis für einen LKW, der diese Strecke mit 80 km/h auf der vierspurigen Strecke statt mit 60 km/h bei dichtem Verkehr im zweispurigen Bereich durchfährt, beträgt nur 45 Sekunden. Nicht einmal eine Minute wird ein LKW durch die geplante Maßnahme schneller in Amstetten sein. Für einen PKW, der durchgängig mit 100 km/h statt 80 km/h unterwegs sein wird, ergibt sich ein Zeitgewinn von lediglich 27 Sekunden.
Punkt 2: Es ist vielfach dokumentierter Stand der Verkehrswissenschaft, dass attraktivere, breitere und geradere Straßen zusätzlichen Verkehr schaffen. Deshalb ist es abzusehen, dass durch dieses zusätzlich generierte Verkehrsaufkommen der kurzfristige Zeitgewinn von 45 Sekunden zwischen Waidhofen und Amstetten in wenigen Jahren wieder verloren sein wird. Weiters konnte die Verkehrswissenschaft feststellen, dass es trotz massiver Investitionen in die Straßenverkehrsinfrastruktur zu keinem Mobilitätswachstum (Mobilität als Instrument zur Bedürfnisbefriedigung) und keiner vermeintlichen Zeitersparnis durch größere Reisegeschwindigkeiten gekommen ist. Deshalb ist davon auszugehen, dass auch dieser geforderte Ausbau der B121 zu keiner langfristigen Verbesserung der Mobilitätssituation im Ybbstal beitragen wird.
Punkt 3: Das zusätzliche motorisierte Verkehrsaufkommen, das durch den vierspurigen Ausbau der B121 geschaffen wird, wird auch zusätzliche CO2-Emissionen verursachen, welche die Klimakrise weiter verschärfen. In Österreich ist der Verkehrssektor seit Jahrzehnten das klimapolitische Sorgenkind. Er ist für ein Drittel der Emissionen verantwortlich und verzeichnet so starke Zuwächse, dass er alle Bemühungen in anderen Bereichen zunichtemacht. Die Forderung nach einem zweigleisigen Ausbau der Rudolfsbahn wird die zusätzlichen Emissionen aus dem B121-Ausbau nicht wettmachen, zumal wir mit einer drängenden Zeitfrage konfrontiert sind: Die CO2-Ausstöße müssen bis 2030 halbiert werden und bis 2045 auf Netto-Null gesenkt werden.
Punkt 4: Der nationale Energie- und Klimaplan der österreichischen Bundesregierung aus dem Jahr 2019 verbietet weitere Lock-in-Maßnahmen. Es dürfen demnach keine langfristig wirksamen Maßnahmen mehr gesetzt werden, die weiter an die fossilen Energieträger binden. Große Straßenbauprojekte erzeugen genau solche Lock-in-Effekte und sind daher im Lichte dieser Regierungsverpflichtung und des Pariser Klimaabkommens abzulehnen. Das wird umso deutlicher, wenn man sich die große Herausforderung ansieht, vor der wir klimapolitisch stehen: Es genügt nicht, die CO2-Emissionen auf dem jetzigen Stand zu behalten; vielmehr müssen wir sie, wie schon in Punkt 3 angeführt, in zehn Jahren auf die Hälfte gesenkt haben und dürfen bis Mitte des Jahrhunderts (netto) keine Emissionen mehr ausstoßen. Wir verwalten ein begrenztes Treibhausgas-Budget! Mit dem angedachten fossilen Straßenbauprojekt erschwert sich unsere Region die Erreichung der unbedingt einzuhaltenden Ziele selbst auf eine unnötige Weise – es steht daher in direktem Widerspruch zu allen Klimaschutzbemühungen.
Punkt 5: Rund zwei Hektar wertvoller Wald und Wiesen müssen für den vierspurigen Ausbau der B121 gerodet und versiegelt werden. Der Boden samt intakter Vegetation ist aber ein enorm wichtiger Kohlenstoffspeicher, den wir zur Stabilisierung des CO2-Gehaltes in Zukunft dringend und allerorts brauchen werden. Zwei Drittel dieser Kohlenstoff-Speicherung leistet der in langen Jahren aufgebaute Humus, ein Drittel die Vegetation. Deshalb sind gewachsener Boden und Humus hohes Gemeinwohl-Zukunftsgut, mit dem es behutsam umzugehen gilt. Mit der Zerstörung dieses Bodens als Kohlenstoffspeicher befeuert man die Klimakrise das zweite Mal und rückt die Ziele des Pariser Abkommens wiederum ein Stück weit in die Ferne.
Punkt 6: Anpassungen an die Folgen des Klimawandels sind ein zentraler Punkt, denen sich auch viele Gemeinden versuchen zu stellen (Stichwort „klima-fitte Gemeinde“). Tatsächlich werden Naturereignisse in Zukunft intensiver ausfallen und zu großen – auch finanziellen – Schäden führen. Die Vernichtung von rund zwei Hektar aktiver Regenaufnahmefläche in der Region wird diese Situation weiter zuspitzen und dazu beitragen, die absehbaren Schäden des Klimawandels noch weiter zu vergrößern.
