Im Einsatz für Frauen und Kinder in Not: Die neue Geschäftsführerin des Frauenhauses Linz im Interview
LINZ. Karin Raab hat im Mai 2023 die Geschäftsführung des Frauenhauses Linz von der langjährigen Leiterin Margarethe Rackl übernommen. Tips hat mit ihr über ihre Tätigkeit im Frauenhaus, notwendige Schritte gegen Gewalt an Frauen und das, was sie hoffnungsvoll stimmt, gesprochen.
Karin Raab ist Sozialpädagogin und Mutter von zwei Kindern, hat an der FH OÖ Sozialmanagement studiert und mit dem Abschluss des Masters die Regionalleitung der Mobilen Familienhilfe für Linz und Linz-Land übernommen. 2018 wechselte sie zur BBRZ Med GmbH, wo sie die wirtschaftliche Leitung der ambulanten psychiatrischen Rehabilitation innehatte.
In der Stellenausschreibung des Frauenhauses war eine Feministin gefragt, erzählt Karin Raab beim Interview mit Tips. Das habe bei ihr zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Frage „Was bedeutet es heutzutage, Feministin zu sein?“ geführt: „Ich habe dann festgestellt, dass ich immer schon mit Frauen und für Frauen gearbeitet habe“. Auch die Meldungen über Femizide und häusliche Gewalt seien ausschlaggebend gewesen. „Ich dachte mir, ich würde mich da gerne engagieren, auch beruflich – was den besonderen Reiz ausgemacht hat, ist, dass man im Frauenhaus dreifach wirken kann.“
Tips: Was meinen Sie mit dreifach wirken?
Karin Raab: Einerseits die direkte Unterstützung von Frauen, die bei uns Sicherheit und Schutz finden. Das ist ein schönes Gefühl, Schutz und Sicherheit bieten zu können und eine kritische Parteilichkeit zu haben, wir glauben der Frau. Als Geschäftsführerin bin ich nicht nur mit Administrativem beschäftigt, sondern auch bei Fällen involviert. Ich bin auch bei Gesprächen dabei und kann da die zweite Aufgabe erfüllen, die mich reizt: die Anwaltschaft zu übernehmen. Das bedeutet auch, über diese Themen zu sprechen und darauf aufmerksam zu machen, Bedarfe zu formulieren, etwa, dass es dringend leistbaren Wohnraum braucht als Nachsorge. Der dritte Teil ist die Präventionsarbeit, aktuell ist das Projekt StoP (Stadtteile ohne Partnergewalt) für das Franckviertel und Urfahr im Frauenhaus angesiedelt.
Tips: Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Arbeit künftig setzen?
Karin Raab: Durch die hohe Auslastung im Frauenhaus ist für mich ein Schwerpunkt, die Mitarbeiterinnen zu stützen. Wir haben Frauen mit Multiproblemlagen und darüber hinaus viele Frauen, bei denen psychische Belastungen ein großes Thema sind. Wir haben Frauen, bei denen der Aufenthaltsstatus geklärt werden muss, bei denen es um die Existenzsicherung geht. Wir begleiten auch zu Straf- Obsorge- und Scheidungsverfahren. Was uns sehr bewegt, ist das Thema, wie geht es danach weiter, also wie kann ein selbstständiges, gutes Leben gelingen, wenn die Gefahr nicht mehr unmittelbar ist. Die Schwierigkeit dabei: der Zugang zu sozialem Wohnraum unterliegt Kriterien – man muss eine Zeit lang gearbeitet haben, Deutschkenntnisse haben. Zu uns kommen aber oft Frauen, deren Aufenthaltstitel bewusst prekär gehalten wurde in Verbindung mit der Beziehung oder wo nicht zugelassen wurde, dass die Frau Deutschkurse besucht oder arbeiten geht.
Tips: Diese Abhängigkeit vom Partner – auch ökonomisch – wird häufig als Grund dafür genannt, dass Frauen zu ihrem gewalttätigen Partner zurückkehren. Welche Gründe gibt es noch?
Karin Raab: Es ist sicher ein wichtiger Punkt, dass es für manche schwierig ist, das Leben alleine zu bestreiten. Oft sind auch Kinder ein Thema. Auch Beteuerungen des Partners, dass es nicht wieder passieren wird, oder Druck, der im familiären Bereich ausgeübt wird. Oder eben der ökonomische Druck, der dann auch oftmals verhindert, dass sich Frauen bei uns melden.
Tips: Wie läuft eine Aufnahme im Frauenhaus ab?
Karin Raab: Ich kann grob gesagt, zwei Arten unterscheiden. Zum einen Akutfälle, wenn die Frau unmittelbar ins Frauenhaus zieht – für diese Frauen haben wir immer einen Platz frei, das ist mir wichtig zu betonen. Wir haben immer ein Notzimmer und eine gute Zusammenarbeit mit allen sechs Frauenhäusern in Oberösterreich und können auch versuchen, dort einen Platz zu finden. Dann gibt es Frauen, die sich melden, weil sie sich informieren wollen, wie lebe ich dann dort im Frauenhaus, die Vorstellung konkretisieren wollen. Wir bieten auch ambulante Beratungen an. Uns ist wichtig abzuklären, in welcher Situation sich die Frau befindet und gemeinsam einen Sicherheitsplan zu überlegen.
