Linzer Tourismuschefin: "Es reicht nicht mehr, nur Nächtigungen und Ankünfte als Messgrößen heranzuziehen"
LINZ. Marie-Louise Schnurpfeil ist seit Anfang Februar 2023 die neue Frau an der Spitze des Linz Tourismus. Nach einer zweimonatigen Übergangsphase trat ihr Vorgänger Georg Steiner Ende März den Ruhestand an. Tips hat mit ihr über die ersten Monate in der neuen Position, die künftige Tourismusstrategie, Herausforderungen für die Branche und natürlich über die Landeshauptstadt gesprochen.
Tips: Wie haben Sie die Übergabe und den Monat im Anschluss erlebt?
Marie-Louise Schnurpfeil: Die Übergabe mit Georg Steiner war eine wichtige Zeit, es war sehr partnerschaftlich. Meine Beobachtung gilt jetzt vor allem den inneren Strukturen in der Organisation selber, um da und dort noch mit dem Team gemeinsam Synergien zu heben und zu schauen, wie wir uns optimal aufstellen können. Wir haben ein sehr buntes und vielseitiges Jahr vor uns: alleine in der Veranstaltungsbranche ist sehr viel los, gepaart mit einigen Jubiläen. Mit Blick Richtung 2024 steht uns ein tolles Kulturjahr bevor. Schöne Bedingungen um zu starten also, ich bin überzeugt, dass wir sehr viel bewegen werden.
Tips: Wie würden Sie selbst als Touristin einen Tag in Linz verbringen?
Marie-Louise Schnurpfeil: Ich würde mit einem ausgiebigen Frühstück in einem der vielen Gastronomiebetriebe beginnen, dort Zeitung lesen und schauen, wo ich meinen Tag verbringe. Ein Besuch der Kulturbetriebe würde definitiv dazugehören. Wenn ich nicht zu Fuß unterwegs bin, dann gerne mit dem Rad. Entlang der Donau würde ich mir ein schönes 'Platzerl' suchen, um die Seele baumeln zu lassen, das gehört für mich dazu. Am Abend würde ich auf einer der schönen Terrassen einen Drink genießen, Abend essen und dann nochmals in die Linzer Kultur eintauchen, zum Beispiel mit einem Theaterbesuch.
Tips: Was zeichnet Linz aus, was ist das Alleinstellungsmerkmal?
Marie-Louise Schnurpfeil: Linz würde ich beschreiben als Schmelztiegel aus Industrie, Kultur, Innovation und Digitalem. Flankiert von Salzburg und Wien hat man einen guten Weg gefunden, sich für eine zeitgenössische Kulturszene einzusetzen und diese proaktiv nach außen zu tragen. Dazu gehört auch der digitale Innovationsbereich, den wir als „Smart Tourism Destination“ unterstützen.
Tips: Wie vertragen sich Tourismus und Nachhaltigkeit – mit Blick auf den umstrittenen Schiffstourismus?
Marie-Louise Schnurpfeil: Das Thema nur auf den Schiffstourismus und Flugverkehr zu reduzieren wäre zu kurz gegriffen. Wir sind ideal erreichbar für Zugreisende, auch die Verbindung über Tschechien nach Ostdeutschland gewinnt an Bedeutung, da liegen wir optimal. Wir sind an der Donau gelegen und mit dem Schifffahrtsthema sehr gut positioniert. Wir haben hier im Zusammenspiel der Stakeholder die Funktion, den Interessensausgleich noch besser zu schaffen. Das Thema wird sehr stark durch die subjektive Wahrnehmung getrieben. Aber dass die Stadt tatsächlich stark davon profitiert, ist unbestritten. Das zeigen auch Wertschöpfungsstudien und die Auswertung mobiler Daten. Die Gäste, die mit dem Schiff anreisen, konsumieren in der Stadt. Zudem wird mit der Errichtung der Landstromanlagen noch im laufenden Jahr alles dafür getan, Lärm und Emissionen zu reduzieren. Somit wurde in alle Richtungen gedacht.
Tips: Wo gibt es aus touristischer Sicht noch Luft nach oben, wo gibt es Potenzial?
