Kirchschlager will die Grünen zurück in den Nationalrat bringen
KIRCHSCHLAG BEI LINZ/OÖ. Stefan Kaineder ist nicht nur Landessprecher der Grünen, sondern seit Kurzem auch am ersten Platz der Landesliste für die kommenden Nationalratswahlen. Im Gespräch mit Tips erzählt der aus Kirchschlag stammende Politiker über seine politischen Einflüsse und wie ein Wahldebakel von 2017 verhindert werden kann.
Tips: Woher kommt Ihr Interesse für Politik? Gab es einen bestimmten Auslöser?
Stefan Kaineder: Ich glaube, das hat mit meiner Kindheit und meinem Aufwachsen zu tun. Ich bin in einer Großfamilie aufgewachsen, in der immer viel politisiert wurde. Mein Opa war 23 Jahre Bürgermeister in Kirchschlag, ÖVP-Bürgermeister. Mein Papa war im Gemeinderat und am Familientisch ist immer politisiert worden. Da habe ich mir offensichtlich die Begeisterung für Politik mitgenommen.
Tips: Sie haben es gerade angesprochen, Ihr Großvater war ÖVP-Bürgermeister. Wie kommt man, wenn man aus einer ÖVP-Familie stammt, zu den Grünen?
Kaineder: Ich habe meine Eltern und meine Großeltern nie streng-fraktionell oder streng parteipolitisch wahrgenommen. Ich bin in einer Familie groß geworden, in der Werte recht wichtig waren: der Wert, dass man zusammenhält; dass sich die Starken um die Schwachen kümmern und dass man nicht rücksichtslos miteinander und mit der Natur umgeht. Wie ich mir dann die Frage gestellt habe, welche Partei wohl die richtige wäre, war mir klar: es sind eigentlich zwei große politische Fragen, die wir beantworten müssen: Die erste ist, wie kommen wir mit einem Planeten aus? Wie schaffen wir es, dass wir ressourcenschonend unseren Wohlstand erhalten? Und die zweite große Frage ist, wie schaffen wir es, dass die Schere zwischen Arm und Reich kleiner wird – nicht nur in Österreich, sondern global. Ich habe immer gefunden, dass die Grünen da die besseren Antworten haben.
Tips: Wie war da die Reaktion in der Familie?
Kaineder: Interessiert waren sie alle. Und mittlerweile engagieren sich Teile der Familie auch bei den Grünen und ich merke immer, es gibt ein großes Interesse. Aber das hat meine Großfamilie immer ausgezeichnet, dass sie mehr interessiert an Dingen waren, die sie vielleicht noch nicht so gekannt haben, als ablehnend.
Tips: Im Internet kann man über Sie lesen, dass Sie der Ansicht sind, dass die Grünen die christlich-sozialen Werte stärker vertreten, als eine Partei, die man damit eigentlich verbinden würde. Stimmt das so?
Kaineder: Mein Eindruck ist, dass die Politik, die die ÖVP in den vergangenen Jahren macht, sich zunehmend von diesem Idealbild entfernt, dass Menschen einander grundsätzlich wohlwollend begegnen, dass man keine Unterscheidungen macht zwischen Hautfarben, Religionszugehörigkeiten, Muttersprachen. Und ich finde, dass die Grünen das in den letzten Jahren sehr konsequent hochgehalten haben - diesen unbedingten Zug zu den Menschenrechten und zur Menschlichkeit. Das halte ich auch für eine christliche Kern-Tugend, darum kann man das glaube ich schon so formulieren.
Tips: Sie sind Vater von drei Kindern. Wo ist die Grenze zwischen Privat und Beruf? Und wenn es jetzt für Sie wirklich nach Wien geht, wie wird das dann gemacht?
Kaineder: Das ist schwierig. Ich glaube, dass der Beruf des Politikers grundsätzlich zeitintensiv ist. Vor allem merke ich, die Arbeit hört eigentlich nicht auf. Ich komme heim und denke weiter drüber nach, was tagsüber passiert ist und wie politische Ideen weiterentwickelt werden können. Die Lust lässt einem da nicht los. Wenn der parlamentarische Arbeitsplatz jetzt nach Wien wandert, dann wird diese Herausforderung noch größer. Aber bisher haben wir da eine sehr große Flexibilität bewiesen. Und zum Glück gibt´s digitale Kalender, die man miteinander abstimmen kann – das hilft uns.
Tips: Aber das heißt, die Familie selber würde jetzt in Oberösterreich bleiben?
Kaineder: Ja. Unser Hauptwohnsitz bleibt in Oberösterreich. Ich werde auch Parteichef in Oberösterreich bleiben. Ich kann meine Vorbereitungen in Oberösterreich machen, ich habe ein Büro in Linz und von dem her werde ich zum Pendler. Und Wien ist jetzt eine Stunde und 15 Minuten mit dem Railjet weg. Im Railjet kann man gut arbeiten, das geht sich alles aus.