Tips: Wie lange sind die Frauen im Frauenhaus?
Karin Raab: Grundsätzlich, das hat mir meine Vorgängerin gesagt und das erlebe ich auch so – bleibt ein Drittel der Frauen relativ kurz, vielleicht eine Woche oder nur ein paar Tage, weil sich eine Möglichkeit auftut bei Verwandten oder Freunden oder weil sie zum Partner zurückgehen. Wenn es dieses Mal noch nicht möglich war, kommt sie vielleicht wieder, das kommt öfters vor, die Tür steht offen. Es gehört auch dazu, dass es nicht jede Frau beim ersten Mal schafft, aus welchen Gründen auch immer. Dann haben wir Frauen, die bleiben etwa drei Monate, etwa, weil die Gefährdung abnimmt und die Frau berufstätig ist und man eine Wohnung für sie finden kann. Und ein Drittel der Frauen sind bis zu einem Jahr bei uns – das ist auch die Grenze, es sei denn, die Gefährdung ist akut.
Tips: Wie funktioniert die Begleitung dann weiter?
Karin Raab: Wenn ein Auszug geplant ist, übergeben wir oft an das Autonome Frauenzentrum oder an das Gewaltschutzzentrum, es sind oft viele Institutionen beteiligt. Ein tolles Projekt des GSZ ist „Perspektive Arbeit“, dabei werden gewaltbetroffene Frauen bei der Arbeitssuche und auch psychosozial unterstützt. Auch die Kinder – und Jugendhilfe ist involviert, weil Kinder betroffen sind. Wenn es Richtung Auszug geht, schaut man, was kann weiterhin durch welche Beratungsstelle versorgt werden, wir unterstützen auch bei der Wohnungs- und Arbeitssuche.
Tips: Das sind ganz schön viele Aufgaben…
Karin Raab: Das ist ganz schön viel, oft haben wir auch noch den Aufenthalt zu klären…
Tips: Wie viele Mitarbeiterinnen gibt es im Frauenhaus Linz?
Karin Raab: Wir haben 13 Mitarbeiterinnen, die im Frauenhaus direkt vor Ort beschäftigt sind und 4 Mitarbeiterinnen, die im Bereitschaftsdienst sicherstellen, dass wir rund um die Uhr erreichbar sind und im Notfall aufnehmen können. Alle sind Teilzeitbeschäftigt. Wir haben einen Frauenbereich und einen Kinderbereich – wir sind auch eine Kinderschutzeinrichtung, das ist ganz wichtig – wir haben in etwa so viele Kinder wie Frauen im Haus. Was ganz besonders schön ist: Eine Kollegin ist ausschließlich für die Kinder zuständig. Die Kinder bekommen einmal in der Woche einen Termin, wo spielpädagogisch gearbeitet wird, wo das Kind seine Sicht der Dinge erzählen kann und wo geschaut wird, was es braucht.
Tips: Wie hoch ist die Auslastung im Frauenhaus Linz derzeit?
Karin Raab: Die ist Kontinuierlich hoch – wir haben 17 Wohnungen für Frauen mit Kindern und zusätzlich das Notzimmer – aber mir ist ganz wichtig nochmal zu sagen: Es darf niemand Angst haben, nicht anzurufen. Für Akutfälle haben wir immer einen Platz frei.
Tips: Es gibt mittlerweile ein Bewusstsein in der Gesellschaft für das Thema Gewalt an Frauen, es gibt Präventionsarbeit, Projekte wie StoP (Stadtteile ohne Partnergewalt). Der Wunsch wäre ja, dass es kein Frauenhaus mehr bräuchte. Warum schaffen wir das nicht?
Karin Raab: Wir haben mittlerweile ein sehr gutes Gewaltschutzgesetz, ein Meilenstein ist, dass sich das Gewaltschutzzentrum bei jedem Betretungsverbot aktiv bei den Opfern meldet. Und die verpflichtende Täterarbeit – es ist wichtig, dass Täter mit einer psychosozialen Beratung in Kontakt kommen. Gesellschaftlich ist schon bei einem Großteil angekommen, dass Gewalt an Frauen und Kindern und Gewalt grundsätzlich nicht in Ordnung ist. Es wird nicht mehr mit „Der Mann darf das“ abgetan – das haben wir überwunden. Was wir nicht überwunden haben sind die patriarchalischen Strukturen, es gibt noch eine Ungleichbehandlung in Österreich. Solange die existiert, gibt es Machtunterschiede und solange haben wir auch häusliche Gewalt und diese hohe Zahl an Femiziden. Auch wenn man sich vor Augen führt – Stichwort Hass im Netz – in welch sexualisierter Form Frauen, Politikerinnen, angegriffen werden – das löst etwas aus.