Marie-Louise Schnurpfeil: Für Linz – aber auch für andere Destinationen – gilt es Anreize zu schaffen, um die Aufenthaltsdauer zu verlängern. Wir haben einen starken Anteil an Geschäftstouristen. Diese wiederum zu Freizeitgästen und 'Wiederkommern' zu transformieren, ist eine Aufgabe, der wir uns annehmen werden. Darin würde ich das Hauptaugenmerk sehen, wobei hierfür viel Service seitens unserer eigenen Betriebe und in unseren Mitgliedsbetrieben notwendig sein wird. Da, wo persönliche Anknüpfungspunkte sind, müssen wir die touristische Beratungsqualität weiter verbessern. Ich will noch einmal auf das Thema Nachhaltigkeit zurückkommen: Das ist mittlerweile definitiv ein Reisemotiv, deshalb liegt es auch im Interesse des Tourismusverbandes, wenn Betriebe sich nachhaltig ausrichten.
Tips: Welche anderen Städte dienen als Vorbilder?
Marie-Louise Schnurpfeil: Für mich ist die oberste Prämisse, zu schauen, wo im Sinne der Größenordnung ein seriöser Vergleich Sinn macht. Wir beschäftigen uns daher vor allem mit Städten, die uns ähnlich sind. Was „Smart Tourism Destinations“ angeht, schauen wir nach Karlsruhe, nach Oxford und Lausanne. Das sind Destinationen, von denen wir uns etwas abschauen können oder sie von uns. Wir pflegen bestehende Austauschnetzwerke, auch im Bereich Digitalisierung und Marketing. Mit Karlsruhe sind wir beispielsweise aktuell im Austausch über ein Projekt.
Tips: Was sind neben den Nächtigungszahlen Indikatoren für eine erfolgreiche Tourismusstrategie?
Marie-Louise Schnurpfeil: Zu dieser Frage tauschen wir uns mit dem oö. Landestourismus sehr eng aus. Wir sind aktuell in einem Prozess, in dem wir die Landestourismusstrategie mit OÖ Tourismus überarbeiten. Auch im Hinblick auf das OÖ Tourismusgesetz, welches ab 1.1.2024 aktualisiert in Kraft sein wird, diskutieren wir über Messgrößen, die man jetzt und in Zukunft anlegen kann. Es reicht eben nicht mehr, nur Nächtigungen oder Ankünfte dazu heranzuziehen. Man muss sich die Wertschöpfung anschauen und wie man diese seriös messbar macht. Ich kann hierzu noch keine Aussage treffen, weil wir mitten im Prozess sind, aber man muss definitiv über den Tellerrand schauen und über die Nächtigungen und Ankünfte hinaus Messgrößen definieren. Dieser Prozess verdeutlicht, dass der Tourismus keinen reinen Marketingauftrag mehr hat, sondern auch schon viel mehr als „Netzwerkagentur“ tätig ist, im Zusammenspiel zwischen Tourismus, Handel, aber auch der Industrie. Es gibt Schnittpunkte mit anderen Branchen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht so offensichtlich sind.
Tips: Der Tourismus hat also künftig auch die Rolle eines Vernetzers?
Marie-Louise Schnurpfeil: Ja, so sehe ich es.
Tips: In der Vergangenheit hat Linz Tourismus auf bewusste Provokation gesetzt, wie sieht die künftige Strategie unter Ihrer Führung aus?
Marie-Louise Schnurpfeil: Natürlich ist die Strategie ein Punkt, der mir im Moment durch den Kopf geht. Ich habe mir aber vorgenommen, mir die ersten 100 Tage Zeit zu nehmen, für die vielfältigen Themen die mein Vorgänger mitunter noch begonnen hat, die ich aber auch gerne weiterführe. Es wird auch wieder einen Film geben, soviel kann ich zum heutigen Tag schon verraten, wir arbeiten gerade am Drehbuch. Es wird aber keine Fortführung der ersten beiden Filme sein. Wir wollen eine eigenständige inhaltliche Aussage treffen. Die Eckpfeiler wofür Linz steht, sind für mich eigentlich gesetzt: Industrie, Kultur, Natur. An diesen Säulen werden wir uns weiter orientieren – der strategische Auftrag ist, sie neu zu inszenieren und neu zu positionieren.
