K.O.-Tropfen und sexuelle Gewalt: "Es braucht echte Solidarität mit Betroffenen"
LINZ. Das Frauenressort Linz und die Aktivistin Nina Fuchs sagen der Täter-Opfer-Umkehr bei Sexualstraftaten und K.O.-Tropfen den Kampf an. Noch immer müssen sich Betroffene von sexueller Gewalt für ihr Verhalten rechtfertigen: bei der Polizei, vor Gericht und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Die angekündigte Gewaltambulanz auf Landes- und eine angestrebte Gesetztesänderung auf Bundesebene könnten wichtige Verbesserungen bringen.
Die stadtweite von FIFITITU% gestaltete Bewusstseins-Kampagne gegen K.O.-Tropfen stellt klar: Schuld ist immer der Täter, niemals das Opfer. Slogans wie „Du hast dich von einer unbekannten Person auf ein Getränk einladen lassen? Na und!“ seien aus Gesprächen mit Betroffenen entstanden, erklärt Rebekka Hochreiter, die die Kampagne gestaltet hat. Ähnliches kennt auch Nina Fuchs. Sie ist Vorstandsvorsitzende des gemeinnützigen Vereins „KO- Kein Opfer e.V.“ aus Deutschland, der Präventions- und Aufklärungsarbeit zu sexualisierter Gewalt, K.-O.-Tropfen und Konsens leistet. Fuchs ist selbst Betroffene, sie wurde unter dem Einfluss von K.-O.-Tropfen vergewaltigt - und musste sich dann Sätze wie „Hättest du besser auf dein Glas aufgepasst“ anhören.
Gesellschaftliches Umdenken nötig
Fuchs lobt die Kampagne, häufig stünden Verhaltensregeln für Frauen im Fokus solcher Projekte. Als Initiatorin des genannten Vereins kenne sie viele Geschichten von Frauen, die mit Schuldgefühlen zu kämpfen hätten, weil in der Gesellschaft noch immer in vielen Köpfen Opfer zumindest eine Mitschuld tragen. Sei es wegen ihrer Kleidung, wegen ihres Alkoholkonsums oder einfach weil sie feiern waren. Man stelle sich nur den Shitstorm vor, würde Männern empfohlen werden, dass sie sich konservativ zu kleiden hätten, keinen Alkohol trinken dürften und generell nicht alleine ausgehen sollten – nur zu ihrem eigenen Schutz. Oder anders gedacht: Ein männliches Opfer eines Raubüberfalls müsste sich für seine teure Designerkleidung und seine offensichtlich teure Uhr rechtfertigen. Für Vergewaltigungsopfer ist dies jedoch häufig die Realität. Sie vermisse echte Solidarität mit Betroffenen, sagt Nina Fuchs.
Schutzarmbänder bei K.O.-Tropfen nicht verlässlich
Zahlen zur Verwendung von K.O.-Tropfen im Zusammenhang mit Sexualstraftaten gibt es nicht. Alleine der Begriff „Knockout-Tropfen“ umfasst eine Vielzahl unterschiedlichster Substanzen, manche davon werden in der Industrie eingesetzt und sind legal erhältlich. Ein Verbot ist aber laut Fuchs wenig sinnvoll: „Wieso sollte sich ein Täter, der jemanden vergiftet, um dann eine Sexualstraftat zu begehen, davon abschrecken lassen, dass die Substanz verboten ist?“ Sie warnt auch vor sogenannten Schutzarmbändern, diese würden ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln und die Prävention wieder den Frauen zuschieben.
Bewusstseinsbildung in Schulen, bei der Polizei und Justiz
Ansetzen müsse man woanders: Das Thema Konsens und auch K.O.-Tropfen müsse in den Lehrplänen verankert werden, damit schon in der Schule ein Bewusstsein geschaffen wird. Die Polizei müsse Daten erheben, um einen Überblick über die Problematik zu bekommen. Auch, ob es in bestimmten Lokalen zu einer Häufung von Fällen kommt. Wichtig seien auch Schulungen für Beamte. Sie habe in ihrer Arbeit als Aktivistin oft erlebt, dass Aussagen von Opfern mit Erinnerungslücken angezweifelt würden.
