Sok-Kheng Taing im Interview: "In unseren Anfangsjahren war ich fast immer die einzige Frau im Raum"
LINZ. 2005 gründeten Sok-Kheng Taing, Bernd Greifeneder und Hubert Gerstmayr das Unternehmen Dynatrace, welches sein Headquarter heute nach wie vor in Linz hat. Heute engagiert sich Taing für die Förderung von Start-ups und jungen Talenten. Mit Tips sprach die Unternehmerin über die Sichtbarkeit von Frauen in der IT, Vorbilder und die Förderung von Mädchen in MINT-Berufen.
Tips: Sie sind Mitgründerin von Dynatrace, einem der erfolgreichsten IT-Unternehmen in Oberösterreich und darüber hinaus – was war Ihre prägendste Erfahrung in Ihrer bisherigen Karriere?
Taing:Wie bedeutend ein Moment ist, ist oft erst im Rückblick zu erkennen. Als wir Dynatrace 2005 zu dritt gegründet haben, waren wir natürlich überzeugt, eine innovative Geschäftsidee zu haben. Dass aus dieser Idee 19 Jahre später ein Weltmarktführer geworden ist, der seit 2019 an der New Yorker Börse notiert und weit über eine Milliarde Dollar Umsatz erzielt, ist großartig und lässt mich oft an die Anfänge zurückdenken. Vor diesem Hintergrund waren jene Momente, als wir unsere Software zum ersten Mal verkauft haben und – viele Jahre später – der Börsengang in New York ein ganz besonderes Erlebnis. Am Gründungsstandort Linz prägend ist die Errichtung des internationalen Engineering Headquarter im Jahr 2019 und in diesem Jahr erfolgte der Spatenstich für den Ausbau zum Dynatrace Campus, der rund 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein hochmodernes und kreatives Arbeitsumfeld bietet.
Tips: Merken Sie einen Wandel in der Branche, was Frauen generell und Frauen in Führungspositionen betrifft?
Taing: Ja, ganz klar und deutlich. Als ich in unseren Anfangsjahren den Entscheidungsträgern Dynatrace vorgestellt habe, war ich fast immer die einzige Frau im Raum. Das war nicht immer ermutigend und angenehm, hatte aber einen Vorteil: Alle konnten sich danach an mich als Frau – und somit an Dynatrace – erinnern. Da die IT eine junge Branche ist, spielt traditionelles Rollenverständnis keine wesentliche Rolle. Frauen können schneller als in anderen Branchen mehr Verantwortung übernehmen. Heute sind die Präsenz und Sichtbarkeit von Frauen wesentlich höher – aber statistisch betrachtet noch immer nicht dort, wo sie hingehört. Die positive Tendenz hat auch damit zu tun, dass sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert. Frauen können heute nach einer Geburt schneller in den Job zurückkehren. Flexible Arbeitsmodelle machen das möglich. Beim Thema Kinderbetreuung haben wir dennoch weiterhin Aufholbedarf.
Tips:Trauen sich Frauen oder Mädchen oft einfach zu wenig zu – oder bekommen sie oft erst gar nicht die Chance, sich zu beweisen? Was könnten Unternehmen und Politik hier leisten?
Taing: Frauen sind Männern an Talent und Mut ebenbürtig. Weil aber viele – vor allem technische – Branchen traditionell noch Männerdomänen sind, brauchen Frauen zusätzlich ein hohes Maß an Pioniergeist, dort die Erste zu sein. Deshalb sind weibliche Präsenz so entscheidend. Umso mehr Frauen es in Führungspositionen geschafft haben, umso mehr Frauen nehmen diese Präsenz als völlig normal an und nicht als Ausnahme-Erscheinung. Die Unternehmen, die Politik und auch die Medien müssen die Sichtbarkeit von Frauen erhöhen. So belegt eine Studie des Global Media Monitoring Project (GMMP) aus 2020, dass weltweit rund 25 Prozent der Personen, über die in Medien berichtet wird, Frauen sind. In Wirtschaft und Politik sind Frauen noch seltener vertreten. (Quelle) Wenn wir das ändern, erhöhen wir die Chancengleichheit. Vielleicht sehen wir in der nächsten Studie, die alle 5 Jahre stattfinden, bereits eine Verbesserung?
Tips: Wie werden Frauen/Kolleginnen bei Dynatrace gefördert?
Taing: Ich denke, der mit Abstand wichtigste Faktor ist unsere Unternehmenskultur. Wer zu Dynatrace kommt, merkt sofort, dass bei uns nur die Person zählt – nicht demografische Merkmale. Bei Dynatrace hat jede Kollegin und jeder Kollege die gleichen Möglichkeiten, sich zu entfalten, seine Rolle zu finden, am gemeinsamen Erfolg mitzuarbeiten. Intensive Forschung und Entwicklung, viel Leidenschaft für Innovationen, mit Integrität zu überzeugen und als Team zu gewinnen, sind Werte, die alle Kolleginnen und Kollegen zusammenschweißen. Darüber hinaus haben wir Dynaspace for Women, eine Community, die sich darauf konzentriert, die Erfolge von Frauen in unserer Organisation hervorzuheben und ihr berufliches Wachstum zu unterstützen.