Tips: Zur Tourismusregion Linz gehören auch Ansfelden und Kirchschlag, was sind dort die Schwerpunkte?
Marie-Louise Schnurpfeil: Ansfelden hat mit Linz das Anton Bruckner Jubiläumsjahr 2024 vor der Haustür, da wird es wichtig sein, diese Anknüpfungspunkte gut zu inszenieren. Nicht nur rund um dieses Kulturjahr, sondern auch darüber hinaus sind die Betriebe in Ansfelden eine spannende Angebotserweiterung, dasselbe gilt für mich für Kirchschlag. Kirschlag sehe ich als Naherholungsdestination mit einem für viele dann doch überraschenden Skiangebot – als kleine Wintersportdestination ist das eine gute Ergänzung zu unserem Angebot.
Tips: Welches sind die künftigen Herausforderungen für die Tourismusbranche?
Marie-Louise Schnurpfeil: Was durch die Corona-Pandemie geblieben ist: der Gast bucht sehr viel kurzfristiger. Die Planbarkeit gewisser Marketingmaßnahmen sind gänzlich neu zu denken. Wir würden unsere Maßnahmen gerne auch an die nächtigungsschwächeren Zeiten ausrichten, aber nachdem der Gast so kurzfristig bucht, ist auch das nicht mehr so leicht vorhersehbar. Wir sind bemüht, mit den Hotelbetrieben die Auslastungsentwicklung zu erfassen, und darauf aufbauend kurzfristig geschaltene Kampagnen zu verwirklichen – das sehe ich als Aufgabe. Ein branchenunabhängiges Thema: Mitarbeiter, Mitarbeiterentwicklung, Employer Branding. Wir sind grundsätzlich gut aufgestellt, aber darauf kann man sich nicht ausruhen. Man muss Mitarbeitern ein Umfeld entsprechend ihrer Vorstellungen bieten. Viele sprechen von Work-Life-Balance, ich würde es tatsächlich eher als Work-Life-Blending formulieren: die Möglichkeit geben, so flexibel wie möglich arbeiten zu können.
Tips: Wie kurzfristig buchen die Gäste?
Marie-Louise Schnurpfeil: Kurzfristig heißt zwei bis drei Wochen im Voraus, wenn überhaupt. Es gibt natürlich auch jene die sagen: 'Ich habe ein paar Tage Zeit und fahre dem schönen Wetter nach.'
Tips: Sind ansonsten noch Nachwirkungen der Corona-Pandemie zu spüren?
Marie-Louise Schnurpfeil: Die Nächtigungszahlen haben sich gut erholt, wenn wir Vergleiche ziehen, schauen wir bis ins Jahr 2019 zurück. Im Februar und im März 2023 haben wir Pluszahlen im zweistelligen Bereich geschrieben, was die Nächtigungen angeht. Selbst wenn man Ansfelden und Kirchschlag abzieht, waren es im März für Linz alleine 20 Prozent Plus im Vergleich zu 2019 – das sind Zahlen, die uns positiv stimmen. Was sich nicht wieder ganz erholt hat, ist das Thema Schifffahrt. Das liegt auch daran, dass hier die Vorlaufzeiten sehr viel länger sind, die Reedereien planen drei, vier Jahre im Voraus. Bis das wieder auf Vorkrisenniveau ist, wird es wohl noch zwei oder drei Jahre dauern, aber der Tourismusmotor ist in unserer Wahrnehmung wieder voll angesprungen. Was sich auch verändert hat: die Personalsituation. Das bedeutet da und dort eingeschränkte Betriebszeiten in Gastronomie- oder Hotel-Betrieben.
Tips: Möchten Sie noch etwas hinzufügen?
Marie-Louise Schnurpfeil: Wie zu Beginn gesagt, es war für mich ein sehr schöner Einstieg, die Übergabe mit Georg Steiner hat sehr gut geklappt. Jetzt bin ich gespannt, was wir gemeinsam mit dem Team für neue Akzente setzen können rund um die vielen Jubiläen und Veranstaltungen. Es war ein sehr schönes Ankommen und ich bin mittlerweile beheimatet in Linz.
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