Modernes Sexualstrafrecht: „Nur Ja heißt Ja“
In Deutschland sei auch ein Problem, dass auf hundert Gerichtsverhandlungen wegen Vergewaltigung nur eine Verurteilung komme. Auch in Österreich führen nur 8,6 Prozent dieser Gerichtsverhandlungen zu einer Verurteilung. Oft, weil die Beweise nicht ausreichend sind und im Zweifel wird für den Angeklagten entschieden wird. Um die Zahl der Verurteilungen zu erhöhen, spricht sich Nina Fuchs daher für ein konsensbasiertes Sexualstrafrecht aus. Damit läge die Beweislast vor Gericht beim Täter, der erklären müsste, ob und wie es eine Zustimmung zum Sex – verbal oder nonverbal – gab. Derzeit müssen sich Betroffene vor Gericht rechtfertigen. In einem Fall, dem medial viel Beachtung geschenkt wurde, zitiert der ORF die Richterin, die einen 17-jährigen der Vergewaltigung eines 12-jährigen Mädchens freigesprochen hatte: Womöglich habe es bei dem Mädchen zwar „eine innere Ablehnung“ gegeben, es sei aber „nicht erwiesen, dass das für den Angeklagten erkennbar war“.
Nun hat Österreich mit Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) eine Frauenministerin, die genau das, ein konsensbasiertes Sexualstrafrecht, angehen möchte, Unterstützung erhält sie von Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) und den Grünen. Gerade für Vergewaltigungsopfer, die mit K.O-Tropfen vergiftet wurden oder bei der Tat in Schockstarre verfielen, könnte das viel verändern.
Gewaltambulanz für Oberösterreich angekündigt
Auch eine Gewaltambulanz kann dazu beitragen, dass die Verurteilungsquote erhöht wird, da dort speziell geschultes Personal Beweise fachgerecht aufnimmt und für zehn Jahre aufbewahrt, sollte sich das Opfer für eine Anzeige entscheiden. Das Land Oberösterreich hatte sich als Pilotregion beworben, wurde aber abgelehnt, weil es keine eigene Gerichtsmedizin im Land gibt. Erst nachdem der Fall einer Frau publik wurde, die im Spital nach einer mutmaßlichen Vergewaltigung aufgrund von Ressourcenmangel abgewiesen wurde, soll am KUK eine Gewaltambulanz eingerichtet werden.
Frauenstadträtin: „Gewalt gegen Frauen geht uns alle etwas an“
Stadträtin Eva Schobesberger (Grüne) hat eine klare Position: „Gewalt gegen Frauen ist alltäglich – sie geht uns alle an. K.O.-Tropfen sind ein Werkzeug dieser Gewalt. Wir müssen daher endlich die Täter in den Fokus rücken. Jeder einzelne Vorwurf an Betroffene verkennt die Ursachen von Gewalt und schützt damit indirekt die Täter. Diese Dynamik muss durchbrochen werden. Männer müssen Verantwortung für Männergewalt übernehmen. Nur eine konsequente gesellschaftliche Haltung schafft Unterstützung und Schutz für Betroffene.“
Nina Fuchs fasst zusammen: „Als Betroffene von sexualisierter Gewalt unter dem Einfluss von K.O.-Tropfen und Vorstandsvorsitzende des Vereins Kein Opfer e.V. weiß ich, wie sehr unser Umgang mit diesem Thema häufig versagt. Statt wirkungsvoller Schutzmaßnahmen erleben wir immer noch Symbolpolitik, falsche Prävention und massives Victim-Blaming. Was wir brauchen, ist ein radikales Umdenken – hin zu konsequenter Aufklärung, strukturellen Veränderungen und echter Solidarität mit Betroffenen.“
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