Tips:Braucht es mehr Vorbilder für Frauen in puncto Beruf/Karriere? Haben Sie ein Vorbild?
Taing: Ja, Vorbilder sind inspirierend. Je mehr ich mich mit einer Person identifizieren kann, desto resilienter bin ich, den langen und kurvigen Weg mit all seinen Herausforderungen zu meistern. Ein Vorbild für mich ist Marie Curie. Als Frau durfte sie in ihrer Heimat Polen nicht studieren. Deshalb ging sie an die Pariser Sorbonne, erforschte die Strahlung von Uranverbindungen, wurde dort zur ersten Professorin und erhielt zwei Nobelpreise. Marie Curies Talent und Entschlossenheit, Hürden zu überwinden, sind nicht nur für mich eine große Inspiration.
Tips: Welche Maßnahmen halten Sie für entscheidend, um junge Frauen für technische Studiengänge und IT-Berufe zu gewinnen?
Taing: Wer früh mit informatischem Denken in Kontakt kommt, kann schon in jungen Jahren eine Begeisterung für IT entwickeln. Deshalb ist unser Engagement in der Kinder- und Jugendförderung tief verwurzelt. So unterstützen wir den Programmierclub CoderDojo, oder die Informatik- und Robotik-Olympiade mit viel Engagement in Kollaboration mit Vereinen und Bildungseinrichtungen. Auch die Stadt Steyr unterstützen wir bei einem Pilot-Projekt, das in Zusammenarbeit mit der JKU Linz durchgeführt wird, in dem wir Workshops mit Minirobotern an allen 16 Pflichtschulen anbieten. Alle Projekte zielen darauf ab, Kinder und Jugendliche spielerisch für das algorithmische Denken zu begeistern und sie dazu zu ermutigen, eigene Projekte wie Online-Spiele, Webseiten und Apps zu entwickeln. Viele Dynatracer unterstützen diese Projekte tatkräftig als Freiwillige im Rahmen ihrer Arbeitszeit.
Tips: Sie haben eines der erfolgreichsten IT-Unternehmen in Österreich mitaufgebaut – was möchten Sie noch erreichen?
Taing: Vor allem wünsche ich mir, dass unser neuer Dynatrace Campus zu einem Hotspot für nationale und internationale Talente sowie eine inklusive Drehscheibe für AI und Security wird. Ich hoffe, dass sich auch viele andere Unternehmen dafür engagieren, den Standort Linz und Oberösterreich zu einem international attraktiven Arbeitsmarkt zu entwickeln. Gleichzeitig hoffe ich, dass die Entscheidungsträger in diversen Organisationen und die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, damit internationale Talente gerne hierherkommen und bleiben. Außerdem möchte ich, dass wir durch Mut, Innovation und Pionierarbeit eine Vorbildwirkung schaffen, um gemeinsam in der Community nachhaltige Lösungen für unseren Wirtschafts- und Lebensstandort umzusetzen.
Tips: Was wünschen Sie sich für Frauen in OÖ? Was muss sich in den nächsten Jahren ändern, damit diese Vision Realität wird?
Taing: Noch nie war die Zeit besser für uns Frauen. Wir haben freien Zugang zu Bildung, können uns persönlich und beruflich entfalten, Karrierechancen ergreifen und finanzielle Unabhängigkeit aufbauen – die Türen stehen uns weit offen, nicht nur in der stark wachsenden IT-Branche. Für Frauen, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, wünsche ich mir vor allem gute Kinderbetreuungsangebote, die es ihnen ermöglichen, Vollzeit zu arbeiten, wenn es zu ihrem Lebenskonzept passt. Mit unserem neuen Dynatrace-Campus wollen wir dazu einen Beitrag leisten: Wir planen eine Kinderkrippe und einen Kindergarten, in denen wir die Kinder in ihrer individuellen Entwicklung ganzheitlich, weltoffen und bilingual Deutsch/Englisch fördern sowie spielerisch für MINT-Themen begeistern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) um diese zu entdecken und zu erforschen. Je mehr Kinder sich früh für MINT-Themen begeistern und diese mit Spiel und Spaß verbinden, desto größer ist auch das Potenzial, mehr Mädchen zu erreichen, bevor sich unbewusste Stereotypen bilden, die Technik als schwierig empfinden und „nur etwas für die Buben“ ist. So würde nachhaltig ein größerer Pool an jungen Talenten entstehen, um das früh geweckte Interesse in der Schule fortzusetzen und später IT-Berufe als Option in der Berufswahl zu berücksichtigen. Dies würde zu mehr Diversität in der IT-Branche beitragen.
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