Tips: Stimmt es, dass Sie anstelle ihrer Frau in Karenz gegangen sind?
Kaineder: Ich war bei allen drei Kindern in Karenz. Ich habe auch den Eindruck, dass das jetzt hilft, wo ich weniger Zeit für die Kinder habe. Dass die Beziehungen so stabil sind, dass es für die Kinder einfach nicht so tragisch ist, wenn ich einmal zwei Tage in Wien bin. Das hält unsere Beziehung gut aus, weil ich jeweils das erste Jahr mit den Kindern verbracht habe. Und das ist eine Zeit, die ich auf keinen Fall missen möchte.
Tips: Was ist Ihnen bei Ihrer Arbeit wichtig - und was geht überhaupt nicht? Gerade im Umgang mit anderen Meinungen und anderen Parteien?
Kaineder: Mir ist ganz wichtig, dass ich Politik so mache, dass ich dabei authentisch bleibe. Die Werte, die mir wichtig sind, möchte ich auf keinen Fall verlassen. Was gar nicht geht ist Respektlosigkeit. Ich liebe die Demokratie dafür, dass sie uns zwingt, dass wir uns miteinander auseinandersetzen, dass wir uns streiten, auch öffentlich streiten. Nämlich ehrlich streiten um das, was gut und richtig ist – das mag ich eigentlich total gern. Auch im Parlament halte ich es für wichtig, dass es eine lebhafte Debatte gibt –die darf aber nie respektlos werden, das würde ich für fatal halten.
Tips: Bei der Landeslisten-Präsentation haben sowohl David Stögmüller als auch Leonore Gewessler und Agnes-Sirkka Prammer ihr Schwerpunkthemen genannt. Welches sind Ihre?
Kaineder: Ich mache seit vier Jahren sehr viel Klimaschutz- und Agrarpolitik. Gerade Landwirtschaft und Ernährung. Was ich ganz stark gemacht habe ist soziale Absicherung und Gerechtigkeit, also die gesamte Mindestsicherungs-Debatte. Da habe ich sehr viel Zeit darauf verwendet, die Gesetze zu studieren. Ich kenne mich mittlerweile irrsinnig gut in der Sozialpolitik aus und halte das, was da gemacht wird, für fatal. Weil das für das Budget irrelevant ist, das erspart uns ein paar „Nätsch“ wie man im Mühlviertel sagt - und ist für die wenigen Betroffenen eine existentielle Bedrohung. Das sind meine Schwerpunkte.
Ich bin auch jetzt seit Oktober 2018 in den Wirtshäusern unterwegs. Vor kurzem war ich in Esternberg, direkt an der Donau. Da kommen 60 bis 70 Leute und diskutieren mit mir über „Wer bestimmt, was wir essen“?. Wir reden über Ernährung und Landwirtschaft und was politisch zutun wäre. Das sind hochspannende Diskussionen. Denn da kommen nicht nur Grüne, sondern auch blaue Landwirtschaftskammerräte und die Ortsbauernschaft. Und ich merke auch: die Ideen die wir haben, wenn man es gut erklärt und sich die Argumente der anderen anhört, die tragen schon weit. Es gibt große Mehrheiten für vernünftige Ernährungspolitik und eine vernünftige Agrarpolitik. Und auch das müssen wir lernen, dass unsere Ideen nicht irgendwo im Kammerl rhethorisch geschliffen werden, sondern dass wir die mit den Leuten am Stammtisch diskutieren.
Tips: Was muss passieren, damit sich ein Wahlergebnis wie von 2017 für die Grünen nicht mehr wiederholt?
Kaineder: Ich habe viel darüber nachgedacht. 2017 haben viele Zeitungen geschrieben: Die Grünen sind jetzt tot. Und ich finde, in den letzten eineinhalb Jahren haben wir bewiesen, solange es ein paar von uns noch gibt, die eine Vision haben, solange gibt es uns. Und wenn wir zuversichtlich, mutig und nicht überheblich versuchen Politik zu machen und jeden Meter auf die Menschen zugehen – wenn uns das gelingt, wenn wir das ehrlich meinen und wir den Menschen nicht ständig erklären, wie sie zu leben haben sondern wie wir Politik machen wollen – dann braucht es uns. Das ist im EU-Wahlkampf gut gelungen: Wir haben kein Geld gehabt, keine Großflächenplakate und keine Give-aways. Aber wir sind zu den Leuten gegangen und haben ihnen erklärt, warum wir glauben, dass es eine Partei braucht, die für Klimaschutz und Gerechtigkeit steht. Und ich bin auch sehr zuversichtlich, wenn man mit dieser Haltung Politik macht, dann wird es nicht nur wieder Grüne geben im Nationalrat – sondern es wird starke Grüne geben.
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