Punkt 7: Wenn das geforderte Straßenbauvorhaben umgesetzt werden sollte, dann werden Tatsachen geschaffen, die ähnliche naturzerstörende und klimaschädliche Projekte in jedem weiteren Tal in Niederösterreich, in jeder etwas abgelegenen Region, eigentlich überall in Österreich rechtfertigen. Wenn es vierspurig ins Ybbstal geht, warum nicht auch ins Erlauftal, ins Ennstal, ins Melktal etc.? Damit ist aber klar: Es wird keine Reduktion der Verkehrsemissionen, keinen Stopp beim Flächenverbrauch und letztlich kaum Fortschritte in einer wirkungsvollen Klimapolitik geben. Die vielen Versprechungen werden zu wirkungslosen Sonntagsreden, die wir uns angesichts dieser Krise nicht mehr leisten können und die wir als klimabesorgte Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich infrage stellen.
Zweiter Brief an die Bürgermeister der Kleingregion Ybbstal
Sehr geehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister!
Sind andere, zukunftsorientierte Lösungen in Sicht? Wir denken schon. Legen Sie diese Petition an LR Schleritzko beiseite und formulieren Sie eine andere, viel wichtigere und langfristig wirkungsvollere Petition direkt an den Bundeskanzler und den Vizekanzler. Sie mögen die öko-soziale Steuerreform als wirksamste Klimaschutzmaßnahme sofort und unverzüglich umsetzen. Durch sie wird schrittweise und sehr zeitnah der auf fossiler Basis aufbauende Straßenverkehr teurer, der Güter- und Personenverkehr auf der Schiene hingegen im Vergleich immer billiger und attraktiver. Erst dann ist ein Wirtschaftsstandort, der nicht direkt an einer Autobahn oder Hochleistungsstraße, hingegen aber an einer leistungsfähigen Bahnstrecke liegt, kein Wettbewerbsnachteil mehr, sondern kann sogar zum Vorteil werden.
Ybbstal-Erlauftal-Region: eigens aktivierte Bahnlinie
Ein interessantes diesbezügliches Faktum in der Ybbstal-Erlauftal-Region ist, dass jetzt schon einer der größten und erfolgreichsten Industriebetriebe nicht an einer vierspurigen Straße liegt, sondern seine Transporte über eine eigens aktivierte Bahnlinie abwickelt. Die österreichische Klimawissenschaft bestätigt in ihrem Referenz-Klimaplan, dass die öko-soziale Steuerreform zu den Basismaßnahmen gehört, ohne die „der notwendige Beitrag zur Erreichung des 1,5°C-Ziels als nicht realistisch angesehen wird.“ Es ist also das Gebot der Stunde, dass Sie als Bürgermeisterinnen und Bürgermeister klimapolitische Akteure werden, als allererstes eine sozial gerechte, ökologische Steuerreform einfordern und somit die Region nachhaltig stärken und den regionalen Wirtschaftsstandort sichern. Die Forderung nach einer Taktverdichtung auf der Rudolfsbahn tragen wir daher natürlich mit, wenn sie nicht mit dem parallelen Straßenausbau konterkariert wird.
Fünf konkrete Fragen
Aus unseren argumentativen Darlegungen ergeben sich für uns fünf konkrete Fragen an Sie, als unsere politischen Vertreter. Um in einen zufriedenstellenden Austausch zu kommen, bitten wir Sie, diese Fragen – unter Einbeziehung unserer obigen Argumentation – zu beantworten:
Frage 1: Halten Sie es persönlich für verantwortbar, zur Erreichung des in Punkt 1 und 2 dargelegten, geringen Nutzens so viel an Finanzmitteln einzusetzen und natürliche Ressourcen zu verbrauchen?
Frage 2: Haben Sie Ihrer Petition eine verkehrswissenschaftliche Expertise zugrunde gelegt, wie viel zusätzlicher Verkehr durch den Ausbau der B121 generiert bzw. ab wann der geringe Zeitgewinn durch das zusätzliche Verkehrsaufkommen wieder eingebüßt werden wird?
Frage 3: Wurde geprüft, welchen Einfluss dieses fossile Straßenbauprojekt auf die Treibhausgas-Bilanz der Region hat? Spezielle Frage an den Bürgermeister von Waidhofen/Ybbs, Herrn Mag. Werner Krammer: Waidhofen hat sich mit dem jüngst verabschiedeten Klimamanifest in Punkt 2 verpflichtet, alle Gemeinderatsbeschlüsse auf ihre Klimaverträglichkeit hin zu überprüfen. Im Sinne dieser wichtigen Selbstverpflichtung erwarten wir uns auch die Überprüfung des geforderten regionalen Straßenbauprojektes auf seine Klimaverträglichkeit.
Frage 4: Wie wird eine in Punkt 4 dargelegte Reduktion der Emissionen auf Netto-Null möglich sein, wenn Sie gleichzeitig eine Petition verfassen, deren Umsetzung zusätzlichen Verkehr generieren und in einen fossilen Lock-in-Effekt führen wird?
Frage 5: Wo werden an anderer Stelle in der Region mindestens zwei Hektar Boden entsiegelt, um dieses in Punkt 5 dargelegte wertvolle Gemeinwohl-Zukunftsgut Boden zumindest in gleicher Größe zu erhalten und unser regionales Kohlenstoff-Speichervermögen gerade im Angesicht der Klimakrise nicht zu reduzieren?
Unterzeichnet von: Julia Bösendorfer, Raphael Kössl, Georg Wagner, Hermann Wagner
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