Amstettner Priester Franz Sieder: „Mein Anliegen ist Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität für alle“
AMSTETTEN. Er gilt als einer der letzten Arbeiterpriester und ist weit über das Mostviertel hinaus eine lebende Legende: Tips sprach mit Pfarrer Franz Sieder über seine Berufung und seine Ansichten zur aktuellen Situation in der Arbeitswelt.
Längere weiße Haare und noch immer unterwegs auf seiner roten Vespa: so kennen viele Mostviertler Franz Sieder seit geraumer Zeit. Doch nicht nur seine äußere Erscheinung ist weithin bekannt. Der 81-jährige „rote Kaplan“ stellt sich kompromisslos auf die Seite der Armen und Unterdrückten, gilt in politischen Fragen als streitbar und nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Besonders als Arbeiterpriester hat er sich einen Namen gemacht.
„Aus Arbeiterfamilie“
„Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie und bin schon als Theologiestudent stark in Verbindung mit der Katholischen Arbeiterjugend (KAJ) gekommen“, erklärt Sieder, der 1938 in Ober-Grafendorf (Bezirk St. Pölten-Land) geboren wurde. Besonders fasziniert hätten den Geistlichen schon immer die französischen Arbeiterpriester. Davon habe es zeitweise über 1.000 gegeben. „Sie wollten die Botschaft des Evangeliums nicht durch Worte, sondern durch Handeln zu den Arbeitern bringen“, erklärt Sieder.
Ungerechtigkeiten in der Welt
Vor allem in seinen Jahren als Diözesanjugendseelsorger sei er stark für die Ungerechtigkeiten in der Welt sensibilisiert worden. „Ich bemerkte, dass es ein Unrechtssystem gab, das reiche Menschen immer reicher werden lässt und arme immer ärmer“, so Sieder. 1976 kam der Priester nach Amstetten, wo er schon zuvor drei Jahre lang als Kaplan tätig gewesen war, und arbeitete als Arbeiter-Betriebsseelsorger für das Mostviertel. „Ich habe 1976 bei Null angefangen. Es war mir wichtig, nicht die Arbeiter in die Kirche zu bringen, sondern eine Kirche zu „bauen“, in der sie sich beheimatet fühlen“, unterstreicht Sieder.
Am Fließband
Franz Sieder war jedoch nicht immer nur als Priester in den Betrieben des Mostviertels tätig, sondern packte auch bei sogenannten Betriebseinsätzen mit an. „Ich wollte als Vertreter der Kirche die Welt der Arbeit kennenlernen und war beispielsweise als Hilfsarbeiter, als Bügler in einer Schneiderei oder in einer Hühnerfabrik am Fließband im Einsatz. Das war für mich sehr prägend, denn ich habe am eigenen Leib erlebt, was Fließbandarbeit bedeutet“, so Sieder. Über 40 Jahre, bis zur Pension 2016, suchte der Priester den Kontakt zu Mostviertler Arbeitern.
Freundschaften
Nach anfänglicher Skepsis seien wahre Freundschaften entstanden. „Ich wurde zu Taufen, Hochzeiten, Begräbnissen gerufen, Adressen wurden ausgetauscht, persönliche Anliegen wurden besprochen. Daran erinnere ich mich gerne zurück“, betont Sieder, der seitens der Katholischen ArbeitnehmerInnenbewegung (KAB) auch immer wieder Diskussionsrunden zu verschiedensten sozialpolitischen Themen organisiert hat und immer noch organisiert. Zu derartigen Runden konnte Sieder Gesprächspartner wie Bruno Kreisky, Erwin Ringel oder Bischof Erwin Kräutler nach Amstetten holen.
Druck in der Arbeitswelt nimmt zu
Die aktuelle Lage der Arbeitswelt sieht Sieder mit Besorgnis: „Die Bedingungen vieler Arbeitnehmer verschlechtern sich. Durch Einsparungen erhöht sich der Druck auf jeden Einzelnen – es kommt zu Stress und Burnout. Auch in den Pfarren sind Priester durch Zusammenlegungen sehr stark gefordert. Hier ist die Kirche sehr stark in eine bloße Versorgungskirche zurückgefallen und wird nicht mehr so sehr als Instrument gesehen, um eine gerechtere, menschlichere Welt zu bauen“, bemerkt Sieder, der sich im Rahmen seiner Arbeit bei ACUS, der Aktionsgemeinschaft für Christentum und Sozialismus, auch darum bemüht, das Christentum und die Sozialdemokratie zu versöhnen. „Eine derartige Versöhnung ist immer auch eine Versöhnung der Kirche mit der Arbeiterschaft“, so Sieder.
„Sozialdemokratie muss sich öffnen“
Dass sich viele Arbeiter von der Sozialdemokratie abwenden, tue ihm weh. „Die Sozialdemokratie muss sich öffnen, aber zugleich auch den Arbeitern das Gespür geben, dass sie eine privilegierte Schicht in der Partei sind und, dass ihre Probleme verstanden werden“, ist der Priester überzeugt. Das politische Desinteresse vieler Menschen, sieht Sieder mit Besorgnis. „Hier hat auch die Kirche das Defizit, dass manche Gläubige ein geringes politisches Bewusstsein haben. Der politische Analphabetismus sollte auch in der Kirche überwunden werden“, so Sieder. Auch in den Schulen fordert er zusätzlich zu der vorhandenen politischen Bildung eine offene und ehrliche politische Diskussion.
„Eher geduldet, als gewollt“
Aufgrund seiner kompromisslosen politischen Haltung habe Sieder, der auch bei der Friedensbewegung Pax Christi aktiv ist, in der Kirche immer eher eine Außenseiter-Position gehabt: „Ich hatte das Gefühl, eher geduldet, als gewollt zu sein. Doch ich stand und stehe immer zu meiner Position. Mein Anliegen ist – wie es auch der Theologe Walter Kasper formuliert hat – Gerechtigkeit, Freiheit, Solidarität und ein menschenwürdiges Leben für alle auf dieser Erde“.
Kommentare sind nur für eingeloggte User verfügbar.
Jetzt anmelden