OÖ. Der Welttag der Suizidprävention am 10. September fordert auf, dem Thema Suizid das Stigma zu nehmen. In OÖ nahmen sich letztes Jahr 190 Personen das Leben, 80 Prozent davon sind Männer. Ein bewussterer, sensiblerer Umgang – im privaten Umfeld sowie medial – kann Leben beschützen. Die Hotline der Telefonseelsorge ist rund um die Uhr unter 142 erreichbar.
Seit Beginn des Jahres erfasst die OÖ Krisenhilfe einen Anstieg bei Anrufenden, die von Suizidgedanken berichten, die Zahl der verübten Suizide nimmt jedoch ab. Auswirkungen der Coronapandemie machen sich bemerkbar, doch die weiterhin sinkenden Zahlen beweisen, dass die Präventionsmaßnahmen greifen, erklärt Suizidforscher Thomas Niederkrotenthaler.
Neue Risikogruppe: Jugendliche
Die Zahl der Jugendlichen, die unter Depressionen und Angsterkrankungen leiden, ist stark angestiegen. Laut einer SORA-Befragung hätten 35 Prozent der 16 bis 25-Jährigen in Oberösterreich Suizidgedanken, in der Gesamtbevölkerung wären es 18 Prozent. „Laut Telefonseelsorge ist zu sehen, dass vor allem Jugendliche erschüttert sind und am Rande der Belastung stehen. Sie hätten noch nicht die Ressourcen zu sehen, dass es nach der Krise wieder bergauf gehe.
„Suizidprävention ist, wenn man Buben reden lernt.“
Ein Beratungsgespräch zu veranlassen, ist für Frauen oftmals einfacher als für Männer: 62 Prozent der Klientinnen von „Beziehungsleben“ waren im Jahr 2019 Frauen. Bei den Männern ist die Zahl der Suizide in Österreich jedoch viermal. „Suizidprävention ist bereits, wenn man Buben reden lernt.“ betont Silvia Breitwieser, Leiterin der Telefonseelsorge. Ein guter Stammtisch könne Leben retten. Geschlechtsspezifische Gesellschaftsstrukturen würden bedingen, dass Männer im Freundeskreis jedoch seltener über psychische Probleme sprechen als Frauen und sich oft erst sehr spät Hilfe holen, wenn überhaupt. Ein Aspekt, der in Debatten um toxische Männlichkeit aufzeigt, wie weitgehend diese Problematik ist, beginnend mit „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ im Kindergarten bis hin zu fehlenden Ausdrucksweisen negativer Emotionen im Erwachsenenalter.
„Aber es tut sich schon was.“, betont Klemens Hafner-Hanner, Teamleiter der Familienberatung Beziehungsleben. Die große Sorge einiger seiner männlichen Klienten, jemand bekannten im Warteberiech zu treffen, gehe schrittweise in eine Selbstverständlichkeit über. Sich professionelle Hilfe zu holen, sei nicht mehr so schambelastet wie noch vor einigen Jahren. Es ist an jedem Einzelnen, als Teil der Gesellschaft ein Umfeld zu schaffen, in dem sich suizidale Menschen wohl genug fühlen, um Hilfe zu fragen und diese auch anzunehmen.
Der Werther-Effekt
Wenn es darum geht, Stigmatisierung zu bekämpfen und Bewusstsein zu steigern, spielen auch Medien eine tragende Rolle. Suizidberichterstattung ist immer eine sensible Gratwanderung: Das Thema muss medial behandelt werden, um gegen die Stigmatisierung vorzugehen, dadurch soll jedoch niemand zu Schaden kommen. Die Frage nach dem „ob“ entscheidet sich nach medialer Relevanz des Suizids, über den berichtet wird – ausschlaggebend ist jedoch das „wie“.
Der sogenannte Werther-Effekt besagt, dass ein direkter Zusammenhang zwischen unsensibler Berichterstattung über einzelne Suizidfälle und einem Anstieg von Suizidversuchen besteht. Namensgeber dafür ist Johann Wolfgang von Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“. Aus der Sicht eines suizidalen jungen Mannes verfasst, brachte dessen Veröffentlichung 1774 die Suizidrate bei jungen Männern zum Anstieg.
Papageno statt Werther
Detaillierte Beschreibungen zu Suizidort und –hergang können ohnehin Gefährdete zur Nachahmung animieren. Der Ehrenkodex des Österreichischen Presserats sieht daher „große Zurückhaltung“ bei der Suizidberichterstattung vor. Niederkrotenthaler hält fest, Suizid wäre nie monokausal. Suizid mit nur einem Grund zu erklären sei nicht richtig, betont er in Bezug auf die teilweise sensationalistische Berichterstattung zum Suizid von Lisa-Maria Kellermayr (Tips berichtete).
Benannt nach dem Vögelfänger aus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“, der im Laufe des Stücks seine Suizidgedanken überwindet, bildet der Papageno-Effekt das Pendant zum Werther-Effekt. So hat positive Suizidberichterstattung auch eine positive Wirkung auf Gefährdete: „Medien können gerade in Zeiten der Krise Hilfestellungen bieten, indem Geschichten von Menschen erzählt werden, die lernen, mit ihrer Krise umzugehen.“, erklärt Niederkrotenthaler. Es geht an oberster Stelle darum, Perspektiven zu schaffen anstatt Aussichtslosigkeit zu unterstreichen.
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