Tips: Was wäre aus Ihrer Sicht ein schnell umsetzbarer Schritt für die Politik, um Gewalt an Frauen entgegenzuwirken?
Karin Raab: Die Schulung der Polizei und der Justiz, da tut sich schon sehr viel. Da muss man dranbleiben und das noch ausbauen. Wichtig ist auch leistbarer Wohnraum und dass man die Zugangsvoraussetzungen dafür überdenkt und auch bei Schulen anzusetzen.
Tips: Wo kann ich als Privatperson beginnen, wenn ich mich engagieren möchte?
Karin Raab: Was schon toll ist: die Präventionsarbeit von StoP, die darauf abzielt, die Zivilcourage zu erhöhen, und Bewusstsein zu schaffen. Es beginnt aber schon dabei, sich zu informieren über solche Projekte und Einrichtungen, Bücher über das Thema zu lesen. Aber es auch immer wieder im Freundes- und Bekanntenkreis zu thematisieren. Sich solidarisch zeigen ist auch eine Möglichkeit, im Zuge von 16 Tage gegen Gewalt an Frauen oder am 8. März - ob man bei einer Demo mitgeht oder eine Veranstaltung besucht und die Eindrücke weiterträgt.
Tips: Was würden sie einem Mann sagen, der meint: ich behandle Frauen gut, übe keine Gewalt aus, das Thema geht mich nichts an?
Karin Raab: Ich denke schon, dass wir eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung tragen. Es auch wichtig, dass man bei einem sexistischen Witz darauf aufmerksam macht, was für ein Rollenbild dahintersteht. Da braucht es eine gewisse Aktivität und kein passives „Mich geht das nichts an“. Alle Männer profitieren in einer Form vom Patriarchat, sie können auch etwas zurückgeben. Das beginnt schon bei den Rollenbildern und dabei, die eigene Beziehung zu hinterfragen. Was mir die StoP-Kolleginnen sagen: wenn auch ein Mann bei den Nachbarschaftstischen Position bezieht für Gleichstellung, dann hat das eine Wirkung.
Tips: Welche Irrtümer begegnen Ihnen bei der Arbeit?
Karin Raab: Was mir schon begegnet ist: „Das zerstört Familien“, weil Jungen nur bis zu einem gewissen Alter im Frauenhaus aufgenommen werden können. Aber die Gewalt zerstört die Familie, nicht der Einzug ins Frauenhaus. Auch ein Irrtum: dass es nur sozial Schwächere trifft, oder nur Menschen mit Migrationshintergrund oder bestimmten kulturellen und religiösem Hintergrund. Zahlreiche Studien belegen, dass jede 5. Frau von Gewalt betroffen ist, durch alle sozialen Schichten hindurch. Auch der Satz „Sie hätte ja gehen können, mit ihrem guten Einkommen“. Hier wird nicht verstanden, dass Gewalt schleichend beginnt, dass es schambehaftet ist. Es ist auch sehr oft psychische Gewalt, eine Täter-Opfer-Umkehr oder die Manipulation von Freunden der Opfer dabei – das gelingt, weil die Täter nach außen hin völlig anders auftreten.
Tips: Sie sind in Ihrer Arbeit mit den schlimmsten Auswüchsen von Frauenfeindlichkeit konfrontiert - was macht Ihnen Mut, was stimmt Sie hoffnungsvoll?
Karin Raab: Was mich beeindruckt ist das Engagement der Kolleginnen, manche sind schon seit 20 Jahren und noch immer voller Motivation dabei. Auch die Kolleginnen von StoP mit dieser Begeisterung, dem „Frauen für Frauen“. Und dann die Frauen im Frauenhaus, die es schaffen, auch wenn es vorher zwei, drei Mal nicht geglückt ist. Ich denke an einen Fall, der für uns alle sehr schwer war: der Druck der Familie war stark, für die Frau war es schwer, den Schutz und die Sicherheit wieder zu verlassen, man hat diese Ambivalenz gespürt – aber wir konnten für ein paar Wochen Schutz und Sicherheit geben und der erste Versuch ist gestartet. Auch die Medienarbeit – man merkt, dass sich die Berichterstattung geändert hat, dass nicht mehr nur von der „Familientragödie“ geschrieben wird, sondern von Mord. Es ist wichtig, dass die Dinge beim Namen genannt werden.
Tips: Abschließend: was wünschen Sie sich für Frauen in Oberösterreich?
Karin Raab: Das wünsche ich allen Frauen in Oberösterreich – gewaltfrei leben, selbstbestimmt ihren Weg zu gehen, mutig und selbstbewusst zu sein, sich gut zu überlegen, welche Rollenbilder und Zuschreibungen halten mich womöglich davon ab. Dass wir diese Zuschreibungen, über die man oft gar nicht weiter nachdenkt, hinterfragen. Mir gefällt auch der Begriff „Verschwesterung“, ich glaube es ist so wichtig, dass sich Frauen gegenseitig unterstützen. Und es ist gleichzeitig auch schon viel geschafft, es ist auch wichtig, das anzuerkennen.
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